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Im Bundesstaat Rakhine schreitet die Militarisierung mit alarmierender Geschwindigkeit voran: Wo noch vor wenigen Monaten Angehörige der ethnischen Gruppe der Rohingya aus ihren Dörfern vertrieben wurden, errichten die Sicherheitskräfte nun Stützpunkte und planieren ganze Landstriche.
Download des Amnesty-Berichts Remaking Rakhine State
Augenzeugenberichte und Fachanalysen von Satellitenbildern zeigen, dass seit Jänner vermehrt Rohingya-Dörfer abgerissen und neue Bauprojekte begonnen werden. Selbst Bäume und andere Vegetation im Umkreis wurden entfernt, wodurch man die Landschaft fast nicht wiedererkennt. Es besteht daher Anlass zur Sorge, dass die Behörden damit Nachweise für Verbrechen an den Rohingya zerstören, was künftige Untersuchungen erschweren könnte.
Das Abreißen ganzer Dörfer ist äußerst alarmierend. Die myanmarischen Behörden löschen damit Beweise für Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus, was zukünftige Versuche, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, stark erschweren könnte.
Tirana Hassan, Direktorin des Krisenreaktionsteams von Amnesty International
Betroffen sind Gegenden, in denen im vergangenen Jahr Hunderttausende Menschen vor einer brutalen Militäroperation der ethnischen Säuberung fliehen mussten. Auf dem Gelände niedergebrannter Rohingya-Dörfer werden nun neue Straßen und Gebäude errichtet, was bedeutet, dass die Aussicht auf Rückkehr für die Geflüchteten noch geringer wird.
Darüber hinaus hat Amnesty International dokumentiert, wie kürzlich im Norden des Bundesstaates Rakhine verlassene Häuser und Moscheen der Rohingya geplündert, zerstört und niedergebrannt wurden.
„Im Bundesstaat Rakhine findet militärischer Landraub im großen Stil statt. Dieselben Sicherheitskräfte, die für Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Rohingya verantwortlich sind, werden nun dort in neuen Stützpunkten untergebracht“, sagt Tirana Hassan.
„Damit wird für die geflohenen Rohingya eine freiwillige Rückkehr in Sicherheit und Würde noch unwahrscheinlicher. Zu dem Verlust ihrer Häuser kommt noch die Tatsache, dass die neuen Bauprojekte die ohnehin bereits entmenschlichende Diskriminierung weiter verschärfen, der sie in Myanmar ausgesetzt sind.“
Schlimmer noch als die Zerstörung ist die Errichtung neuer Infrastruktur in diesen Gegenden: Die Behörden bauen ihre Sicherheitsinfrastruktur im Bundesstaat Rakhine rapide aus; so werden beispielsweise Stützpunkte zur Unterbringung von Angehörigen des Militärs und der Grenzpolizei errichtet und Hubschrauberlandeplätze gebaut.
Die Geschwindigkeit, mit der diese Bauprojekte vorangetrieben werden, ist alarmierend. Satellitenaufnahmen zeigen, dass innerhalb weniger Monate neue Stützpunkte auf dem Gelände niedergebrannter Rohingya-Dörfer errichtet wurden. Nicht nur ganze Dörfer, sondern auch nahegelegene Wälder mussten den Bauprojekten weichen.
Die von Amnesty International durchgeführte Satellitenanalyse hat ergeben, dass im Norden des Bundesstaates Rakhine derzeit mindestens drei neue militärische Stützpunkte gebaut werden: zwei im Township Maungdaw und einer im Township Buthidaung. Die Bauarbeiten sollen im Januar 2018 begonnen haben.
Der größte Stützpunkt befindet sich in der Ortschaft Ah Lel Chaung im Township Buthidaung. Augenzeugenberichten zufolge hat das Militär dort Angehörige der Rohingya aus bestimmten Gebieten vertrieben, um das Bauprojekt voranzutreiben. Für viele Dorfbewohner war die Flucht nach Bangladesch die einzige Option.
„Die Menschen sind panisch. Niemand will bleiben, weil alle Angst vor weiterer Gewalt haben“, sagte ein 31-jähriger Mann, der im Januar nach Bangladesch floh, als das Militär in der Nähe seines Dorfes einen neuen Zaun und Kontrollpunkt einrichtete.
In der Ortschaft Inn Din lebten mehrere verschiedene ethnische Gruppen nebeneinander, bevor Ende August und Anfang September 2017 Sicherheitskräfte und ihre Unterstützer Angehörige der Rohingya töteten und ihre Häuser niederbrannten. Nun zeigen Satellitenaufnahmen, dass in dem Teil von Inn Din, der einst von Rohingya bewohnt war, ein neuer Stützpunkt errichtet wird.
Aus den Satellitenaufnahmen geht außerdem hervor, dass neue Aufnahmezentren für aus Bangladesch zurückgekehrte Rohingya von Sicherheitszäunen umgeben sind und in der Nähe von Gegenden liegen, in denen Angehörige des Militärs und der Grenzpolizei sehr präsent sind. Ein großes neues Transitzentrum für die vorübergehende Unterbringung zurückgekehrter Rohingya befindet sich auf dem Gelände eines ehemaligen Rohingya-Dorfes im Township Maungdaw. Auch dort scheinen strenge Sicherheitsmaßnahmen zum Einsatz zu kommen.
Amnesty International befürchtet, dass die myanmarischen Behörden vorhaben, die Rohingya für längere Zeit in den Zentren unterzubringen und ihr Recht auf Freizügigkeit einzuschränken. Zehntausende Rohingya, die im Jahr 2012 unter Einsatz von Gewalt aus ihren Heimatorten vertrieben worden waren, leben bereits seit Jahren unter haftähnlichen Bedingungen in heruntergekommen Lagern. Die meisten von ihnen decken ihre Grundbedürfnisse durch Hilfslieferungen.
Augenzeugen berichteten Amnesty International, dass auf dem Gelände niedergebrannter Rohingya-Dörfer in den vergangenen Monaten neue Dörfer errichtet wurden, in denen nun Menschen leben, die keine Rohingya sind. Dies gibt Anlass zur Sorge, da die Behörden bereits in der Vergangenheit Angehörige anderer ethnischer Gruppen im Bundesstaat Rakhine angesiedelt haben, um dort Entwicklungsprojekte voranzutreiben.
„Der Bundesstaat Rakhine ist eines der ärmsten Gebiete in Myanmar und benötigt dringend Investitionen und Entwicklungschancen. Doch entsprechende Maßnahmen müssen zum Wohl aller dort lebenden Menschen und ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit erfolgen, statt das existierende System der Apartheid noch zu verschärfen, unter dem die Rohingya de facto leben“, so Tirana Hassan.
„Die Neugestaltung des Bundesstaats Rakhine spielt sich im Geheimen ab. Die Behörden müssen ihre Kampagne der ethnischen Säuberung im Namen der ‚Entwicklung‘ umgehend einstellen.
Die internationale Gemeinschaft, und insbesondere die Geberländer, müssen dringend sicherstellen, dass von ihnen bereitgestellte Investitionen oder Hilfen nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Wer zum Erhalt eines Systems beiträgt, das Rohingya systematisch diskriminiert und die Rückkehr von Geflüchteten noch unwahrscheinlicher macht, muss sich unter Umständen Komplizenschaft bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorwerfen lassen.“
Vor knapp sechs Monaten, am 25. August 2017, starteten die myanmarischen Behörden eine brutale Militäraktion der ethnischen Säuberung gegen Angehörige der ethnischen Gruppe der Rohingya. Dies war eine Reaktion auf Anschläge der bewaffneten Rohingya-Gruppe Arakan Rohingya Salvation Army.
Militärangehörige töteten Frauen, Männer und Kinder und sind für Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen verantwortlich. Hunderte Dörfer wurden systematisch niedergebrannt. Mehr als 670.000 Menschen sind seitdem nach Bangladesch geflohen.
Die Gewalt im Bundesstaat Rakhine mag seither zurückgegangen sein – doch die Vertreibung der Rohingya und die Verhinderung ihrer Rückkehr gehen weiter.