Der 55 Jahre alte Abdallah Benaoum ist ein politischer Aktivist aus Relizane, einer Stadt im Westen von Algerien. Er gehört zu etwa 74 inhaftierten Algerier*innen, die wegen ihrer Rolle in der Protestbewegung Hirak angeklagt sind. Die Hirak-Bewegung fordert seit Februar 2019 eine radikale politische Veränderung in Algerien und kam im März 2020 durch die Corona-Pandemie zum Erliegen.
Abdallah Bedaoum wurde am 9. Dezember 2019 – drei Tage vor den Präsidentschaftswahlen – festgenommen, weil er auf seiner persönlichen Facebook-Seite Kritik an den Wahlen und der Strafverfolgung von friedlichen Hirak-Aktivist*innen gepostet hatte. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn folgender Vergehen an: "Beleidigung staatlicher Institutionen", "Untergraben der Integrität des nationalen Territoriums", "Schädigung der nationalen Interessen", "Untergraben der Moral der Armee", "Versuch Richter*innen bei anhängigen Fällen unter Druck zu setzen" und "Anstiftung zu einer Versammlung ohne Waffen" nach den Paragrafen 146,79, 97, 75, 147 und 100 des Strafgesetzbuchs. Keine dieser Anklagen ist nach internationalen Menschenrechtsnormen eine Straftat, da sie die rechtswidrige Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung beinhalten.
In der Akte zu seinem derzeitigen Strafverfahren steht, dass die Polizei in Oued Rhiou in der Provinz Relizane sein Haus durchsucht und sein Telefon und seinen Laptop beschlagnahmt hat. Beides haben sie durchsucht und die Staatsanwaltschaft benutzte Videos und Veröffentlichungen, die sie in seinem persönlichen Facebook-Profil fand, um ihn, zusammen mit Khaldi Ali, einem weiteren Aktivisten aus Relizane, in sechs Punkten des Strafgesetzbuchs anzuklagen.
Die Akte bezieht sich auf Videos, in denen Abdallah Benaoum zum Boykott der Präsidentschaftswahlen aufruft und auf Veröffentlichungen, in denen er "Nein zu Militärwahlen" und "Studierende der Hirak-Bewegung in allen Gouvernements erleben die schlimmste Unterdrückung" schreibt. Außerdem kritisiert er die geringe Strafe für einen Polizeibeamten, der einen jungen Mann in Oued Rhiou getötet hatte. Diese Sachverhalte werden als Beweise dafür benutzt, dass er zu Ungehorsam aufwiegelt und die Staatssicherheit untergräbt.
Haftbedingungen
In einem Brief, den er mittels seiner Anwält*innen aus dem Gefängnis verschickte, beschreibt Abdallah Benaoum seine Haftbedingungen und die unverständliche Verzögerung seiner medizinischen Behandlung wie folgt:
"Es ist offensichtlich, dass die Verzögerung der medizinischen Versorgung ... eine schleichende Form der Hinrichtung und ein Angriff gegen die menschlichen und islamischen Moralvorstellungen ist. Was die Haftbedingungen angeht, so wurden mir alle Rechte genommen..., ich schlafe ohne Decken und Kopfkissen. Ich schlafe auf einem Bett ohne Matratze und nutze meine Kleidung als Kopfkissen. Die Einrichtung argumentiert, sie könne keine neuen Matratzen bereitstellen, da sie sie nicht haben. Mir wird das Recht auf Information durch das Lesen von Zeitungen verweigert. Ich leide mitten in Oran an furchtbarer Isolation. Auch das Essen ist ein Desaster."
Gesundheitszustand
Abdallah Benaoum leidet unter einer koronaren Herzerkrankung (KHK), bei der es zu Durchblutungsstörungen des Herzmuskels kommt. 2018 hatte er eine erste Operation. Er musste danach eine gesunde Lebensführung einhalten. Doch die schlechten Haftbedingungen und ein Hungerstreik, in den er 2018 trat, um gegen seine Haftbedingungen zu protestieren, führten zu einer Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands.
Am 27. September beantragten die Rechtsbeistände des politischen Aktivisten Abdallah Benaoum ein weiteres Mal seine Verlegung in ein Krankenhaus, da sich sein Gesundheitszustand im Gefängnis rapide verschlechtert und sein Leben in Gefahr ist. Bisher haben sie keine Reaktion darauf erhalten. Abdallah Benaoum leidet an verengten Herzkranzgefäßen. Seine Anwält*innen beantragten schon im April 2020 erstmalig die vorläufige Freilassung. Der Antrag wurde abgelehnt. Das Gericht begründete die Ablehnung mit der Schwere des ihm zur Last gelegten "Verbrechens", das aber lediglich in behördenkritischen Facebook-Posts besteht. Seine Posts auf Facebook (FB) enthielten keine Aufwiegelung zur Gewalt und sind daher unter dem Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt.
Am 12. Mai kam die Kardiologin von Abdallah Benaoum nach einer Untersuchung zu dem Schluss, dass er dringend eine zweite Herzoperation benötigt. Am 7. Juni beantragten seine Anwält_innen ohne Erfolg seine Verlegung in ein Krankenhaus. Wenige Tage später verlegten ihn die Behörden von dem Gefängnis in Belasal in Relizane in ein kleines Gefängnis in Gdyel, einem Ort in dem Gouvernement Oran, 160 Kilometer von seinem Wohnort entfernt. Dort gibt es keine medizinischen Einrichtungen. Die Anwält*innen stellten am 21. Juni einen weiteren Antrag auf Verlegung. Daraufhin wurde Abdallah Benaoum bis zu seinem Verfahren am 16. Juli in das Gefängnis in der Stadt Oran gebracht. Auch nach dem Verhandlungstag wurde er wieder in das Gefängnis in Oran zurückgebracht und ist dort bis heute inhaftiert.
Bei der Verhandlung am 16. Juli war Abdallah Benaoum ganz offensichtlich krank. Seine Anwält*innen baten um eine Vertagung, doch das Gericht setzte das Verfahren eine Stunde lang fort, ehe es Abdallah Benaoum von einer Ärztin untersuchen ließ, die bestätigte, dass seine Verfassung zu schlecht sei, um eine Anhörung durchzustehen. Die Anhörung wurde abgebrochen, doch das Gericht lehnte den Antrag auf vorläufige Freilassung ab und schickte Abdallah Benaoum zurück ins Gefängnis. Am 2. September reichten die Anwält*innen einen weiteren Antrag auf vorläufige Freilassung ein, der wiederum abgelehnt wurde.
Frühere Inhaftierung
Abdallah Benaoum verbrachte im Zusammenhang mit einem früheren Fall bereits 15 Monate im Gefängnis und war erst seit sechs Monaten wieder auf freiem Fuß, als er im Dezember 2019 erneut inhaftiert wurde. Am 2. April 2018 verurteilte ihn ein Gericht aufgrund mehrerer Anklagen in Verbindung mit seinen Facebook-Posts zu zwei Jahren Gefängnis. Darin hatte er insbesondere die Politik der "nationalen Versöhnung" nach Paragraf 46 der Charta für Frieden und Nationale Versöhnung von 2006 kritisiert, die Veröffentlichungen zum algerischen Bürgerkrieg von 1990 untersagt. Am 3. Juni 2019 wurde er auf Antrag seiner Anwält*innen gegen Kaution aus der Haft entlassen.