Die thailändische Regierung bestraft Minderjährige für die Ausübung ihres Rechts auf friedliche Versammlung und freie Meinungsäußerung. Seit Juli 2020 hat die Regierung Strafverfahren gegen mindestens 283 Jugendliche im ganzen Land eingeleitet, weil sie friedlich protestiert und ihre Meinung geäußert haben. Bei den Protesten riefen Minderjährige in ganz Thailand zu politischen Reformen auf und forderten eine Verbesserung des Bildungssystems, den Schutz von Minderheitenrechten und die Gleichstellung der Geschlechter. Dafür begegnet die Regierung den jungen Menschenrechtsverteidiger*innen mit Schikanen, Überwachung und Einschüchterungen. Dieses harte Vorgehen hat weitreichende Konsequenzen und beschränkt die Möglichkeit von Minderjährigen, ihr Recht auf Protest wahrzunehmen.
Proteste 2020
Im Jahr 2020 führten junge Menschen, darunter Studierende und Sekundarschüler*innen unter 18 Jahren, eine Welle friedlicher Proteste in ganz Thailand an. Die Demonstrationen breiteten sich von Schulen und Universitäten auf die Straßen aus. Die thailändischen Behörden begannen als Reaktion darauf mit der Inhaftierung und strafrechtlichen Verfolgung der Teilnehmer*innen und Organisator*innen, insbesondere nachdem bei den Protesten Forderungen nach Reformen im Zusammenhang mit der Monarchie laut geworden waren.
Ursprünglich durch den Wunsch nach demokratischen Reformen ausgelöst, umfasste die von jungen Menschen angeführte Protestbewegung Forderungen nach Verfassungsänderungen, sozialen Reformen, einem Ende der Unterdrückung von Regierungskritiker*innen sowie eine Verbesserung der Bildung und der Sicherheit an Schulen. Die Demonstrierenden setzten sich auch für die Rechte von Frauen, indigenen Gemeinschaften, LGBTI+ und ethnischen Minderheiten ein. Bei den Protesten auf der Straße wurden Partys, Diskussionen, Flashmobs, Sitzstreiks, Live-Theater und -Musik, Modeschauen und Kunst veranstaltet und präsentiert. Die jungen Menschen verbreiteten ihre Aktionen und Meinungen online. Sie machten sich Parodien, Satire und bekannte Motive der Jugendkultur zu Nutze, um ihre Forderungen nach Veränderung zu untermalen. Teenager und jüngere Kinder unter 18, oft in Schuluniformen oder Streetfashion, wurden zum Gesicht der Demonstrationen.
Repressionen der thailändischen Behörden
Seit Mitte 2020 haben die thailändischen Behörden im Zuge ihrer anhaltenden Unterdrückung der friedlichen Proteste straf- und zivilrechtliche Verfahren gegen mindestens 283 Minderjährige eingeleitet, weil sie friedlich ihre Rechte wahrgenommen haben. Kinder, die an den friedlichen Demonstrationen teilgenommen oder ihre gesellschaftlichen und politischen Ansichten in Reden oder satirischen Kommentaren im Internet geteilt haben, müssen mit Inhaftierung, langwierigen Gerichtsverfahren, Einschüchterung, Schikanen und Überwachung rechnen.
