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Der Ausbruch von COVID-19 sorgt derzeit für eine beispiellose weltweite Gesundheitskrise. Technologie kann und sollte eine wichtige Rolle in der Bekämpfung der Krankheit spielen, unter anderem in der Verbreitung von Gesundheitsinformationen und in der Verbesserung des Zugangs zu Gesundheitsversorgung. Im Namen des Kampfes gegen COVID-19 beeilen sich jedoch einige Regierungen, verstärkt Überwachungstechnologien einzusetzen, um Einzelpersonen oder sogar die gesamte Bevölkerung zu kontrollieren.
Werden solche Maßnahmen nicht kritisch betrachtet, haben sie das Potenzial, die Zukunft unserer Privatsphäre und anderer Menschenrechte grundlegend zu verändern.
Es ist die Pflicht von Regierungen, das Recht der Bevölkerung auf Gesundheit zu garantieren und Epidemien vorzubeugen, gegen sie aktiv zu kämpfen und sie zu kontrollieren. Um dieser Pflicht nachzukommen, können sie vorrübergehend Menschenrechte beschränken und damit auf Gesundheitskrisen rechtzeitig und koordiniert reagieren. Die Einführung umfassender Überwachungsmaßnahmen ist jedoch unrechtmäßig, wenn diese nicht strengen Kriterien genügen. Regierungen müssen beweisen können, dass ihre angewandten Maßnahmen gesetzmäßig, notwendig, verhältnismäßig sowie zeitgebunden sind und außerdem auf transparente Weise und unter adäquater Aufsicht umgesetzt werden.
Das bedeutet in der Praxis, dass Überwachungsmaßnahmen das am wenigsten einschneidende Mittel zum Erreichen des erwünschten Ergebnisses darstellen müssen. Sie dürfen keinesfalls größeren Schaden anrichten, als sie Nutzen bringen.
Die jüngere Geschichte lehrt uns aber, dass die reale Gefahr besteht, dass die neuen Überwachungsmechanismen eine bleibende Einrichtung werden könnten. Nach dem 11. September 2001 wurde der Überwachungsapparat deutlich vergrößert. Sind die Ressourcen und Infrastruktur erst einmal da, zeigen die Regierungen oft wenig politischen Willen, sie wieder aufzugeben.
Viele Staaten verschaffen sich als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie durch Mobiltelefone erhobene Bewegungsdaten ihrer Bevölkerung. Österreich, Belgien, Italien, Großbritannien und Deutschland sammeln Berichten zufolge anonymisierte oder aggregierte Bewegungsdaten von Telekom-Unternehmen.
Andere Staaten nutzen Mobiltelefondaten, aber ohne den Schutz durch Anonymisierung oder Aggregation. Medienberichten zufolge genehmigte etwa die ecuadorianische Regierung GPS-Tracking, um Menschen zur Einhaltung der Quarantäne zu zwingen. Mit ihrem Vorstoß, dem Inlandsgeheimdienst die Telefondaten infizierter Personen zu überlassen, ließen die israelischen Behörden bereits Bedenken zum Thema Privatsphäre aufkommen. Dieses System wird scheinbar bereits angewendet; 400 Personen erhielten bereits Kurznachrichten, in denen sie vor potentiellem Kontakt mit infizierten Personen gewarnt wurden.
In Südkorea haben Behörden Informationstexte zum Thema Gesundheit versendet, die von persönlichen Daten infizierter Patient*innen begleitet waren, einschließlich Hyperlinks, die detaillierte Daten zu deren Aufenthaltsort enthielten. Diese Maßnahme lässt die Alarmglocken schrillen, weil sie die ärztliche Verschwiegenheitspflicht verletzt und die Stigmatisierung infizierter Menschen fördert. Sie steht nicht im Einklang mit den gesetzlichen Anforderungen, unter denen Überwachung rechtmäßig ist, sondern stellt eine Verletzung der Privatsphäre dar.
Maßnahmen wie diese werfen wichtige Fragen darüber auf, wie personenbezogene Informationen gesammelt, genutzt und geteilt werden dürfen. Denn sobald persönliche Daten gesammelt werden, besteht die Gefahr, dass sie auch geteilt und für andere Zwecke als Gesundheitsüberwachung verwendet werden.
