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In der südiranischen Provinz Khuzestan protestiert die Bevölkerung gegen den akuten Wassermangel in der Region. Doch die Sicherheitskräfte setzen rechtswidrige Gewalt ein, um die größtenteils friedlichen Proteste niederzuschlagen. Videoaufnahmen aus der vergangenen Woche sowie übereinstimmende Augenzeugenberichte zeigen, dass die Sicherheitskräfte tödliche automatische Waffen, Schrotflinten und Tränengas einsetzten, um Demonstrationen aufzulösen.
Seit dem Ausbruch der Proteste gegen die Wasserknappheit in Khuzestan am 15. Juli haben die Sicherheitskräfte in sieben verschiedenen Städten mindestens acht Demonstrierende und Passant*innen, darunter einen Teenager, getötet. Nach offiziellen Angaben wurde in Mahshahr ein Polizist erschossen. Dutzende Menschen, darunter auch Minderjährige, wurden verletzt, unter anderem durch wahllos abgefeuertes Vogelschrot. Mehrere befinden sich wegen Schussverletzungen im Krankenhaus, ihr Zustand ist kritisch. Sicherheits- und Geheimdienstkräfte haben Dutzende von Demonstrierenden und Aktivist*innen festgenommen, darunter viele Angehörige der arabischen Minderheit der Ahwazi. "Der Einsatz von scharfer Munition gegen unbewaffnete Demonstrierende, von denen keine unmittelbare Gefahr für das Leben ausgeht, ist eine eklatante Verletzung der Verpflichtung der Behörden, Menschenleben zu schützen", sagt Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International.
Diejenigen, die im Iran auf die Straße gehen, um wirtschaftliche und politische Missstände anzuprangern, sehen sich einem Sperrfeuer aus Schüssen, Tränengas und Festnahmen gegenüber.
Diana Eltahawy, stellvertretende Direktorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International
„Die iranischen Behörden haben schon in der Vergangenheit immer wieder in rechtswidriger Weise tödliche Gewalt eingesetzt. Die Ereignisse in Khuzestan erinnern an den November 2019, als Sicherheitskräfte Hunderte Demonstrierende und Passant*innen rechtswidrig töteten, aber nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Um weiteres Blutvergießen zu verhindern, muss die Straflosigkeit beendet werden", sagt Diana Eltahawy weiter.
Amnesty International fordert die iranischen Behörden auf, den Einsatz von automatischen Waffen und Schrotgewehren sofort einzustellen, da diese wahllos eingesetzt werden, schwere und schmerzhafte Verletzungen verursachen und für Polizeieinsätze völlig ungeeignet sind. Sie müssen außerdem alle Personen freilassen, die nur deshalb inhaftiert sind, weil sie friedlich ihre Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrgenommen haben, und alle Inhaftierten vor Folter und anderen Misshandlungen schützen. Die Behörden müssen auch sicherstellen, dass Verletzte sicher in Krankenhäusern medizinisch versorgt werden können, ohne fürchten zu müssen, dort willkürlich festgenommen zu werden. Die iranischen Behörden müssen auch damit aufhören, die Menschenrechte einzuschränken, indem sie vorsätzlich Internetverbindungen stören oder abschalten.
Im Iran hat sich die Wasserkrise in den vergangenen Jahren verschlimmert. Den Menschen wird ihr Recht auf sauberes und sicheres Wasser vorenthalten, was zu mehreren Protesten, auch in Khuzestan, geführt hat. Umweltexpert*innen vertreten die Auffassung, dass die Behörden keine angemessenen Maßnahmen ergriffen haben, um die Krise zu bewältigen.
