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Venezuela: Politologe willkürlich in Haft

Venezuela.

Der venezolanische Politologe Nicmar Evans wurde im Juli 2020 von Sicherheitskräften festgenommen. Angeblich hatte er sich auf Twitter kritisch über die Politik von Nicolás Maduro geäußert. Bei einer Anhörung vor Gericht warf man Nicmar Evans „Eintreten für Hass“ vor.

Fordere jetzt, dass Nicmar Evans unverzüglich freigelassen und die Anklagen gegen ihn fallengelassen werden.

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Am 13. Juli 2020 erschienen Sicherheitskräfte in der Wohnung von Nicmar Evans in Caracas, schikanierten seine Familie und nahmen ihn fest. Berichten zufolge handelte es sich bei den Sicherheitskräften um Angehörige der militärischen Spionageabwehr (DGCIM) und der Sonderermittlungseinheit Cuerpo de Investigaciones Científicas, Penales y Criminalísticas (CICPC).

Nicmar Evans befindet sich im Gewahrsam der DGCIM und ihm wird „Eintreten für Hass“ vorgeworfen, weil er sich in den Sozialen Medien kritisch über die Politik von Nicolás Maduro geäußert haben soll. Der Generalstaatsanwalt muss bis zum 31. August entweder Anklage erheben oder das Verfahren einstellen. Amnesty International fordert, dass Nicmar Evans freigelassen wird und die Anklagen gegen ihn fallengelassen werden.

Bis zum 17. Juli befand er sich ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft, dann wurde er vor ein Gericht gebracht, ohne dass seine Rechtsbeistände oder Familienangehörigen darüber informiert wurden. Der Vorwurf „Eintreten für Hass“ ist eine Straftat unter dem umstrittenen „Gesetz gegen Hass“ (Ley Constitucional contra el Odio, por la Convivencia Pacífica y la Tolerancia) von 2017. Die Vorwürfe basieren auf Nachrichten in den Sozialen Medien, mit denen er Meinungen ausgedrückt haben soll, „die der Ideologie von Nicolás Maduro zuwiderlaufen“.

Laut Angaben seiner Rechtsbeistände wurden in dem von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweismaterial die Twitternachrichten bzw. öffentlichen Äußerungen, in denen ihr Mandant mutmaßlich für Hass eingetreten sein soll, nicht näher spezifiziert. Die Akten enthalten keinerlei Abschriften oder Screenshots der vorgeblich verfänglichen Nachrichten.

Niemand darf allein aufgrund der Wahrnehmung des Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert werden.

Amnesty International ist besorgt über die andauernden willkürlichen Inhaftierungen, die Folter, das Verschwindenlassen und andere Menschenrechtsverletzungen in Venezuela, insbesondere da die Regierung die COVID-19-Pandemie dazu nutzt, ihre Macht in noch größerem Umfang zu missbrauchen.

Hintergrundinformationen

Während die Welt mit der COVID-19-Pandemie ringt, nutzt die Regierung von Nicolás Maduro die Krise dazu, die eigene Macht weiter auszubauen und zu missbrauchen. Die Regierung nimmt immer mehr tatsächliche oder vermeintliche Mitglieder der Opposition und andere Kritiker*innen willkürlich fest. Darüber hinaus gibt es Belege für Folter, Verschwindenlassen und außergerichtliche Hinrichtungen durch die Regierung.

Das „Gesetz gegen Hass“ wird seit seiner Einführung 2017 von zahlreichen lokalen und internationalen Organisationen kritisiert. Der Gesetzestext wurde von der Nationalen Verfassungsversammlung vorgelegt und verabschiedet, die ihrerseits 2017 nach einer umstrittenen Wahl eingerichtet wurde. Obwohl die Verfassungsversammlung offiziell nicht die Befugnis hat, Gesetze zu entwerfen und anzunehmen, hat sie bereits mehrere gesetzliche Verordnungen verabschiedet, die seither von der Justiz zur Rechtsprechung verwendet werden.

Die Inhaftierung von Nicmar Evans ist ein weiteres Beispiel für die Repression durch die Regierung Maduro. Einschüchterung, Schikane, Folter, willkürliche Inhaftierungen und das Verschwindenlassen sind übliche Praxis der militärischen Spionageabwehr und der Regierung. Seit mehreren Jahren sehen sich Dutzende Mitglieder der Opposition anlässlich der Drohungen der Maduro-Regierung gezwungen, das Land zu verlassen und im Ausland Asyl zu suchen. Andere wurden willkürlich festgenommen, weil sie mit führenden Oppositionspolitiker*innen oder oppositionellen Aktivist*innen verwandt sind oder mit ihnen in Verbindung stehen. In Venezuela riskieren Menschen, die die Regierung kritisieren oder sich Protesten anschließen, eine Inhaftierung und einige fallen dem Verschwindenlassen zum Opfer oder werden von den Sicherheitskräften getötet. Im Kontext der derzeitigen Pandemie werden medizinisches Personal, Journalist*innen und andere Personen inhaftiert, wenn sie über neue Fälle von COVID-19 berichten oder auf die Knappheit an medizinischen Gütern und Gütern der Grundversorgung hinweisen.

In dem 2019 veröffentlichten Bericht Hunger for Justice: Crimes against Humanity in Venezuela kommt Amnesty International zu dem Schluss, dass die selektiven außergerichtlichen Hinrichtungen, willkürlichen Inhaftierungen und die Toten und Verletzten infolge der exzessiven Gewaltanwendung der Regierung von Nicolás Maduro, die Teil der systematischen und weitverbreiteten Repression seit mindestens 2017 sind, Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleichkommen könnten.

 

Seit 2014 flüchten so viele Venezolaner*innen wie nie zuvor auf der Suche nach Sicherheit und einem menschenwürdigen Leben ins Ausland. Im März 2020 hatten bereits 5,2 Millionen Menschen das Land verlassen. In der COVID-19-Krise sind viele im Ausland lebende Venezolaner*innen angesichts kollabierender Volkswirtschaften und dem Mangel an Unterstützung für geflüchtete Menschen durch die direkten und indirekten Folgen der Pandemie gezwungen, nach Venezuela zurückzukehren. Ihnen drohen bei der Rückkehr Vergeltungsmaßnahmen durch die Regierung.