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Iran: Vergangene Woche mindestens 60 Menschen bei Protesten getötet, UN-Menschenrechtsrat muss schnell handeln

23. November 2022

Die Mitgliedstaaten des UN-Menschenrechtsrats müssen dringend einen Untersuchungs- und Rechenschaftsmechanismus für den Iran einrichten, um die alarmierende Zunahme an rechtswidrigen Tötungen und anderen Menschenrechtsverletzungen anzugehen. Dies fordert Amnesty International heute nach einer Woche, in der iranische Sicherheitskräfte mindestens 60 Protestierende, Trauernde und unbeteiligte Dritte getötet haben, darunter auch Kinder.

Scharfe Munition gegen Demonstrierende

Die Sicherheitskräfte halten rücksichtslos an ihrem weit verbreiteten Einsatz rechtswidriger tödlicher Gewalt fest und zeigen damit ihre klare Absicht, Demonstrierende zu töten oder zu verstümmeln, um die Unruhen um jeden Preis niederzuschlagen. Seit dem 15. November setzen sie außerdem verstärkt scharfe Munition ein, um Proteste in den von Kurd*innen und anderen unterdrückten ethnischen Minderheiten bewohnten Provinzen aufzulösen.

„Auf der Sondersitzung zum Iran am 24. November haben die Mitgliedstaaten des UN-Menschenrechtsrats die Möglichkeit, den Forderungen der Menschen im Iran, die weiterhin ihr Leben riskieren, um für Menschenrechte, Freiheit und eine Rechenschaftspflicht für die Tötung von Demonstrierenden zu protestieren, Nachdruck zu verleihen. Es ist entsetzlich, dass so viele Männer, Frauen und Kinder ihren Ruf nach einer besseren Zukunft, in der ihre Rechte respektiert werden, mit dem Leben bezahlen müssen“, sagt Agnès Callamard, die Internationale Generalsekretärin von Amnesty International.

Die Lage im Iran erfordert eine tragfähige Resolution zur Einrichtung eines unabhängigen Untersuchungs- und Rechenschaftsmechanismus für den Iran, um Beweise für Verbrechen zu sammeln und zu sichern, gegen Straflosigkeit vorzugehen und eine klare Botschaft an die iranischen Behörden zu senden, dass sie nicht länger ungehindert Verbrechen nach internationalem Recht begehen können.

Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International

Amnesty International dokumentiert Namen von 305 getöteten Personen

Seit dem Ausbruch von Protesten Mitte September hat Amnesty die Namen und Daten von 305 Personen dokumentiert, die von Sicherheitskräften getötet wurden. Darunter befanden sich auch mindestens 41 Kinder. Allein in der vergangenen Woche wurden nach Informationen von Amnesty International 53 Männer, 2 Frauen und 5 Kinder in 10 Provinzen des Iran getötet, die meisten von ihnen (42) in kurdisch besiedelten Gebieten. Hauptleidtragende des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte waren Angehörige der unterdrückten ethnischen Minderheiten im Iran, darunter Belutsch*innen und Kurd*innen. Die Ermittlungen zur Identität der Getöteten dauern noch an, wobei die tatsächliche Zahl der Todesopfer weitaus höher sein dürfte.

Mehr als zwei Monate nach Beginn der Unruhen hat die systematische Straflosigkeit die iranischen Behörden ermutigt, nicht nur weiterhin rechtswidrig tödliche Gewalt anzuwenden, sondern auch auf die Todesstrafe als Mittel zur Einschüchterung und politischen Unterdrückung zurückzugreifen. Seit Ende Oktober 2022 haben die Behörden gegen mindestens 21 Personen, die alle im Zusammenhang mit den Protesten angeklagt waren, in grob unfairen Prozessen vor Revolutionsgerichten die Todesstrafe beantragt. Dabei kam es zu beunruhigenden Aufrufen von Beamt*innen, die Verfahren zu beschleunigen und die Angeklagten öffentlich hinzurichten.

In dem Versuch, die internationale Unterstützung für die Sondersitzung und die Einrichtung eines Untersuchungsmechanismus beim UN-Menschenrechtsrat zu schwächen, haben die iranischen Behörden fälschlicherweise behauptet, dass sie ihr Vorgehen entschärfen und Untersuchungen durchführen würden.

Rechtswidrige Tötungen gehen unvermindert weiter

Seit dem 15. November 2022 gehen die iranischen Sicherheitskräfte unvermindert in großem Umfang mit rechtswidriger Gewalt – auch mit tödlichem Ausgang – gegen Demonstrierende vor und haben in den Provinzen Buschehr, Ost-Aserbaidschan, Isfahan, Fars, Gilan, Hormozgan, Kermānschāh, Chuzestan, Kurdistan und West-Aserbaidschan mindestens 60 Menschen getötet. Unter den Toten befanden sich Demonstrierende, Trauernde und unbeteiligte Dritte. 

Am 20. November töteten Sicherheitskräfte mindestens zwei Kinder: Baha'edin Veisi aus Javunrud in der Provinz Kermanschah and Karvan Ghadir Shakri aus Piranschahr in der Provinz Aserbaidschan waren beide 16 Jahre alt. Einige Tage zuvor, am 16. November hatten Sicherheitskräfte rechtswidrig mindestens drei Kinder getötet. Sicherheitskräfte erschossen Kian Pirfalak (10) und Artin Rahmani (14) in Izeh in der Provinz Chuzestan, während der 17-jährige Danial Pabandi bei einer Demonstration in Saqqez in der Provinz Kurdistan von Sicherheitskräften getötet wurde.

Letzte Woche war es drei Jahre her, dass Sicherheitskräfte bei landesweiten Protesten im November 2019 Hunderte von Männern, Frauen und Kindern töteten. Bei Demonstrationen anlässlich dieses Jahrestages kam es zu rechtswidriger Gewaltanwendung und weiteren Tötungen. Außerdem kam es zu Unterbrechungen der Internet- und Mobilfunkverbindungen.

„Während sich die Mitgliedstaaten des UN-Menschenrechtsrats in dieser Woche auf die Sondersitzung am Donnerstag vorbereiten, lassen die Sicherheitskräfte des Landes weiterhin ein Sperrfeuer auf Männer, Frauen und Kinder los und erzwingen gleichzeitig Mobilfunk- und Internetsperren, um ihre Verbrechen vor der Welt zu verbergen. Dieses Vorgehen, bei dem Hunderte von Demonstrierende im Schutze der Dunkelheit getötet werden, erinnert an die Niederschlagung der Proteste im November 2019 durch die iranischen Behörden und ist ein Beleg dafür, dass das damalige Ausbleiben einer angemessenen Reaktion der internationalen Gemeinschaft das anhaltende Blutvergießen ermöglicht hat. Es ist nun höchste Zeit, dass die Mitgliedstaaten des UN-Menschenrechtsrats ihren Teil dazu beitragen, diesen Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen“, so Agnès Callamard.