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Das Gesetz zur Einrichtung einer Ermittlungs- und Beschwerdestelle (EBS) für Fälle von Polizeigewalt wurde heute im Ministerrat auf den Weg gebracht. Amnesty International kritisierte in einer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf in erster Linie die fehlende Unabhängigkeit der Stelle, die im Bundesamt für Korruptionsbekämpfung und Korruptionsprävention (BAK) und damit unter Weisungsbefugnis des Innenministers angesiedelt werden soll. Einige Änderungen des Entwurfs, etwa in Hinblick auf die Auswahl der Beiratsmitglieder und die Definition von Misshandlungsvorwürfen sind nun zu begrüßen. Doch das grundsätzliche Problem – die fehlende Unabhängigkeit der Stelle – und weitere Mängel bleiben bestehen.
*Bundesgesetz, mit dem das Gesetz über das Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK-G) geändert wird
1. Grundsätzliches
Amnesty International Österreich kritisiert weiterhin die Ansiedelung der geplanten Ermittlungs- und Beschwerdestelle im Bundesamt für Korruptionsbekämpfung und Korruptionsprävention (BAK). Denn das BAK steht unter der Weisungsbefugnis der/des Bundesministers/Bundesministerin für Inneres, welche*r auch weisungsbefugt gegenüber der Polizei ist. Das BAK sowie auch andere Behörden, die nicht weisungsfrei sind, wären als zuständige Stelle für eine menschenrechtskonforme Umsetzung im Sinne der Unabhängigkeit höchst problematisch, da eben keine ausreichende institutionelle, hierarchische und praktische Unabhängigkeit – wie vom EGMR und anderen internationalen Institutionen gefordert – gewährleistet ist.
Amnesty International bezweifelt, dass der Umstand, wonach, gemäß § 7 des vorliegenden Entwurfes, Weisungen an das Bundesamt schriftlich zu erteilen sind, in der Praxis dazu geeignet ist, einer mangelhaften Unabhängigkeit der Stelle entgegenzuwirken. § 7 regelt überdies ausschließlich Weisungen an das Bundesamt. Nicht umfasst sind Weisungen innerhalb des Bundesamtes. Für Amnesty International ist nicht nachvollziehbar, warum hier eine derartige Unterscheidung vorgesehen ist. Im Sinne der Unabhängigkeit muss die Stelle jedenfalls außerhalb der Weisungsbefugnis der/des Bundesminister*in für Inneres stehen.
Massiv bedenklich ist auch nach wie vor der vorgesehene Bestellprozess für die Leitung dieser Stelle, die gemäß § 2 Abs 2 – nach bestimmten Anhörungen – durch den/die Bundesminister*in für Inneres besetzt werden soll. Dabei ist es gerade für die Unabhängigkeit essenziell, dass die*der Leiter*in keinerlei Naheverhältnis zu Politik oder Polizei hat, um Interessenskonflikte möglichst auszuschließen. Amnesty kritisiert daher, dass die Bestellung nicht durch ein Gremium außerhalb des Bundesministeriums für Inneres erfolgt und fordert weiterhin, dass ein transparenter Prozess anhand klarer Kriterien, die die Unabhängigkeit der Leitung sicherstellen, gesetzlich verankert wird.
Wenn keine unabhängigen und damit wirksamen Untersuchungen sichergestellt sind, besteht die Gefahr, dass weiterhin das Vertrauen der Betroffenen fehlt und sie sich bei Misshandlungsvorwürfen nicht an die Stelle wenden.
2. Auswahl der Mitglieder der Zivilgesellschaft
Amnesty International Österreich hat in der Stellungnahme zum Gesetzesentwurf vom 21. April 2023 gefordert, dass die Auswahl der Mitglieder des vorgesehenen „unabhängigen“ Beirats auch tatsächlich unabhängig erfolgen muss. Der damalige Gesetzesentwurf hat vorgesehen, dass 10 der 15 vorgesehenen Beiratsmitglieder durch Ministerien vorgeschlagen werden. Dies ist nun erfreulicherweise nicht mehr der Fall. Das Vorschlagsrecht kommt nun ausschließlich dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag, der Österreichischen Ärztekammer, der Österreichischen Universitätenkonferenz und zwei vom BMI und zwei vom BMJ bestimmten, privaten gemeinnützigen Einrichtungen zu.
