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Infolge der COVID-19-Pandemie sind Frauen in ganz Europa vermehrt Sicherheitsrisiken und Gewalt ausgesetzt. Ohne gezielte Maßnahmen könnten Geschlechterungleichheit und Diskriminierung weiter zunehmen, warnen Amnesty International, die Frauenrechtsorganisation Women‘s Link Worldwide und die NGO International Planned Parenthood Federation.
Unter dem Titel „A Guide for Europe: Protecting the rights of women and girls in times of the COVID-19 pandemic and its aftermath“ veröffentlichen die Organisationen einen Leitfaden für Regierungen in Europa, welche Maßnahmen zum Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen nötig sind.
Wir fordern die Staaten auf, dafür zu sorgen, dass Europa nach COVID-19 ein besserer Ort für alle Frauen und Mädchen sein wird.
Marie Struthers, Europa-Direktorin bei Amnesty International
„Europa wird nach COVID-19 nicht mehr dasselbe sei. Die Pandemie stellt eine noch nie dagewesene Krise dar, die schwerwiegende Folgen für die Menschenrechte von Frauen und Mädchen hat. Paradoxerweise geben uns diese dunklen Tage aber auch die Möglichkeit, mehr gegen Diskriminierung und Ungleichheit zu tun“, sagt Marie Struthers, Europa-Direktorin bei Amnesty International, und sagt weiter: „Wir fordern die Staaten auf, dafür zu sorgen, dass Europa nach COVID-19 ein besserer Ort für alle Frauen und Mädchen sein wird.“
Die drei Organisationen fordern die Regierungen Europas auf, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen nicht zurückgelassen und ihre Rechte gewahrt werden.
Die Regierungen Europas dürfen das Leid, dem Frauen durch die COVID-19-Krise ausgesetzt sind, nicht noch weiter verstärken, indem sie dabei versagen, den Zugang zu essentiellen sexuellen und reproduktiven Gesundheitsleistungen sicherzustellen.
Caroline Hickson, Regionaldirektorin bei International Planned Parenthood Federation - European Network
„Die Rechte von Frauen und Mädchen müssen sowohl während dieser Gesundheitskrise als auch nach der COVID-19-Pandemie respektiert und gewahrt werden“, sagt Viviana Waisman, Präsidentin und Geschäftsführerin der Frauenrechtsorganisation Women’s Link Worldwide.
„Die Regierungen Europas dürfen das Leid, dem Frauen durch die COVID-19-Krise ausgesetzt sind, nicht noch weiter verstärken, indem sie dabei versagen, den Zugang zu essentiellen sexuellen und reproduktiven Gesundheitsleistungen sicherzustellen“, sagt Caroline Hickson, Regionaldirektorin bei International Planned Parenthood Federation - European Network, und sagt weiter:
„Mit der Einschränkung grundlegender Leistungen werden das Leben, die Gesundheit und das Wohlbefinden Hunderttausender Frauen aufs Spiel gesetzt. Länder, in denen Fürsorge an erster Stelle steht, haben Schritte zum Schutz der Sicherheit und der Freiheit von Frauen und Mädchen ergriffen. Es ist möglich, es gibt keine Ausrede dafür, Frauen und Mädchen im Stich zu lassen.“
Viele Frauen und Mädchen leiden unverhältnismäßig stark unter den Folgen der Pandemie. Besonders stark sind dabei diejenigen betroffen, die permanenter und intersektionaler Diskriminierung ausgesetzt sind.
Bereits vor der COVID-19-Krise hat jede fünfte Frau in Europa schon einmal Gewalt in häuslicher Umgebung erlebt. Ausgangssperren und Isolationsmaßnahmen zur Eindämmung des Virus bedeuten ein erhöhtes Risiko für Frauen und Mädchen, Opfer von häuslicher Gewalt durch einen Partner oder andere Familienmitglieder zu werden. Zudem haben sie oftmals keinen Zugang mehr zu dringend benötigten Unterstützungsleistungen.
