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China: Freiheit für Anwalt Yu Wensheng

Update 2. März 2022

Der Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng wurde am 1. März 2022 aus dem Gefängnis entlassen und ist sicher in Peking angekommen und wieder mit seiner Familie vereint. Vielen Dank an alle, die sich für seine Freilassung eingesetzt haben!

China: 4 Jahre Haft für Menschenrechtsarbeit

Der bekannte chinesische Menschenrechtsanwalt Yu Wensheng wurde in einem geheimen Verfahren zu vier Jahren Gefängnis wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“ verurteilt. Seit dem 9. Juli 2015 gehen die Behörden in China massiv gegen Menschenrechtsanwält*innen und Aktivist*innen vor.

Yu Wensheng (余文生) ist ein bekannter Menschenrechtsanwalt in Peking. Er vertrat zahlreiche Personen in öffentlichkeitswirksamen Menschenrechtsfällen. So übernahm er unter anderem die Verteidigung verschiedener Falun-Gong-Anhänger*innen und des Menschenrechtsanwalts Wang Quanzhang. Wang Quanzhang war während des harten staatlichen Vorgehens gegen Anwält*innen und Aktivist*innen im Juli 2015 wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" angeklagt worden.

Auch Yu Wensheng selbst war aufgrund seiner Arbeit für die Menschenrechte in China bereits mehrmals inhaftiert und auch gefoltert worden. Zuletzt nahmen ihn die Sicherheitskräfte im Jänner 2018 fest. Am 17. Juni 2020 wurde er wegen "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" zu vier Jahren Gefängnis und dreijährigem Entzug seiner politischen Rechte verurteilt. Nach mehr als 18 Monaten in Einzelhaft durfte er am 14. August endlich seinen Rechtsbeistand sehen. Dieser gab nach dem Treffen an, dass der bekannte Menschenrechtsanwalt in Haft gefoltert worden sei und dass sich sein Gesundheitszustand massiv verschlechtert habe.

Yu Wensheng ist ein gewaltloser politischer Gefangener, der sich nur deshalb in Haft befindet, weil er friedlich von seinem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. Er ist nicht nur zu Unrecht inhaftiert, er wird in der Haft auch unmenschlich behandelt.

 

 

Sachlage

Yu Wensheng (余文生) wird momentan in der Hafteinrichtung der Stadt Xuzhou festgehalten. Nach mehr als 18 Monaten Haft konnte er sich am 14. August endlich mit seinem Rechtsbeistand treffen. Diese Entwicklung kann zwar als gutes Zeichen gewertet werden, doch das, was der Gefangene seinem Rechtsbeistand zu seinen Haftbedingungen berichtete, ist alarmierend.

Yu Wensheng erzählte seinem Anwalt, dass er in Haft mit Pfefferspray besprüht und wiederholt dazu gezwungen wurde, so lange auf einem Metallstuhl zu sitzen, bis er fast das Bewusstsein verlor. Außerdem berichtete er von Nahrungsentzug und dass er im Sommer einen Hitzschlag erlitten habe, während er im Winter fror.

Die Ehefrau von Yu Wensheng, Xu Yan, äußerte sich sehr besorgt über die drastische Verschlechterung seines Gesundheitszustands seit der Einzelhaft. Ihr Mann leide nicht nur an Bluthochdruck, sondern ihm seien außerdem einige Zähne ausgefallen und er sei zu schwach, um sein Essen zu kauen. Yu Wensheng gab an, dass er aufgrund von schwerem Zittern nicht mehr in der Lage sei, mit der rechten Hand zu schreiben. Stattdessen war er gezwungen, seinen gesamten Widerspruch gegen das gegen ihn verhängte Urteil mit der linken Hand zu schreiben. Nach Ansicht des Gefängnisarztes ist dieser Zustand irreversibel.