In Hinblick auf die zivilgesellschaftlichen Mitglieder des Beirates ist jedenfalls sicherzustellen, dass die Bestimmung der jeweiligen Einrichtungen durch BMI und BMJ sowie die Auswahl der Mitglieder einem transparenten und professionellen Auswahlprozess folgt, um sicherzustellen, dass die Mitglieder auch tatsächlich unabhängig agieren.
3. Definition von Misshandlungsvorwürfen
In der Stellungnahme vom 21. April 2023 hat Amnesty International Österreich kritisiert, dass nach dem bisherigen Gesetzeswortlaut ein Misshandlungsvorwurf nur bei „augenscheinlich unverhältnismäßiger“ Gewaltausübung vorliegen soll. Erfreulicherweise wurde der Vorschlag von Amnesty International, dass bereits „ein hinreichender Grund für die Annahme“ von unverhältnismäßiger Gewaltausübung ausreichend sein muss, übernommen.
4. Fristwahrung Maßnahmenbeschwerde
Es bleibt im gegenständlichen Entwurf leider weiterhin offen, ob das Einbringen einer Beschwerde bei der unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestelle Auswirkungen auf allfällige Fristen für das Erheben einer Maßnahmenbeschwerde vor den Verwaltungsgerichten wegen eines allfälligen rechtswidrigen Verhaltens eines/einer Polizeibeamt*in beispielsweise wegen einer behaupteten Verletzung von Art 3 EMRK hat. In den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf wird nur ausgeführt, dass durch die Meldung eines Misshandlungsvorwurfes das Recht auf Erhebung einer Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit gegen die Ausübung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt („Maßnahmenbeschwerde“ gem. Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) und das Recht auf Erhebung einer Beschwerde wegen behaupteter Verletzung einer gemäß § 31 SPG festgelegten Richtlinie („Richtlinienbeschwerde“ gem. § 89 SPG) unberührt bleibt.
Es ist daher nach wie vor gesetzlich nicht sichergestellt, dass nach Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen bei der Ermittlungs- und Beschwerdestelle in der gleichen Sache immer noch fristwahrend eine Maßnahmenbeschwerde oder auch Richtlinienbeschwerde eingebracht werden kann. Dadurch könnte das Recht auf Erhebung einer wirksamen Beschwerde untergraben werden.
5. Weiterhin keine Anwendung auf alle Polizei- und Justizwachebeamt*innen
Die vorgesehene Ermittlungsstelle soll nach dem derzeitigen Gesetzeswortlaut weiterhin nicht für alle Polizeibeamt*innen tätig werden. Weiterhin nicht vom Gesetz umfasst sind daher die in vielen Gemeinden etablierten Sicherheitswachen bzw. Gemeindewachkörper genauso wie Justizwachebeamt*innen. Dies ist nicht nachvollziehbar, denn alle sind staatliche Bedienstete, die völkerrechtlich mitumfasst sein müssen.
6. Weiterhin keine Kennzeichnungspflicht
Weiterhin nicht vorgesehen ist die Einführung einer sogenannten Kennzeichnungspflicht der Polizist*innen – etwa durch das Tragen von anonymisierten, aber individualisierbaren Dienstnummern auf der Uniform. Dies wäre aber eine Grundvoraussetzung für wirksame Ermittlungen. Ohne eine Kennzeichnungspflicht droht die Effektivität der geplanten Ermittlungsstelle ins Leere zu laufen, da die handelnden Beamt*innen in entscheidenden Situationen nicht identifizierbar sind, aber eine strafrechtliche Verurteilung die Feststellung der individuellen Schuld voraussetzt.