Die Parteiobleute der drei designierten Regierungsparteien. v.l.n.r.: Andreas Babler, SPÖ;  Christian Stocker, ÖVP; Beate Meinl-Reisinger, NEOS. © Max Slovencik / APA / Picturedesk.com
Die Parteiobleute der drei designierten Regierungsparteien. v.l.n.r.: Andreas Babler, SPÖ; Christian Stocker, ÖVP; Beate Meinl-Reisinger, NEOS. © Max Slovencik / APA / Picturedesk.com
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Ministerrat beschließt Familiennachzug: Amnesty International warnt vor Menschenrechtsbruch

12. März 2025

Analyse von Amnesty zum Regierungsprogramm: Einige Vorhaben durchaus positiv, aber zum Teil menschenrechtswidrige Pläne 

In einem knapp 10-seitigen Bericht hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International das neue Regierungsprogramm analysiert und findet lobende, kritische und mahnende Worte. Während einige Vorhaben begrüßenswert sind, verstoßen andere klar gegen geltendes Völkerrecht – so etwa der heute im Ministerrat behandelte Plan, den Familiennachzug für Asylberechtigte umgehend auszusetzen. 

Auch wenn durchaus manche Regierungsvorhaben aus menschenrechtlicher Sicht begrüßenswert sind, so ist es kein gutes Vorzeichen, wenn die Amtsperiode mit einem klaren Verstoß gegen geltendes Völkerrecht beginnt

Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

„Abseits davon, dass Expert*innen seit einigen Tagen darauf hinweisen, dass die aktuellen Asylzahlen rückläufig sind und keine Rede davon sein kann, dass ausgerechnet jetzt das System zu kollabieren droht, wäre dies ein klarer Verstoß gegen internationale menschenrechtliche Standards“, so Hashemi.

Asylbereich: Forderung nach sicheren Fluchtrouten und Resettlement-Programmen 

Sie verweist auch auf internationale Normen: „Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mehrfach betont, dass Familienzusammenführung ein grundlegendes Recht ist.“ Ein genereller Stopp, so Amnesty, verstößt gegen die EMRK, die UN-Kinderrechtskonvention und die EU Familienzusammenführungs-Richtlinie.

Die sonst geplanten Maßnahmen im Asylbereich beurteilt Amnesty International durchwachsen: Begrüßenswert sind die Pläne der Bundesregierung, das Kindeswohl in allen asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren durch die Obsorge für unbegleitete geflüchtete Kinder gesetzlich zu verankern – eine langjährige Amnesty-Forderung.  

Im Hinblick auf den geplanten Einsatz der Koalition für sichere Fluchtmöglichkeiten weist die Organisation darauf hin, dass die Verantwortung dafür nicht nur bei Drittstaaten liegt, sondern auch bei der EU und deren Mitgliedsländern. Außerdem fordert Amnesty Österreich auf, nach jahrelangem Aussetzen endlich wieder Aufnahmeprogramme für Geflüchtete einzuführen. 

Soziales: Gute Ansätze in der Armutsbekämpfung, wenig belastbare Details bei der Sozialhilfe 

Erfreut zeigt sich die Menschenrechtsorganisation über die Ansätze der Regierung im Bereich Armutsbekämpfung. „Dass das Thema Armutsbekämpfung als eine der Prioritäten im Regierungsprogramm genannt wird, ist ein wichtiger Schritt. Insbesondere, da Armut auf strukturelle Ursachen zurückzuführen ist und mit weitreichenden Folgen für die Ausübung der Menschenrechte einhergeht“, so Shoura Hashemi. 

Auch die geplanten Maßnahmen zu leistbarem Wohnen und das Bekenntnis zum Prinzip des Housing First sind begrüßenswert. „Wir werden aber genau mitverfolgen, ob diese Pläne auch tatsächlich umgesetzt werden und Housing First als Teil der Wohnungslosenhilfe in ganz Österreich fest etabliert wird“, verweist Shoura Hashemi auf langjährige Amnesty-Forderungen. 

Bezüglich der Pläne, die Sozialhilfe neu zu gestalten, steckt allerdings möglicherweise „der Teufel im – noch nicht bekannten – Detail“, so Hashemi. Klar – weil völkerrechtlich verbindlich – ist, dass Menschen mit anerkanntem Schutzstatus den Österreicher*innen gleichgestellt werden müssen. Das bedeutet: „Jedwede Form der Kürzung der Sozialhilfe für Menschen mit Asyl- oder subsidiärem Schutzstatus verstößt gegen geltendes Recht.“ Amnesty betont in diesem Zusammenhang auch, dass die Sozialhilfe in Österreich den Zweck haben soll, die soziale Absicherung der Menschen zu gewährleisten und Armut zu lindern bzw. zu bekämpfen. Im Gegensatz zu anderen Leistungen, wie beispielsweise des Arbeitslosengeldes, ist die Sozialhilfe eben keine beitragsbasierte Leistung, sondern ein bedarfsorientiertes Programm und wird häufig als das sogenannte „letzte soziale Auffangnetz“ für Menschen, die Armut erfahren, beschrieben. Daher erfordert die Sozialhilfe auch keine vorangegangenen Einzahlungen. „Gerade Menschen mit subsidiären Schutzstatus muss der Zugang zur Sozialhilfe ermöglicht werden, da ihnen – gleich wie asylberechtigten Menschen – eine Rückkehr in das Heimatland meist über Jahre hinweg unmöglich ist.“ 