Einige Staaten versuchen mithilfe von AI und Technologien, die große Datenmengen verarbeiten, COVID-19 zu bekämpfen. China nutzt Berichten zufolge eine Kombination aus „smarten“ Wärmebildkameras und Gesichtserkennungssoftware an öffentlichen Orten, um die Ausbreitung des Virus zu tracken. Der chinesische Technologie-Riese Alibaba brachte eine Tracking-App auf den Markt, die personenbezogene Gesundheitsdaten nutzt und Einzelpersonen einen farbcodierten Gesundheitszustand zuweist. Grün steht für „sicher“, eine gelbe Markierung steht für eine 7-tägige Quarantäne und rot für eine 14-tägige. Das System wird verwendet, um den Zugang von Menschen zu öffentlichen Orten zu regeln. Die App teilt diese Daten mit der Exekutive, was besorgniserregend ist.
In Polen ließ die Regierung eine App entwickeln, die die Einhaltung häuslicher Quarantäne sicherstellen soll. Angaben zufolge werden über diese App Aufforderungen zum Upload von Selfies versendet, die dann mit Gesichtserkennungssoftware verifiziert und Daten zum Aufenthaltsort verglichen werden, um sicherzustellen, dass die Person ihre Quarantäneauflagen nicht verletzt hat. Ähnliche Apps kommen auch in anderen Staaten zur Anwendung, wie etwa Indien, wo ebenfalls Selfies angefordert und mit Standortdaten verglichen werden.
KI-Technologien können ebenfalls die Möglichkeit ungesetzmäßiger Diskriminierung erhöhen und Randgruppen unverhältnismäßig schaden. Viele der eingesetzten Technologien verwenden undurchsichtige Algorithmen mit verzerrten Daten, die auf Vorurteilen beruhen, und die Verwendung derselben für Entscheidungsprozesse verursacht Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen.
Regierungen sollten keine Überwachungstechnologien verwenden, die Daten über das Maß hinaus sammeln, das zur Eindämmung der Krankheit tatsächlich nötig ist. Darüber hinaus müssen sich die Regierungen mit Fragen des Datenschutzes und der Diskriminierung befassen.
Öffentlich-private Partnerschaften können oft notwendige kreative Lösungen im Umgang mit Gesundheitskrisen vorantreiben. Viele Regierungen wenden sich derzeit jedoch mit Anfragen an Überwachungsunternehmen, die bereits eine besorgniserregende Bilanz in Menschenrechtsfragen aus der Vergangenheit aufweisen.
Die US-Behörden führen dem Vernehmen nach etwa Gespräche mit den umstrittenen Überwachungsfirmen Clearview AI und Palantir. Das israelische Unternehmen NSO Group, das in der Vergangenheit häufig durch seine Deals mit zwielichtigen Regierungen auf sich aufmerksam gemacht hatte, verkauft nun ein Analysetool zur Verarbeitung großer Datenmengen, mithilfe dessen angeblich die Ausbreitung der Krankheit durch die Abbildung der Bewegungsdaten der Bevölkerung getrackt werden kann.
Wie auch die NSO Group haben viele Überwachungsunternehmen eine unrühmliche Vergangenheit und wurden für von ihnen mitverursachte Menschenrechtsverletzungen nicht zur Rechenschaft gezogen.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen, die im Kampf gegen COVID-19 eingebunden werden, alle menschenrechtlichen Risiken, die sich aus dem Kontext der Pandemie ergeben, in Bezug auf ihre Tätigkeiten, Produkte und Dienstleistungen identifizieren, verhindern, mindern und darüber Rechenschaft ablegen. Unternehmen dürfen die COVID-19-Krise nicht dazu nutzen, sich ihrer menschenrechtlichen Verantwortung zu entziehen.
In Anbetracht dieser nie dagewesenen Krise ist es wichtig, die langfristigen Auswirkungen der Maßnahmen, die wir zur Bekämpfung des Virus setzen, nicht aus den Augen zu verlieren. Diese können die Krise überdauern und könnten ausschlaggebend dafür sein, wie Überwachung in der Welt nach COVID-19 aussieht. Es ist wichtig, dass Menschenrechte für alle auch in Zukunft im Zentrum unserer Zukunftsvision stehen.