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© Tomás Ramírez / Amnesty Argentina
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Argentinien: LGBTQIA+ Aktivistin drohen vier Jahre Haft

Die argentinische Künstlerin und Aktivistin Pierina Nochetti ist wegen "schwerer Sachbeschädigung" angeklagt. Sie wollte mit einem Graffito auf das Verschwinden eines jungen trans* Mannes aufmerksam machen. Pierina drohen bis zu vier Jahre Gefängnis!

Pierina Nochetti ist Künstlerin, Erzieherin, Mutter von drei Kindern und die Hauptversorgerin der Familie. Seit langem organisiert sie mit anderen die Pride Parade in Necochea, einer Küstenstadt in der Provinz Buenos Aires. Sie setzt sich seit Jahren für Menschenrechte ein und für eine Welt, in der alle Personen ihre Menschenrechte frei und gleichberechtigt genießen können.

2021 verschwand der 21-jährige Tehuel de la Torre auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch. Hassverbrechen gegen trans* Personen sind in Argentinien weit verbreitet. Pierina wollte Tehuels Familie bei ihrer Forderung nach Aufklärung unterstützen und sprühte ein Graffito mit der Frage "Wo ist Tehuel?" an eine öffentliche Wand. Daraufhin erstattete die Kommunalverwaltung Anzeige gegen Pierina.

Neben Pierinas Frage befinden sich viele weitere Graffiti an der Wand. Viele davon sind Hassbotschaften. Doch niemand wird für diese anderen Graffiti verfolgt. Es ist ein gezielter Angriff gegen Pierina und ihren Wunsch nach Gerechtigkeit und lässt befürchten, dass sie wegen ihres Engagements für LGBTQIA+ Rechte angeklagt wird.

Fordere mit uns von den argentinischen Behörden, dass sie die unverhältnismäßige Anklage gegen Pierina Nochetti sofort fallenlassen!

Jetzt einsetzen

Weitere Informationen

Pierina Nochetti ist selbst auch Angestellte der Kommunalverwaltung, wo sie wegen ihres Engagements während der Pride Parade 2022 bereits mit administrativen Repressalien, einschließlich Gehaltskürzungen, belegt wurde. Danach erstattete die Kommunalverwaltung Strafanzeige wegen des Graffito und forderte die Einleitung rechtlicher Schritte gegen Pierina Nochetti. Vor Beginn ihrer strafrechtlichen Verfolgung hatte sich Pierina Nochetti bei ihren Vorgesetzten beschwert: sie werde an ihrem Arbeitsplatz ungleich behandelt, möglicherweise aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität.

Anscheinend wurde bisher niemand wegen der anderen Graffiti an der besprühten Wand angeklagt – auch nicht wegen der dort angebrachten Hassbotschaften. Dies lässt befürchten, dass Pierina Nochetti wegen ihres Engagements für die Rechte von LGBTQIA+ Personen sowie wegen ihrer Geschlechtsidentität und ihrer sexuellen Orientierung angeklagt wird. Pierina Nochetti ist aufgrund ihrer Identität stärker von Diskriminierung bedroht. Sie wird seit 2022 strafrechtlich verfolgt, und die ungerechtfertigte Verlängerung des Verfahrens hat schwerwiegende Auswirkungen auf ihre Menschenrechte, einschließlich ihrer psychischen Gesundheit und ihrer Rechte auf friedlichen Protest und freie Meinungsäußerung.

Argentinien ist Vertragsstaat verschiedener internationaler Abkommen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung schützen, wie z. B. dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Amerikanischen Menschenrechtskonvention. Die internationalen Menschenrechtsnormen verlangen, dass Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung eindeutig gesetzlich verankert und für ein legitimes Ziel notwendig und verhältnismäßig sein müssen. Der UN-Menschenrechtsausschuss hat ausgeführt, dass Strafen für Sachbeschädigungen im Zusammenhang mit Protesten eng bemessen werden müssen, und festgelegt, dass Schäden "schwerwiegend" sein müssen, um strafrechtlich verfolgt zu werden, da sie andernfalls eine unangemessene Einschränkung der Meinungsfreiheit darstellen würden.