In einigen europäischen Ländern sind Maßnahmen ergriffen worden, um gefährdete Frauen und Mädchen zu unterstützen. Die Pandemie hat jedoch die bereits vorhandenen Schwachstellen aufgezeigt und offengelegt, wie schwierig es ist, auf den enorm wachsenden Bedarf an Unterstützung während einer Krise zu reagieren.
Die Rechte von Frauen uns Mädchen müssen sowohl während dieser Gesundheitskrise als auch nach der COVID-19-Pandemie respektiert und gewahrt werden.
Viviana Waisman, Präsidentin und Geschäftsführerin der Frauenrechtsorganisation Women’s Link Worldwide
Es gibt in mehreren Ländern eine alarmierende Zunahme an Meldungen über Gewalttaten gegen Frauen, insbesondere im häuslichen Umfeld. Neusten Daten der Weltgesundheitsorganisation zufolge sind in vielen europäischen Ländern verglichen mit dem Vorjahr bis zu 60 Prozent mehr Notrufe abgesetzt worden. In einigen Ländern weisen die Behörden auf einen Rückgang bezüglich der gemeldeten Fälle häuslicher Gewalt hin. Dies liegt möglicherweise daran, dass es für Frauen, die mit den Tätern zusammenleben, schwieriger ist, solche Gewalttaten zur Anzeige zu bringen.
Auch vor COVID-19 zählten weitverbreitete Straflosigkeit und Hindernisse beim Zugang zu juristischer Unterstützung für Betroffene von geschlechtsspezifischer und sexualisierter Gewalt zu den größten Herausforderungen in der Region. Natürlich müssen Staaten angemessene Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ergreifen. Sie müssen dabei jedoch zwingend ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen, dafür zu sorgen, dass in allen Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt die Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden. Dies muss sowohl während der Ausgangssperren als auch nach Aufhebung der Einschränkungen gesichert sein.
Einige Länder haben spezifische Maßnahmen ergriffen, um auch während der Pandemie einen sicheren und zeitnahen Zugang zu essentiellen Leistungen, Mitteln und Informationen aus dem Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sicherzustellen. Doch in zahlreichen anderen Ländern ist dies nicht geschehen. Es scheint sogar so, als wollten einige Länder die geltenden Einschränkungen dazu nutzen, den Zugang zu sexuellen und reproduktiven Rechten weiter zu untergraben oder zu beschränken.
Krankenhäuser und Kliniken haben die angebotenen Gesundheitsleistungen im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit auf ein Minimum reduziert oder gänzlich eingestellt. Unter anderem, weil Personal fehlt oder dieses an anderer Stelle eingesetzt wird. Vielerorts ist es sehr schwierig geworden, klinische Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen.
All dies passiert vor dem Hintergrund schlechter wirtschaftlicher Aussichten für Millionen von Frauen und Mädchen in Europa. Es steht zu befürchten, dass es nach dieser Krise sehr schlecht um die Lebensgrundlage vieler Frauen stehen wird. Dies betrifft besonders diejenigen, die im Bereich der Pflege oder im informellen Sektor tätig sind, und diejenigen, die bereits zuvor an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Die Rechte und Bedürfnisse von Frauen und Mädchen müssen bei den Reaktionen auf den Ausbruch von COVID-19 und darüber hinaus im Fokus stehen.
Frauen, die Mehrfachdiskriminierung und intersektionaler Diskriminierung ausgesetzt sind, wie Roma, Migrantinnen oder Asylsuchende, Sexarbeiterinnen, Frauen mit Behinderungen, Transfrauen und andere ausgegrenzte Frauen, sind in erhöhter Gefahr, ins Visier der Sicherheitskräfte und andere Behörden zu geraten und beispielsweise zum Ziel von ethnischem Profiling zu werden. Staaten müssen sicherstellen, dass Frauen nicht unverhältnismäßig stark unter ausgeweiteten Befugnissen der Polizei leiden.