El Salvador: Nach Totgeburten als Mörderinnen verurteilt
22. Februar 2022Laut Gesetz muss in El Salvador jede Schwangerschaft ausgetragen werden, auch wenn diese das Leben der Frau gefährdet. Nach Tot- oder Fehlgeburten wurden Frauen wegen Mordes zu jahrzehntelangen Haftstrafen verurteilt.
Amnesty International unterstützt seit vielen Jahren den Kampf für die Rechte von Frauen in El Salvador. Die Abtreibungsgesetze sind so streng, dass Schwangerschaftsabbruch mit bis zu achtjährigen Haftstrafen und Fehl- bzw. Totgeburten als Kindsmord interpretiert und mit bis zu 50 Jahren Haft bestraft werden können. Frauen und Kinder, die in Folge einer Vergewaltigung schwanger werden, sind nicht von diesen Gesetzen ausgenommen. Laut Gesetzgebung muss jede Schwangerschaft ausgetragen werden, auch wenn die körperlichen und psychischen Folgen verheerend sind.
Der Fall Beatriz zeigt, was diese Gesetze für die betroffenen Menschen bedeuten. 2013 wurde bei einer Untersuchung im Krankenhaus festgestellt, dass ihr Kind ohne Gehirn niemals überlebensfähig und eine Fortsetzung der Schwangerschaft für Beatriz lebensgefährlich wäre. Es gab für sie trotzdem keine legale Möglichkeit, diese Schwangerschaft frühzeitig zu beenden.
Beatriz hat mit Unterstützung des Colectiva Feminista beim Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof Klage gegen den Staat El Salvador eingereicht. Am 11. Jänner 2022 wurde entschieden, den Fall Beatriz an den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (IACHR) weiterzuleiten, um ihn zu prüfen. Beatriz überlebte nur knapp.
Nach Frühgeburt zu 30 Jahren Haft verurteilt
Erst Ende letzten Jahres hat der IACHR bereits in dem Fall Manuela entschieden, dass sie unschuldig war. Nach einer Frühgeburt wurde sie bereits im Krankenhaus ans Bett gefesselt, unzureichend medizinisch versorgt und ohne angemessenen Rechtsbeistand zu 30 Jahren Haft wegen schweren Mordes verurteilt.
Das Urteil des IACHR verpflichtet beklagte Staaten dazu, den Entscheidungen nachzukommen. Es sollen Maßnahmen ergriffen werden, damit sich Erfahrungen wie die von Manuela nicht wiederholen. Außerdem schaffen die Urteile des Gerichtshofs verbindliche Standards für alle Staaten, die die Amerikanische Menschenrechtskonvention ratifiziert haben.
Amnesty International setzt sich für die Freilassung von inhaftierten Frauen ein und fordert eine Reform der bestehenden Gesetze zu Schwangerschaftsabbruch. Aktuell müssen Ärzt*innen und das Gesundheitspersonal gegen ihre Schweigepflicht verstoßen und jeden Verdacht auf eine Abtreibung der Polizei melden, ansonsten drohen ihnen Haftstrafen. Betroffene Frauen werden häufig nur durch Pflichtverteidiger*innen vertreten und erhalten hohe Haftstrafen, die sie in überbelegten Gefängnissen verbringen müssen. Diese Gesetzgebung verstößt gegen mehrere Menschenrechte und kriminalisiert die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung.
Gerechtigkeit mussten die betroffenen Frauen mühsam und nach jahrelanger Haft erkämpfen.
Hier einige Schicksale:
17. Januar 2022: Kenia wird nach neun Jahren Haft entlassen. Sie war nach einer Vergewaltigung schwanger und erlitt mit 18 Jahren eine Fehlgeburt. Statt sie medizinisch zu versorgen, wurde sie auf der Stelle verhaftet und dann wegen Kindsmord zu 30 Jahren Haft verurteilt.
Juni 2021: Marina wird nach 14 Jahren Haft entlassen. Im Mai 2007 erlitt sie eine Totgeburt und wurde zu 35 Jahren Haft verurteilt.
Mai 2021: Sara Rogel wird frühzeitig aus der Haft entlassen. Neun Jahre war sie wegen schweren Mordes im Gefängnis, weil sie beim Wäschewaschen ausrutschte und daraufhin eine Fehlgeburt erlitt. Sie wäre zu 30 Jahren Haft verurteilt gewesen.
Dezember 2021: Karen, Kathy und Evelyn werden von der Anklage des schweren Totschlags freigesprochen. Sie waren zu Haftstrafen von bis zu 30 Jahren verurteilt worden.
März 2019: María del Tránsito Orellana Martínez, Cinthia Marcela Rodríguez Ayala und Alba Lorena Rodríguez Santos wurden entlassen. Sie wurden 2009 bzw. 2010 zu jeweils bis zu 30 Jahren Haft verurteilt – ohne klare Beweise und ohne angemessenen anwaltlichen Beistand.
Februar 2018: Teodora del Carmen Vásquez wird aus der neunjährigen Haft entlassen. Sie war zu 30 Jahren Haft verurteilt worden, weil man ihr einen heimlichen Schwangerschaftsabbruch nach einer Totgeburt vorwarf. Für ihr Engagement für Frauenrechte wurde sie im Herbst 2018 mit dem Per-Anger-Preis ausgezeichnet.
Dezember 2018: Imelda Cortez wird nach einem Jahr Haft entlassen. Ihr Stiefvater hatte sie jahrelang missbraucht, vergewaltigt und geschwängert. Das Baby kam gesund zur Welt, trotzdem wurde sie im Krankenhaus wegen versuchten schweren Mordes des Neugeborenen verhaftet.
Mai 2016: Nach viereinhalb Jahren Haft wird María Teresa Rivera in einem Berufungsverfahren freigesprochen. Sie hatte eine Fehlgeburt erlitten und wurde zu 40 Jahren Haft verurteilt – ohne Beweise in einem unfairen Gerichtsverfahren. Sie flüchtete mit ihrem Sohn nach Schweden. Im März 2017 wird ihr als erster Frau überhaupt politisches Asyl wegen Verletzung ihrer reproduktiven Rechte zuerkannt.
2014: Guadalupe Vásquez wird nach sieben Jahren Haft entlassen. Mit 17 Jahren wurde Guadalupe vergewaltigt und dadurch schwanger. Nach einer Fehlgeburt verurteilt sie ein Gericht wegen angeblicher Tötung ihres Kindes zu 30 Jahren Haft. Und das, obwohl die Autopsie keinerlei Gewalteinwirkung feststellt und die Todesursache des Fötus ungeklärt bleibt.
Noch immer sind mehr als zehn Frauen in Haft, weil sie nach Fehl- oder Totgeburten des Kindsmords beschuldigt und zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden.