Gefoltert und außergerichtlich hingerichtet
Drei weitere Männer, die sich in Muradis Haus aufgehalten hatten, wurden festgenommen und dann außergerichtlich hingerichtet. Zwei von ihnen waren Mitglieder derselben lokalen Miliz gewesen, der auch Mohamad Muradi angehörte, allerdings hatten sie sich seit geraumer Zeit nicht mehr an Aktionen der Miliz beteiligt.
Ghulam Haider Mohammadi, Muradis Neffe, hatte Verwandte besucht. Fotos von Ghulam Haider Mohammadis Leiche zeigen, dass er mit mindestens einem Kopfschuss hingerichtet wurde, während er kniete und seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Einheimische fanden seine Leiche etwa 50 Meter von Muradis Haus entfernt zwischen einigen Steinen in einem Gebiet mit zahlreichen Bäumen.
Zeug*innen berichteten Amnesty International, dass die beiden anderen Opfer – Asif Rezayee und Arif Sangaree – in ein Fahrzeug gesetzt und weggefahren wurden, um an einem anderen Ort getötet zu werden. Die Leichen der beiden Männer wurden später in einem unbewohnten Teil von Takeghal entdeckt, mehr als 30 Autominuten von dem Ort entfernt, an dem sie ursprünglich festgenommen worden waren.
Asif Rezayee hatte in Kabul gelebt, war aber einige Tage zuvor in sein Heimatdorf zurückgekehrt, um Familienangehörige zu besuchen. Rezayee wurde durch Schüsse hingerichtet, während seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Fotos und ein Video von seiner Leiche zeigen vier verschiedene Schusswunden am Kopf, an der Brust, dem rechten Oberschenkel und der linken Hand. Aufgrund der Art der Wunden, der offensichtlichen Flugbahn der Kugeln und der Schießpulverflecken wurden die Wunden am Bein und an der Hand vor der Hinrichtung aus nächster Nähe zugefügt. Eine solche vorsätzliche Zufügung von Schmerzen an einem gefesselten Häftling stellt Folter dar, ein Verbrechen nach dem Völkerrecht.
Fotos deuten darauf hin, dass sich Arif Sangaree ebenfalls in Gewahrsam befand und gefesselt hingerichtet wurde, mit mindestens einem Schuss aus nächster Nähe in den Kopf. Eines der von den Taliban auf Facebook geposteten Fotos, auf dem sie sich für die erfolgreiche Operation rühmen, zeigt Sangaree mit einer großen Wunde im Gesicht, die von frischem, hellrotem arteriellem Blut umgeben ist, was darauf hindeutet, dass die Taliban das Foto unmittelbar nach seinem Tod aufgenommen haben. Im Gegensatz dazu zeigen Fotos von Personen, die die Leiche entdeckt haben, Sangaree mit der gleichen Wunde, aber das Blut ist dunkel und getrocknet, was bedeutet, dass diese Fotos später gemacht wurden.
Racheakte der Taliban
Die Taliban-Nachrichtenquellen, die das Bild von Arif Sangarees Leiche veröffentlichten, beschrieben die nächtliche Razzia als eine „gezielte Operation", die in einem Kampf zwischen „Rebellen" bzw. „Mudschaheddin" und den Taliban gipfelte. In dem Bericht hieß es, sieben Rebellen seien getötet, festgenommen und verwundet worden, ein Taliban-Mitglied sei getötet und zwei weitere verwundet worden.
Zur Rechtfertigung der Tötungen hieß es in der Erklärung weiter, der Einsatz sei erfolgt, nachdem Kämpfer, die mit Mawlavi Mahadi, dem Hazara-Führer einer Gruppe von Taliban-Überläufern, in Verbindung standen, die Taliban im Bezirk Balkhab in der Provinz Sar-e-Pul angegriffen hätten und dann geflohen seien und sich im Dorf Chahar Asyab einen Stützpunkt aufgebaut hätten. Diese Aussage der Taliban ist falsch. Während diese Kämpfe vom UN-Sonderberichterstatter für die Lage der Menschenrechte in Afghanistan in seinem Bericht vom 6. September 2022 dokumentiert wurden, der auch Fälle von Taliban-Hinrichtungen von Kämpfern, die nicht mehr kampffähig waren („hors de combat") enthält, waren Muradi und seine Familienmitglieder weder Mitglieder von Mahadis Gruppe noch an dieser Reihe von Angriffen beteiligt. Nach Ansicht von Amnesty International ist die Rechtfertigung der Taliban vielmehr ein Vorwand, um ethnische Minderheiten und Sicherheitskräfte, die mit der früheren Regierung in Verbindung stehen, ins Visier zu nehmen.