Die dänische Einwanderungsbehörde hat bis zum 1. April 2021 bereits 380 Syrer*innen die Aufenthaltserlaubnis entzogen oder nicht verlängert. Sie alle warten jetzt entweder auf die endgültige Entscheidung der höherinstanzlichen dänischen Behörde für Berufungsverfahren von Geflüchteten oder haben diese bereits erhalten. Bis April 2021 haben mindestens 39 Syrer*innen, die vor dem bewaffneten Konflikt in Syrien nach Dänemark geflohen waren, einen endgültigen Ablehnungsbescheid ihres Asylantrags erhalten und haben dort nun den sogenannten 'Ausreisestatus'. Das heißt, dass ihnen bei der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit der syrischen Regierung die Abschiebung nach Syrien droht.
30 Tage nach Ablehnung eines Asylantrags, Entzug eines bestehenden Schutztitels oder Nicht-Verlängerung des Schutztitels werden die syrischen Geflüchteten in sogenante "Ausreisezentren" gebracht, wo sie weder arbeiten noch lernen dürfen. Dänemark unterhält zurzeit keine diplomatischen Beziehungen mit Syrien und kann daher keine Abschiebungen durchführen. Laut dem dänischen Ausländergesetz könnten die dänischen Behörden "motivierende" Maßnahmen einschließlich einer Inhaftierung ergreifen, um ausländische Staatsangehörige ohne regulären Aufenthaltstitel zu "motivieren", "freiwillig" in ihr Herkunftsland zurückzugehen.
Amnesty International ist tief besorgt, dass Syrer*innen ohne Aufenthaltstitel starke Einschränkungen auferlegt werden und sie möglicherweise sogar in Haft kommen, um einen "Anreiz" für ihre "freiwillige" Rückkehr nach Syrien zu schaffen. Da die Betroffenen in "Ausreisezentren" ohne Zugang zu Arbeit und Bildung bzw. Ausbildung kommen, lässt ihnen die dänische Regierung kaum Alternativen und könnte sie so zur Rückkehr nötigen. Amnesty International ist der Ansicht, dass das Verwehren eines regulären Aufenthaltsstatus' sowie von Arbeit und Ausbildung die betroffenen Syrer*innen in eine Lage bringt, in der sie dazu genötigt sind, nach Syrien zurückzukehren. Dies ist ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Non-Refoulement-Prinzip, demzufolge Staaten niemanden direkt oder indirekt in ein Land abschieben dürfen, in dem dieser Person schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
In Syrien drohen Menschenrechtsverletzungen
Die Einstellung der Kampfhandlungen in bestimmten Teilen Syriens bedeutet nicht, dass Menschen sicher dorthin zurückgehen können. Amnesty International hat die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in Syrien umfassend dokumentiert. Der Zivilbevölkerung, einschließlich zurückkehrender Geflüchteter, drohen in Syrien schwere Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen oder Verschwindenlassen.
Die dänischen Behörden nutzen das derzeitige Ausbleiben von Kampfhandlungen in Damaskus und der Rif-Region als Rechtfertigung, um Syrer*innen die Aufenthaltserlaubnis entweder zu entziehen oder diese nicht zu verlängern. Laut Dokumentationen von Amnesty International drohen Bewohner*innen der Stadt Damaskus und der Rif-Region trotz des Ausbleibens von Kampfhandlungen bei einer Rückkehr nach wie vor Verfolgung und andere schwere Menschenrechtsverletzungen, und sie benötigen daher weiterhin internationalen Schutz.
Amnesty International recherchiert aktuell zu Menschenrechtsverletzungen gegen syrische Geflüchtete, die in Gebiete zurückgekehrt sind, die von der syrischen Regierung kontrolliert werden – darunter auch Damaskus. Die bisherigen Recherchen von Amnesty International belegen, dass Zivilpersonen, die nach Syrien zurückkehren, sich einer "Sicherheitsüberprüfung" unterziehen müssen. Hierzu werden sie von syrischen Sicherheitskräften verhört, die für weitreichende und systematische Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Sie stellen Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar und umfassen unter anderem Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und Verschwindenlassen.
Migrations- und Flüchtlingspolitik in Dänemark
2019 nahm die dänische Regierung einen sogenannten "Paradigmenwechsel" in ihrer Migrations- und Flüchtlingspolitik vor. Der Fokus verschob sich von einer Politik der Unterstützung mit dem Ziel der Integration zu einem Hoffen auf kurzen Schutzbedarf und den Einsatz aller möglichen Maßnahmen, um eine Rückführung zum frühestmöglichen Zeitpunkt durchsetzen zu können. Dabei wurde der bis dahin gewährte dauerhafte Aufenthaltsstatus für Geflüchtete mit Schutzbedarf abgeschafft und durch eine zeitlich befristete Aufenthaltserlaubnis ersetzt.
Im Dezember 2019 lehnte die dänische Behörde für Berufungsverfahren von Geflüchteten den Antrag auf Asyl von drei syrischen Staatsangehörigen aus Damaskus mit der Begründung ab, dass ihnen aufgrund der "allgemeinen Lage" dort keine Verfolgung drohe. Die Behörde stützte ihre Entscheidung zum Teil auf einen Bericht der dänischen Migrationsbehörde vom 21. Februar 2019, demzufolge Syrer*innen aus Damaskus nicht durch "ständige Gewalt in Damaskus" gefährdet seien. Vor diesem Hintergrund beschloss das Ministerium für Einwanderung und Integration im Juni 2020, die Prüfung von Aufenthaltstiteln von rund 900 Geflüchteten aus Damaskus zu beschleunigen, denen aufgrund der ständigen Gewalt in Syrien ein zeitlich befristeter Schutzstatus eingeräumt worden war. Seit Februar 2021 gilt diese Entscheidung auch für Menschen aus dem Regierungsbezirk Rif-Damaskus.