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Amnesty-Campaignerin Samira Hamidi gibt Einblicke in die Situation afghanischer Frauenrechtsaktivist*innen und beschreibt die Auswirkungen seit der Machtübernahme durch die Taliban.
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Im Laufe der letzten Wochen und Monate hat sich in Afghanistan alles verändert. Hätten Sie erwartet, dass es so schnell geht?
Während in ganz Afghanistan bereits ein ständiger Kampf zwischen den ehemaligen afghanischen Sicherheitskräften und den militanten Taliban tobte, war der Zusammenbruch Afghanistans und die Machtübernahme der Taliban ein Schock für mich, den ich nicht erwartet hatte.
Samira Hamidi ist Campaignerin bei Amnesty International in Südostasien. Vor ihrer Arbeit für Amnesty setzte sie sich über ein Jahrzehnt lang für Frauenrechte und Menschenrechtsfragen in Afghanistan ein. Ihr größtes Anliegen in ihrer Arbeit als Menschenrechtsverteidigerin ist der Schutz und die Stärkung der afghanischen Frauen.
Für viele Menschen, die Afghanistan nur aus den Nachrichten kennen, ist es schwer vorstellbar, wie die Taliban Frauen in der Gesellschaft sehen. Können Sie uns die Situation beschreiben?
Als die Taliban zwischen 1996 und 2001 in Afghanistan an der Macht waren, haben sie Frauen und Mädchen ihre grundlegenden Menschenrechte verwehrt, wie den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, zu politischer Teilhabe und sozialem Engagement.
Nachdem die Taliban 2001 von den USA und der NATO zerschlagen worden sind, haben die Taliban die Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan 20 Jahre lang als Verstoß gegen religiöse und kulturelle Werte bezeichnet. Auch in dieser Zeit wurden Aktivist*innen, Führungspersönlichkeiten, Gesundheitspersonal, Journalist*innen, Anwält*innen, Richter*innen sowie Polizei- und Armeeoffizier*innen bedroht, verletzt und sogar getötet.
Heute hat sich an ihrer Ideologie gegenüber Frauen nichts geändert. Seit der Machtübernahme haben Frauen ihre grundlegenden Menschenrechte wieder verloren. Sie dürfen nicht arbeiten und werden in keinerlei Entscheidungsprozesse einbezogen. Mädchen ab der 6. Klasse dürfen seit einem Monat nicht mehr zur Schule gehen. Wenn Frauen gegen die Regeln der Taliban protestieren und ihre Stimme für ihre Rechte erheben, werden sie bedroht.
Um internationale Anerkennung und Unterstützung zu erlangen, haben die Taliban wiederholt erklärt, sie würden die Rechte der Frauen respektieren, doch in der Praxis unterdrücken sie diese
Die Frauen in Afghanistan befinden sich wieder in der finsteren Ära von 1996-2001. Sie haben verloren, wofür sie jahrelang gekämpft haben – ein besseres Afghanistan.
Wie hat sich das Leben von Menschenrechtsverteidiger*innen verändert und welche Perspektiven haben sie?
Menschenrechtsverteidiger*innen haben große Risiken auf sich genommen, um gegen Diskriminierung zu kämpfen, und setzen sich seit Jahrzehnten für die Gleichstellung von Frauen in Afghanistan ein. Ihre Errungenschaften sollten verankert werden und Frauen sollten dadurch weiterhin einen Beitrag zur Gesellschaft leisten können. Heute fühlen sich die afghanischen Frauen verraten, weil sie ausgegrenzt werden und schweren Repressalien durch die Taliban ausgesetzt sind. Menschenrechtsverteidiger*innen, die das Glück hatten, den Taliban zu entkommen, haben ihre Arbeit, ihre Stimme und ihre Heimat verloren. Diejenigen, die noch in Afghanistan festsitzen, zählen die Tage und fürchten jeden Tag die Sanktionen durch die Taliban.
Sehen Sie eine Chance, dass Frauenrechtsaktivistinnen ihre Arbeit aus Afghanistan fortsetzen können? Wenn ja, wie wird diese Menschenrechtsarbeit aussehen?
Frauen, die ihre Häuser verlassen, um zu protestieren, obwohl sie wissen, dass sie mit Gewalt und Brutalität durch die Taliban rechnen müssen, sind die mutigsten Frauen der Welt. Gleichzeitig schrumpft der Raum für Menschenrechtsarbeit leider rapide.
Die Taliban haben bereits Beschränkungen für Proteste verhängt, üben Druck auf Medien aus und zensieren die Berichterstattung. Sie schränken das politische, soziale und kulturelle Engagement von Frauen ein. Doch auch wenn es riskant ist, werden Frauen weiterhin protestieren und sich auf unterschiedliche Weise für ihre Rechte einsetzen. Denn die afghanischen Frauen sind nicht mehr dieselben wie in den 90er Jahren, sie haben sich verändert, sind gebildeter und erfahrener.
Wenn die Taliban zu ihren Worten stehen wollen, müssen sie die Menschenrechte respektieren und ein Umfeld schaffen, in dem diese und insbesondere die Rechte der Frauen in Afghanistan geachtet werden.
Sie sind selbst eine afghanische Menschenrechtsverteidigerin und arbeiten jetzt für Amnesty International. Was war und ist Ihr persönlicher Antrieb, sich für Menschenrechte zu engagieren?
Ich bin eine der wenigen privilegierten afghanischen Frauen, die von ihrer Familie immer in ihrem Wachstum unterstützt wurden. Mein Vater ist meine größte Motivation für meinen Menschenrechtsaktivismus.
In einer Familie mit vier Brüdern und keiner Schwester hat mein Vater immer dafür gesorgt, dass ich Zugang zu Bildung habe, meine eigenen Entscheidungen treffe und genauso unabhängig bin wie meine Brüder.
Außerdem glaube ich an die Weitergabe von Wissen und daran, für diejenigen einzutreten, die nicht für sich selbst sprechen können. Ich glaube an Gleichberechtigung und daran, dass jede Frau auf der ganzen Welt und in Afghanistan Respekt, Chancengleichheit und Inklusion verdient. All das sind die Gründe, die mich dazu gebracht haben, das zu tun, was ich jetzt tue.
Was ist Ihr Appell an Staaten und Einzelpersonen auf der ganzen Welt? Was können wir tun, um Frauenrechtsaktivistinnen in Afghanistan zu unterstützen?
Auch wenn in den letzten 20 Jahren nicht alles perfekt war, gab es doch messbare Fortschritte im Leben der Menschen, insbesondere der Frauen. Diese Fortschritte zu erhalten und dafür zu sorgen, dass die Menschenrechte der afghanischen Bevölkerung nicht verletzt werden, ist eine gemeinsame Verantwortung.
Die internationale Gemeinschaft hat immer wieder zugesagt, dass sie die Menschenrechte und die Rechte der Frauen in Afghanistan weiterhin unterstützen wird. Nun müssen die Staaten zu ihren Worten stehen und die Taliban für ihre Menschenrechtsverletzungen, Repressalien und Unterdrückung zur Rechenschaft ziehen.
An die Menschen, die dieses Interview lesen: Ziehen Sie Ihre Regierungen zur Rechenschaft. Erheben Sie Ihre Stimme für die Töchter Afghanistans, für Frauen in Afghanistan. Jetzt ist die Zeit gekommen. Lassen Sie die Menschen in Afghanistan nicht in Vergessenheit geraten.
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