LGBTQIA+ Rechte in Argentinien

In den vergangenen Jahrzehnten gab es in Argentinien viele Fortschritte beim Schutz der Rechte von LGBTQIA+ Personen, darunter die Gleichstellung hinsichtlich der Ehe, das Recht auf Geschlechtsidentität, das Recht auf eine Beschäftigungsquote für trans* Personen im öffentlichen Dienst, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und das Recht auf umfassende Sexualerziehung. LGBTQIA+ Personen, vor allem trans* und nicht-binäre Menschen, werden jedoch beim Zugang zu ihren Rechten in den Bereichen Gesundheit, Beschäftigung, Bildung sowie dem Recht auf ein Leben frei von Gewalt aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung stark diskriminiert.

Im Jahr 2022 registrierte die Nationale Beobachtungsstelle für LGBT-Hassverbrechen in Argentinien 129 Hassverbrechen gegen Menschen aufgrund ihrer Identität, ihres Ausdrucks der Geschlechtlichkeit oder ihrer sexuellen Orientierung: 84 % dieser Angriffe richteten sich gegen trans* Frauen. 40 dieser 129 Straftaten waren tätliche Angriffe. Darüber hinaus sehen sich LGBTQIA+ Personen mit einer Zunahme von Hassreden konfrontiert, die sexuelle Vielfalt pathologisieren - auch von staatlicher Seite -, was zu einem Anstieg von Hassverbrechen aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität führt.

Musterbrief

Appelle an

OBERSTAATSANWALT
José Luis Cipolletti, Fiscal Superior
UFI n°1 Departamental Necochea,
Public Prosecutor's Office of the Provincia de Buenos Aires
Avenida 75, 371 Necochea,
PBA, CP: 7630
ARGENTINIEN
Email: ufi1.ne@mpba.gov.ar; jcipolletti@mpba.gov.ar

Kopien an

Botschaft der Argentinischen Republik
S.E. Herr Holger Federico MARTINSEN
Lugeck 1-2/7/44A
1010 Wien
Fax: (+43 / 1) 533 87 97, 533 56 51
E-Mail: embajada@embargviena.at

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich auf, die Anklage gegen Pierina Nochetti wegen "schwerer Sachbeschädigung" fallen zu lassen, da sie eine unnötige und unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu sein scheint.
  • Mit derartig schweren Anklagen auf die freie Meinungsäußerung von Menschenrechtsverteidiger*innen zu reagieren, sendet eine abschreckende Botschaft, die das Recht auf friedlichen Protest weiter einschränken könnte.

Inhalt

Dear Head Prosecutor Jose Luis Cipolletti,

I am concerned over the prosecution of Pierina Nochetti for allegedly painting a graffiti in a public wall with the question “Where is Tehuel?”. This question has been a wide call of a collective claim for justice in the disappearance of a 21-year-old trans man when he was on his way to a job interview in 2021.

Pierina is an artist, educator, mother, the main provider for her family, and an employee of the local government, where she had already faced administrative reprisals for her activism during the 2022 Pride Parade, including salary reduction. Since there seems to be no record of accusations for other paintings on the same wall, which include hateful messages, I fear she is targeted for her activism on LGBTI+ rights, as well as for her gender identity, gender expression and sexual orientation. Pierina is at greater risk of discrimination due to her identity.

She is facing criminal prosecution since 2022 and the unjustified prolongation of it has a severe impact on her human rights, including their emotional wellbeing and on right to peaceful protest and freedom of expression.

International human rights law requires restrictions to the right to freedom of expression to be clearly established in law, and to be necessary and proportionate to a legitimate aim.

I call on you to drop the charge of “aggravated damage” against Pierina Nochetti as it appears to be an unnecessary and disproportionate restriction on the right to freedom of expression. Imposing such charges on human rights defenders for freely expressing themselves sends a chilling message that could further curtail the right to protest peacefully.

Yours sincerely,

Fallenlassen der Anklage fordern

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