Nach einer Analyse von Waffenexpert*innen bei Amnesty International sind in mehreren Videos von Protesten in der Provinz Khuzestan, die seit dem 15. Juli in den sozialen Medien kursieren, Schüsse aus automatischen Waffen zu hören, unter anderem aus den Städten Izeh, Ahvaz, Kut-e Abdollah, Susangerd und Shoushtar. In anderen Videos, u. a. aus Ahvaz, Khorramshahr, Mahshahr, Shavur, Shoush und Susangerd, sind die Geräusche einzelner Schüsse zu hören, die von der Entladung von scharfer Munition, Vogelschrot oder weniger tödlicher Munition wie kinetischen Aufschlaggeschossen stammen könnten.
Auf fast allen Videoaufnahmen, die von Amnesty International überprüft wurden – mit Ausnahme von zweien –, ist zu sehen, dass die Demonstrierenden unbewaffnet waren und somit eindeutig keine Bedrohung für das Leben darstellten – was nach dem Völkerrecht die Anwendung tödlicher Gewalt legitimieren würde. In einigen Videos sind Schüsse zu hören, während Protestierende fliehen. Somit konnten sie keine Gefahr für die Sicherheitskräfte darstellen.
Die Sicherheitskräfte sollen seit Beginn der Proteste mindestens acht Demonstrierende und Passant*innen, darunter einen Teenager, getötet haben.
Zu den Opfern gehören Mostafa Asakereh (Naimavi) in Shadegan, Ghassem Naseri (Khozeiri) in Kut-e Abdollah, Isa Baledi und Meysam Achrash in Taleghani, Hamzeh (Farzad) Fereisat in Ahvaz, Mehdi Chanani in Shoush, Hamid Mojadam (Jokari) in Chamran und ein Jugendlicher, Hadi Bahmani, in Izeh. Die Menschen starben bei Vorfällen am 16., 19., 20. bzw. 21. Juli.
Menschenrechtsverteidiger*innen vor Ort haben berichtet, dass in verschiedenen Städten der Provinz viele verletzte Demonstrierende aus Angst vor einer Inhaftierung keine Krankenhausbehandlung in Anspruch nehmen. Ein Menschenrechtsverteidiger berichtete Amnesty International, dass am 21. Juli Angehörige der Sicherheitskräfte und des Geheimdienstes mehrere verletzte Demonstrant*innen in einem Krankenhaus in Susangerd festnahmen.
Iranische Regierungsbeamt*innen oder Medien mit Verbindungen zu den Behörden haben bisher nur den Tod von vier „Bürgern“ anerkannt. Wie nach den landesweiten Protesten im November 2019 machen sie für die Todesfälle nicht identifizierte bewaffnete „Randalierer“ verantwortlich, ohne Beweise vorzulegen.
Eine weitere Quelle berichtete Amnesty International, dass Angehörige des Geheimdienstes in Zivil die Familie von Ghassem Naseri (Khozeiri) kurz nach seinem Tod aufsuchten und sie zwangen, vor der Kamera eine vorgefertigte Stellungnahme abzugeben.
Seit langem produzieren und senden staatliche Medien im Iran in Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten und Sicherheitsorganen Propagandavideos mit erzwungenen Aussagen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen und ihren Familien.
„Wir haben immer wieder ein Ende der systematischen Straflosigkeit gefordert, die den Kreislauf des Blutvergießens fortsetzt, wie die brutale Niederschlagung der Proteste in Khuzestan zeigt. Der UN-Menschenrechtsrat muss dringend einen Mechanismus zur Sammlung und Analyse von Beweisen für schwerste Verbrechen nach dem Völkerrecht einrichten, um faire und unabhängige Strafverfahren zu ermöglichen“, sagt Diana Eltahawy.
Hinweis zum Titelbild: Das Titelbild zeigt die acht getöteten Menschen, die während der Proteste zwischen 16. und 20. Juli 2021 ihr Leben verloren haben (obere Reihe von links nach rechts und untere Reihe von rechts nach links):
1. Isa Baledi
2. Ghassem Naseri (Khozeiri)
3. Hamzeh (Farzad) Farisat
4. Hadi Bahmani
5. Mohammad Chenani
6. Hamid Mojadam (Jokari)
7. Mostafa Asakereh (Naimavi)
8. Meysam Achresh