Aktuelles Verfahren

Am 15. Januar 2018, vier Tage bevor er von der Polizei abgeholt wurde, erhielt Yu Wensheng einen Brief der Justizbehörde von Peking, in dem stand, dass seine Anwaltslizenz ausgesetzt würde, da er seit über sechs Monaten nicht bei einer registrierten Anwaltskanzlei beschäftigt gewesen sei. Ihn erreichte zudem ein weiterer Brief der Behörde, der auf den 12. Januar 2018 datiert war, der besagte, dass sein Antrag auf die Eröffnung einer Anwaltskanzlei abgelehnt worden sei, weil er sich wiederholt gegen die Kommunistische Partei ausgesprochen und den "sozialistischen Rechtsstaat" angegriffen habe.

Am 19. April 2018 erließ das Büro für Öffentliche Sicherheit der Stadt Xuzhou in der Provinz Jiangsu offiziell Haftbefehl gegen Yu Wensheng, weil er "zum Umsturz der Staatsmacht angestiftet" und "die Arbeit von Staatsbeamten behindert" haben soll. Er wurde daraufhin "an einem dafür vorgesehenen Ort unter Überwachung gestellt" – eine Maßnahme, mit der strafrechtliche Ermittler*innen Personen unter bestimmten Umständen für bis zu sechs Monate außerhalb des formellen Haftsystems festhalten können.

Dies kann unter bestimmten Umständen einer Form der geheimen Haft ohne Kontakt zur Außenwelt gleichkommen. Wenn Inhaftierte unter dieser Form der "Überwachung" keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl, ihren Familien und allen anderen Menschen außerhalb der Haft haben, sind sie erhöhter Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Art der Haft wird benutzt, um die Aktivitäten von Menschenrechtsverteidiger*innen, darunter Rechtsbeistände, Aktivist*innen und Religionsausübende, zu unterdrücken. Menschenrechtsverteidiger*innen und andere Aktivist*innen sind weiterhin systematischer Überwachung, Schikane, Einschüchterung, Festnahme und Inhaftierung ausgesetzt.

Am 1. Februar 2019 wurde gegen Yu Wensheng Anklage vor dem Mittleren Volksgericht von Xuzhou erhoben. Seine Rechtsbeistände wurden jedoch weder offiziell über die Anklage informiert noch erhielten sie Einsicht in die Akten.

Frühere Festnahmen

Yu Wensheng wurde während seiner von Oktober 2014 bis Januar 2015 dauernden Haft im Untersuchungsgefängnis Daxing in Beijing gefoltert. Am 13. Oktober 2014 wurde er von Angehörigen des Büros für öffentliche Sicherheit von Daxing in Peking festgenommen, nachdem er seine Unterstützung für die pro-demokratischen Proteste in Hongkong ausgedrückt hatte. Seinen Angaben zufolge wurde er 61 Tage lang zusammen mit Häftlingen, die zum Tode verurteilt worden waren, festgehalten und etwa 200 Mal verhört. Yu Wensheng wurde rechtlicher Beistand in der Haft verweigert und zehn Angehörige der Staatssicherheit waren dazu abgestellt, ihn in drei Schichten täglich zu verhören.

Im Oktober 2017 wurde Yu Wensheng erneut für kurze Zeit inhaftiert, nachdem er einen Offenen Brief geschrieben hatte, in dem er Präsident Xi Jinping kritisierte und sagte, dieser sei wegen seiner zunehmend "totalitären" Herrschaft ungeeignet, China zu regieren. Angehörige und Freund*innen von Yu Wensheng glauben, dass er sich momentan aufgrund dieses Briefes in Haft befindet.

Gezieltes Vorgehen der Regierung

Die chinesische Regierung begann am 9. Juli 2015, scharf gegen Menschenrechtsanwält*innen und andere Aktivist*innen vorzugehen. In den darauffolgenden Wochen wurden fast 250 Anwält*innen und Aktivist*innen von Angehörigen der Staatssicherheit befragt oder inhaftiert, und viele ihrer Büros und Wohnungen wurden durchsucht. Bisher sind zehn Personen wegen "Untergrabung der Staatsgewalt", "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" oder "Anfangen von Streit und Provozieren von Ärger" schuldig gesprochen worden. Zwei von ihnen befinden sich immer noch in Haft, drei haben Bewährungsstrafen erhalten und eine Person wurde nicht verurteilt, steht aber weiterhin unter Überwachung.