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Über 100 NGOs, Initiativen und Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft haben einen offenen Brief an die Regierung gestartet: „Krieg ist Krieg. Mensch ist Mensch.“ Sie fordern die Gleichbehandlung und den Schutz von allen aus der Ukraine Geflüchteten und warnen vor einem „Zwei-Klassen-Asylsystem“ und einer zunehmenden Spaltung zwischen „guten“ und „schlechten“ Geflüchteten.
Sehr geehrter Herr Innenminister Karner,
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Nehammer,
Sehr geehrter Herr Vizekanzler Kogler,
wir sind überwältigt vom Einsatz der Menschen aus der Zivilgesellschaft, die Geflüchtete aus der Ukraine mit so viel Engagement und Herz in Österreich willkommen heißen. Wir anerkennen die schnelle und unbürokratische Hilfe von staatlichen Stellen. Wir sind allerdings auch zutiefst besorgt über den aktuellen Diskurs in der Asylpolitik und die rassistische Behandlung von schutzsuchenden Menschen in Europa.
In nur sieben Tagen sind laut UNHCR über eine Million Menschen vor dem brutalen Angriffskrieg der russischen Armee aus der Ukraine geflüchtet. [1] Im Gegensatz zu ukrainischen Schutzsuchenden, wurden Studierende aus Nigeria, Ghana, Ägypten, dem Jemen, Indien und anderen Ländern an der Einreise in die EU gehindert, schikaniert und mit Gewalt bedroht. Tagelang mussten Menschen aus der Black Community und People of Color und Sinti*zze und Rom*nja in eisiger Kälte und ohne Essen im Freien ausharren und wurden dabei von Beamt*innen und Soldat*innen rassistisch beschimpft. [2]
In Österreich befeuert man diesen strukturellen Rassismus, indem man Menschen in „gute“ und „schlechte“ Geflüchtete trennt und zwischen „Europäerinnen und Europäer, die nachbarschaftlichen Schutz brauchen“ und „klassischen Flüchtlingen“ unterscheidet. [3] In Deutschland wird mit antimuslimischem Unterton von Menschen „aus dem europäischen Kulturkreis“ im Gegensatz zu „ungebildeten“ Menschen, die 2015 nach Europa geflüchtet sind, gesprochen. [4]
Wir begrüßen die Entscheidung der EU-Innenminister*innen, geflüchteten Menschen rasch und unkompliziert Schutz in der EU zu gewähren. Leider schließt der Beschluss jedoch Drittstaatsangehörige, die einen Daueraufenthaltstitel in der Ukraine hatten und die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, sowie Studierende aus Drittstaaten aus oder knüpft die Gewährung eines vorübergehenden Schutzes an unpraktikable und bürokratische Hürden. [5] Es darf nicht sein, dass wir rassistische Spaltung zwischen Geflüchteten verstärken und auf Dauer ein Zwei-Klassen-Asylsystem schaffen. Stattdessen müssen wir jetzt alles dafür tun, Menschenleben zu retten und diesen zumindest vorübergehend Sicherheit und eine Perspektive zu bieten, unabhängig davon, welchen Pass jemand bei sich trägt. [6]
Bomben machen keinen Unterschied zwischen Hautfarbe, Religion oder Staatszugehörigkeit. Wo ist der Unterschied zwischen einer Studierenden aus Kamerun, einer ukrainischen Mutter mit ihren Kindern oder einem Asylberechtigten aus Belarus, die in Charkiw alle vor Putins Menschenrechtsverbrechen Schutz suchen? Geflüchtete und mit ihnen Solidarische verlangen zu Recht die Gleichbehandlung von allen Menschen auf der Flucht.
Menschen in Gefahr zu schützen ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine menschliche Pflicht. Das gilt ebenso für die Gleichbehandlung aller Schutzsuchenden – unabhängig von Nationalität, Aufenthaltsstatus und anderer Identitätsmerkmale.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Wir fordern von der österreichischen Bundesregierung, den Gleichbehandlungsgrundsatz und das universelle Recht auf Asyl zu wahren. Alle Menschen müssen Zugang zu Krankenversicherung, psychologischer Betreuung, Arbeitsmarkt und Bildung haben. Die rassistische Unterscheidung zwischen Schutzsuchenden muss beendet werden. Alle Menschen haben das gleiche Recht auf Schutz vor Krieg, Verfolgung und aus existenzbedrohenden Gründen.
Einzelpersonen können den Brief über eine Petition auf #aufstehn unterzeichnen: https://actions.aufstehn.at/offener-brief-ukraine
[1] UNHCR, 1 million refugees have fled Ukraine in a week
[2] Siehe etwa: Der Standard, Diskriminiert auf der Flucht: „Wir werden wie Hunde behandelt“ (1. März 2022); Kurier, Krieg in der Ukraine: Flüchtlinge zweiter Klasse (2, März 2022); Deutsche Welle, „Lebst du noch?“ Roma organisieren Hilfe für die Ukraine (5. März 2022)
[3] Pressefoyer nach dem Ministerrat (2. März 2022)
[4] Augsburger Allgemein, Bayern will Ukrainern rasch und unbürokratisch helfen (2. März 2022)
[5] Border Monitoring, Zur Umsetzung der Massenzustrom-Richtlinie (3. März 2022)
[6] Wie etwa in Deutschland, siehe: Tagesschau, Flüchtlingsaufnahme unabhängig vom Pass (6. März 2022)