Die Behörden begründeten die strafrechtliche Verfolgung der meisten Minderjährigen mit Verstößen gegen die offiziellen Beschränkungen für öffentliche Versammlungen, die im Rahmen des Notstandsdekrets zur Bekämpfung der Ausbreitung von Covid-19 verhängt worden waren. Das Dekret galt für mehr als zwei Jahre zwischen dem 26. März 2020 und dem 30. September 2022. Einige der Jugendlichen stehen auch wegen Paragraf 112 (Majestätsbeleidigung) und Paragraf 116 (Aufwiegelung) des Strafgesetzbuches unter Anklage. Paragraf 112 sieht eine Freiheitsstrafe von drei bis fünfzehn Jahren für Personen vor, die "den König, die Königin, Thronfolger*innen oder Regent*innen verleumden, beleidigen oder bedrohen". Paragraf 116 des Strafgesetzbuchs verbietet es, "Unruhe und Unzufriedenheit im Volk zu stiften, wodurch Aufruhr im Land hervorgerufen werden könnte oder die Menschen dazu veranlasst werden könnten, gegen Gesetze zu verstoßen". Bei einem Verstoß ist eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren vorgesehen. Internationale Menschenrechtsexpert*innen haben den thailändischen Behörden empfohlen, diese und andere Gesetze zu ändern oder aufzuheben, um die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Thailands zu gewährleisten.
Thailand unterliegt internationalen Verpflichtungen, darunter dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes, und muss somit die Rechte von Minderjährigen auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung schützen und gewährleisten, sodass sie davon Gebrauch machen können, ohne Vergeltungsmaßnahmen fürchten zu müssen. Durch diese Rechte haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich für ihre Menschenrechte und andere Themen, die sie betreffen, einzusetzen.
Betroffene
Thanakorn "Petch" Phiraban aus Bangkok setzt sich für LGBTIQ-Rechte ein und wurde am 22. November sowie am 22. Dezember 2022 in zwei separaten Anklagepunkten wegen Verstoßes gegen Paragraf 112 des Strafgesetzbuchs für schuldig befunden. Thanakorn Phiraban hatte im September und Dezember 2020 bei friedlichen Protesten in Bangkok Reden gehalten. Thanakorn Phiraban war die erste minderjährige Person, die wegen Majestätsbeleidigung strafrechtlich verfolgt wurde und nun eine Strafe in einem Berufs- und Ausbildungszentrum für Jugendliche ableisten muss. Thanakorn Phirabans zweite Strafe wurde von den Behörden mit Auflagen zur Bewährung ausgesetzt. Es sind jedoch noch weitere Anklagepunkte unter Paragraf 112 des Strafgesetzbuchs und dem Notstandsdekret gegen Thanakorn Phiraban anhängig.
Gegen Chan Tonnamphet, eine 18-jährige Aktivistin, die sich für die Rechte der indigenen Karen-Gemeinschaft einsetzt, laufen derzeit ebenfalls polizeiliche Ermittlungen. Ihr wird vorgeworfen, im Januar 2022 im Alter von 17 Jahren gegen die Einschränkungen von friedlichen Protesten unter dem Notstandsdekret verstoßen zu haben. Sie hatte bei einem Sit-in-Protest eine öffentliche Rede gehalten, in der sie über die Forderungen ihrer Gemeinschaft an die Behörden sprach, um auch die Stimmen von Menschen aus ihrer Gemeinschaft zu vermitteln, die nicht Thai sprechen. Die Angehörigen ihrer Gemeinschaft sind Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden. Dazu zählt auch das Verschwindenlassen des Menschenrechtsverteidigers Billy Rakchongcharoen, das im Zusammenhang mit der gewaltsamen Vertreibung und Umsiedlung aus dem angestammten Land der Gemeinschaft im Nationalpark Kaeng Krachan in der Provinz Petchaburi im Westen Thailands steht.
"Sand" (Pseudonym zum Schutz ihrer Identität) ist eine 17-jährige Aktivistin, die sich an den Protesten beteiligt hatte, um sich für Gleichberechtigung an Schulen und politische Veränderung einzusetzen. Sie wurde wegen ihres Aktivismus überwacht, belästigt und wegen ihrer Teilnahme an den friedlichen Protesten in elf Fällen nach dem Notstandsdekret und den damit verbundenen Gesetzen angeklagt. Derzeit läuft ein Verfahren gegen sie wegen eines Verstoßes gegen das Notstandsdekret, weil sie während ihrer Schulferien an einer Demonstration in Bangkok teilgenommen hatte.