© Grzegorz Żukowski
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Action

Polen: Bestraft für ihren Einsatz für Toleranz

14 Frauen demonstrieren in Warschau friedlich gegen Rassismus – und werden dafür beschimpft und angegriffen. Weder die Polizei noch die Regierung beschützen die Demonstrantinnen. Wie kann das sein?

Am 11. November 2017, dem polnischen Unabhängigkeitstag, stellen sich 14 Frauen mit einem Banner auf die Straße nahe der Poniatowski-Brücke. Inmitten einer Demonstration, deren Teilnehmer*innen rassistische Parolen schreien und ein „weißes Polen und Europa“ fordern, erheben sie ihre Stimmen für Toleranz und gegenseitigen Respekt. „Stoppt Faschismus“ steht auf dem Banner geschrieben.

Jedes Jahr am 11. November gehen die Menschen in Warschau auf die Straßen. Sie feiern Polens Unabhängigkeit im Jahr 1918 nach der jahrzehntelangen Teilung des Staates durch Preußen, Österreich-Ungarn und Russland. Doch neben offiziellen Feierlichkeiten finden an diesem Tag auch Märsche nationalistischer Organisationen statt – so auch am 11. November 2017 nahe der Poniatowski-Brücke.

Die Situation eskaliert schnell. Die teils betrunkenen Teilnehmer*innen des nationalistischen Marsches beschimpfen die 14 Frauen wegen ihres friedlichen Protests. Sie treten, schlagen, würgen und bespucken sie.

Sie begannen, an unserer Kleidung zu ziehen. Sie beschimpften uns. Ich wurde mehrere Male von hinten getreten. Seitdem habe ich Probleme mit meinem Nacken.

Elzbieta, eine der 14 Frauen

Einige Demonstrierende und Organisator*innen der Veranstaltung versuchen vergeblich, die Frauen zu beschützen. Eine Demonstrantin wird zu Fall gebracht, verliert das Bewusstsein und muss medizinisch versorgt werden.

Eine Aktivistin habe anschließend die Polizei angerufen, um den Vorfall zu melden, so die Angaben der Frauen. Die Beamt*innen seien erst nach etwa einer halben Stunde gekommen, als die Angreifer*innen schon weitergezogen waren. Sie hätten die Daten der Frauen aufgenommen und sie gefragt, warum sie überhaupt zur Demonstration gekommen seien. Die Polizist*innen hätten impliziert, dass der friedliche Protest eine Provokation gewesen sei.

Untersuchung eingestellt

Nach dem Vorfall reichten die 14 Frauen von der Poniatowski-Brücke eine Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft wegen schwerer Körperverletzung ein. Als Beweismaterial legten sie Videos und Fotos von der Demonstration und ärztliche Dokumentationen der erlittenen Verletzungen vor. Doch am 31. September 2018 entschied die Staatsanwaltschaft, die Untersuchung der Attacke gegen die Frauen einzustellen, da das Verfahren von keinem öffentlichen Interesse sei. Die Angreifer*innen hätten lediglich ihren Unmut darüber geäußert, dass die Frauen ihre Marschroute blockierten.

Doch damit nicht genug. Anstatt die für den Angriff Verantwortlichen zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen, verurteilten die Behörden neun der 14 Frauen wegen „Störung einer rechtmäßigen Versammlung“ zu Geldstrafen. Zudem müssen sie die Gerichtskosten tragen. Und alles nur, weil sie friedlich ihre Meinung geäußert und ein Zeichen gegen Rassismus, Intoleranz und Faschismus gesetzt haben.

„Ich kann nicht glauben, dass in Warschau, einer Stadt, die während des Warschauer Aufstands [1944] von Faschisten dem Erdboden gleichgemacht wurde, wieder Faschist*innen durch das Stadtzentrum marschieren und jemand für den Versuch, sie zu stoppen, verurteilt wird,“ sagte die Anwältin der Frauen. Gegen die Entscheidung, die Untersuchung des Angriffs einzustellen, erhoben die Frauen Einspruch. Sie warten bis heute auf ein Urteil.

Update

Durch den Einsatz von tausenden Menschen und die unermüdlichen Einsatz der 14 Menschenrechtsverteidigerinnen, entschied am 13. Februar 2019 ein polnisches Gericht, dass die Untersuchungen zu den Angriffen wieder aufgenommen werden müssen.

Strafe wegen friedlichem Protest

Das Vorgehen gegen die Demonstrantinnen in Polen ist kein Einzelfall: Amnesty beobachtet und kritisiert, dass friedlich Demonstrierende in autoritären und illiberalen Staaten auf der ganzen Welt diffamiert, überwacht und sogar inhaftiert werden. Oft versagt die Polizei dabei, Teilnehmer*innen von Demonstrationen vor Hass und Gewalt zu schützen. Die Reaktionen der polnischen Regierung und Polizei sind besorgniserregend – nicht nur für die Betroffenen, sondern für alle Menschen in Polen: Anstatt den Vorfall gründlich zu untersuchen, wird ein friedlicher Protest als „Störaktion“ dargestellt und die Organisatorinnen werden strafrechtlich verfolgt.

Die Strafen gegen uns sollen vermutlich als Warnung verstanden werden. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir suchen nicht bloß Gerechtigkeit für uns. Wir wollen vor allem das Ungleichgewicht aufzeigen, das zwischen der Polizei und Protestierenden wie uns herrscht

Kryska, eine der 14 Frauen

Polen hat eine lange Protesttradition: Die Menschen haben in der Vergangenheit immer wieder auf den Straßen friedlich für ihre Rechte demonstriert – und so die Gesellschaft und die Geschichte des Landes verändert. Seit 2016 demonstrieren die Menschen in Polen gegen repressive Gesetze, die die Frauenrechte einschränken und die Unabhängigkeit der Justiz unterwandern.

Amnesty-Recherchen haben gezeigt, dass friedlich Demonstrierende mit restriktiven Maßnahmen konfrontiert sind, die ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletzen: Hunderte befinden sich in Polizeigewahrsam und müssen langwierige Gerichtsverfahren durchlaufen. Hinzu kommt, dass Schikanen oder Gewalt durch rechtsextreme oder nationalistische Gruppen von den Behörden routinemäßig toleriert werden, solange sie sich gegen Gegendemonstrierende richten. Im Gegensatz dazu wird friedlichen regierungskritischen Protestierenden häufig mit groben Polizeimaßnahmen und Strafverfolgung begegnet.

Mit unserer Kampagne „Es beginnt hier“ legen wir einen Schwerpunkt auf die Situation in Polen. Wir kämpfen Seite an Seite mit den Menschen, die für die Menschenrechte aufstehen, und setzen uns für die 14 Frauen von der Poniatowski-Brücke ein.