Meinungsäußerungsfreiheit: Messenger-Überwachung ist menschenrechtswidrig 

Für den Themenkomplex Meinungsäußerungsfreiheit wiederholt Amnesty International ihre Warnung, dass die vorgesehene so genannte Messenger-Überwachung nach wie vor nicht menschenrechtskonform umsetzbar ist. „Bereits im Sommer haben wir in einer umfangreichen Stellungnahme dargelegt, dass die eingesetzte Spyware den uneingeschränkten Zugriff auf ein Gerät erlaubt und nicht unabhängig kontrolliert werden kann“, betont Shoura Hashemi mit Blick auf den bereits veröffentlichten Gesetzesentwurf. „In Zeiten, in denen Smartphones und Computer quasi ein Abbild unseres Lebens sind und Einblick in alle – auch höchstpersönlichen – Lebensbereiche gewähren, kommt dies dem geheimen Eindringen in eine Wohnung, ihrer kompletten Durchsuchung sowie der laufenden verdeckten Überwachung gleich.“ Ein derart invasiver Eingriff in das Menschenrecht auf Privatsphäre kann nicht verhältnismäßig sein und ist daher abzulehnen.  

Erfreulich hingegen sind die Pläne der Regierung, Maßnahmen gegen SLAPP-Klagen umzusetzen und den Schutz von Whistleblower*innen explizit in den Fokus zu stellen. Amnesty empfiehlt jedoch eine Ausweitung des Schutzes auch auf strafrechtlich relevante sowie innerstaatliche Fälle, die derzeit von der EU-SLAPP-Richtlinie ausgenommen sind. 

Justizsystem: Erfreuliche Entwicklungen 

Hinsichtlich der Bestrebungen, die politische Weisungsmöglichkeit an die Staatsanwaltschaften abzuschaffen und mit einer Bundesstaatsanwaltschaft zu ersetzen, sieht Amnesty eine langjährige menschenrechtliche Notwendigkeit erfüllt. Das derzeitige System der Weisungen, das insbesondere bei prominenten Fällen oft greift, steht im Konflikt mit dem völkerrechtlichen Erfordernis unabhängiger Untersuchungen. Allerdings möchte Amnesty International zur konkreten Ausgestaltung festhalten, dass laufende Ermittlungen im Sinne der Gewaltenteilung von Legislative und Judikative keiner parlamentarischen Kontrolle unterstehen dürfen.  

Erfreulich sind auch die Reformbemühungen im Maßnahmenvollzug – gerade die Schaffung von ausreichend psychiatrischen Betreuungsplätzen ist wichtig, um den Maßnahmenvollzug, der in den letzten Jahren eine zunehmende Überlastung erfahren hat, wieder zu entlasten. 

Verpasste Chancen: Kennzeichnungspflicht für Polizei, Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen  

Amnesty International verortet aber auch einige „verpasste Chancen“ im Regierungsprogramm, u.a., dass nach wie vor keine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen vorgesehen ist. Um strafrechtlich relevante Fälle von Polizeigewalt wirksam aufklären zu können, müssen Misshandlungsvorwürfe den betreffenden Polizist*innen individuell zugeordnet werden können.  

Auch dass die Bundesregierung das Thema Schwangerschaftsabbruch nicht erwähnt – und entsprechend keine Pläne zur vollständigen Entkriminalisierung vorsieht – kritisiert Amnesty. 

Außenpolitik: Unterstützung des Int. Gerichtshofes muss für alle gelten 

Last but not least ist es erfreulich, dass die österreichische Bundesregierung sich klar dazu bekennt, Menschenrechte und Völkerrecht ins Zentrum ihrer Außenpolitik zu setzen. Hashemi erinnert an grundlegende Prinzipien wie das Weltrechtsprinzip und die Einhaltung internationaler Haftbefehle des Internationalen Gerichtshofes und des Internationalen Strafgerichtshofes: „Alle Staaten sind verpflichtet, diejenigen vor Gericht zu stellen, die im begründeten Verdacht stehen, für Verbrechen nach dem Völkerrecht strafrechtlich verantwortlich zu sein.“ Dabei, so die Amnesty-Geschäftsführerin mit Blick auf die bisherige Außenpolitik, müsse aber klar sein, dass der Einsatz für das Ende von Straflosigkeit für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord unabhängig davon erfolgen muss, wo sie passieren und wer die Täter*innen sind. 

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