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Die Entscheidung des Londoner High Court, eine der von Assange aufgeworfenen Rechtsfragen als „von allgemeinem öffentlichen Interesse“ zu bewerten, kommentiert Massimo Moratti, stellvertretender Leiter der Recherche-Abteilung zu Europa bei Amnesty International wie folgt:
„Wir begrüßen die Entscheidung des Londoner High Court, einen Aspekt der Zusicherungen der USA als von ‚allgemeinem öffentlichen Interesse‘ zu bewerten. Das gibt dem Obersten Gerichtshof die Möglichkeit, die Berufung zuzulassen. Gleichzeitig sind wir besorgt, dass der High Court sich seiner Verantwortung entzogen hat, dass Angelegenheiten von öffentlichem Interesse umfassend von der Justiz geprüft werden. Die Gerichte müssen sicherstellen, dass niemand dem Risiko von Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt wird. Dies war der Kern zweier weiterer Rechtsfragen, deren mögliche Prüfung durch den Obersten Gerichtshof der High Court mit seiner Entscheidung verhindert hat."
„Folter und andere Misshandlungen, einschließlich verlängerter Einzelhaft, gehören zur Realität vieler Menschen in US-Bundesgefängnissen. Darunter sind auch Personen, die wegen ähnlicher Vorwürfe inhaftiert sind wie Assange. Das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen gilt absolut. Es wird nicht allein durch das Versprechen eines Staates abgesichert, Menschen nicht zu misshandeln," sagt Massimo Moratti und sagt weiter:
„Der Oberste Gerichtshof hätte an diesem wichtigen Punkt in dem Verfahren die Möglichkeit erhalten müssen, über alle von Assange aufgeworfenen Rechtsfragen zu verhandeln und zu entscheiden. Leider hat der High Court diese Möglichkeit auf einen einzigen Punkt begrenzt. Wenn der Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen nicht von allgemeinem öffentlichem Interesse ist, was ist es dann? Wir hoffen nun, dass der Oberste Gerichtshof die Berufung für die Frage zulässt, zu welchem Zeitpunkt in einem Auslieferungsverfahren Zusicherungen zum Schutz vor Folter und anderen Misshandlungen abgegeben werden müssen und wann darüber zu entscheiden ist."
Wenn der Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen nicht von allgemeinem öffentlichem Interesse ist, was ist es dann?
Massimo Moratti, stellvertretender Leiter der Recherche-Abteilung zu Europa bei Amnesty International
Im Dezember 2021 entschied der Londoner High Court, dass Julian Assange ausgeliefert werden könne. Dies geschah auf Grundlage vorgebrachter Zusagen der US-Behörden für Assanges Schutz im Gefängnis, wenn er ausgeliefert werden würde. Die USA hatten schriftlich versichert, dass Assange nicht in einem Hochsicherheitsgefängnis untergebracht oder Sondermaßnahmen („Special Administrative Measures“) unterworfen werden würde. Dazu gehört auch die verlängerte Einzelhaft, welche nach dem Völkerrecht als Folter gelten kann. Außerdem versicherten sie, dass er angemessene medizinische Versorgung erhalten würde. Doch die USA haben in den schriftlichen Versicherungen einen Vorbehalt eingefügt: Sollte Assange in Zukunft irgendetwas tun, das erfordern würde, ihn doch Sondermaßnahmen zu unterwerfen oder ihn in ein Hochsicherheitsgefängnis zu verlegen, behielten sie sich das Recht vor, dies zu tun.
Heute hat der High Court Assange die Erlaubnis verweigert, vor dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court) Berufung einzulegen. Dies ist ein übliches Verfahren, da es den Richter*innen des Obersten Gerichtshofs gestattet, selbst auszuwählen, welche Fälle sie anhören und verhandeln wollen. Der Supreme Court kann zwar die Berufung zulassen, doch wäre der Umfang des Rechtsmittels auf den Punkt beschränkt, den der High Court bescheinigt hat. Der einzige Aspekt, zu dem der Oberste Gerichtshof nun eine Zulassung erteilen könnte, betrifft die Frage, in welchem Stadium des Auslieferungsverfahrens der ersuchende Staat Zusicherungen geben sollte.