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Leider muss ich es auch im Jahr 2022 wiederholen: In Österreich wird Polizeigewalt nicht wirksam untersucht. Dies führt zu einem Klima der Straflosigkeit. Diese besorgniserregende Tatsache zeigte kürzlich ein Gutachten erneut auf. Der Menschenrechtsexperte Philipp Sonderegger hat im Auftrag von Amnesty International die Vorkommnisse der Mayday-Demo am 1. Mai 2021 in Wien untersucht. Damals hatten Beteiligte und Beobachter*innen der Exekutive massive Polizeigewalt und Fehlverhalten vorgeworfen. Demgegenüber standen die öffentlichen Äußerungen der Polizeiführung, dass es zu keinerlei Fehlverhalten von Seiten der Polizei gekommen sei. Das Gutachten dokumentiert nun massives Fehlverhalten der Polizei während des Einsatzes, aber auch die fehlende Aufarbeitung der Geschehnisse und der Vorwürfe durch die Behörden. Konkret: Misshandlungsvorwürfe wurden nicht wirksam untersucht und die Behörden sind klaren Hinweisen auf Misshandlungen nicht nachgegangen. Warum? Weil für unabhängige Ermittlungen schlichtweg der Rahmen fehlt. Noch immer. Obwohl die Regierung bereits 2020 angekündigt hat, endlich eine solche Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen zu schaffen.
Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich
Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich
Teresa Exenberger ist Juristin und als Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich für den Bereich Polizei zuständig.
Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamt*innen führen laut einer Studie von ALES (Austrian Center for Law Enforcement Sciences) in Österreich fast nie zu einer Anklage. So bleibt Polizeigewalt für die Täter*innen meist folgenlos. Wenn es überhaupt zu strafrechtlichen Ermittlungen kommt, verlaufen diese meist im Sand. Die Ursache dafür liegt auf der Hand: Polizist*innen ermitteln in diesen Verfahren gegen ihre eigenen Kolleg*innen. Das führt zu Interessenskonflikten und fehlender Unparteilichkeit der involvierten Beamt*innen. Auch ein starker Korpsgeist innerhalb der Polizei kann dazu verleiten, dass sich die Polizist*innen gegenseitig decken.
Für Betroffene von Polizeigewalt ist der Rechtsschutz grundsätzlich unzureichend. Wer eine Anzeige macht, muss im schlimmsten Fall mit einer Gegenanzeige mit dem Vorwurf der Verleumdung durch die Polizei rechnen. Laut der genannten ALES Studie hat die Behörde bei 10 Prozent der Betroffen mit einer Gegenanzeige reagiert. Wenn Betroffenen zudem sogenannte Maßnahmenbeschwerden vor den Verwaltungsgerichten erheben, gehen sie ein sehr hohen Prozesskostenrisiko ein. Wenn die Vorwürfe nicht beispielsweise durch Videos belegbar sind, haben die Beschwerden kaum Aussicht auf Erfolg.
Wenn wir also von Polizeigewalt in Österreich sprechen, dann wissen wir bei Amnesty International aus jahrelanger Beobachtung, dass wir ein massives Problem haben. Aus vielen Gesprächen und Recherchen weiß ich: Viele der Betroffenen wenden sich aus Angst vor Repressalien oder aufgrund ihres fehlenden Vertrauens in die Aufklärung gar nicht erst an die Polizei. Daher ist das ganze Ausmaß von Polizeigewalt nicht bekannt. Und es gibt daher auch keine aussagekräftigen Statistiken über Polizeigewalt in Österreich.
Aber auch ohne statistische Zahlen können wir klar feststellen, dass in Österreich Polizeigewalt nicht nur regelmäßig, sondern geradezu systematisch nicht wirksam untersucht wird. Das ist für jede*n einzelne*n Betroffene*n ein gravierendes Problem. Außerdem verletzt Österreich damit seine völkerrechtlichen Verpflichtungen. Mehrfach wurde Österreich in dieser Hinsicht etwa von den Vereinten Nationen oder dem Europarat abgemahnt und dazu aufgefordert, eine unabhängige Stelle zur Untersuchung von Polizeigewalt einzurichten.
Denn – das zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse – Polizeigewalt kann nachweislich nur dann verhindert werden, wenn diese auch wirksam untersucht und verfolgt wird. Die Einrichtung einer unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Untersuchung von Polizeigewalt ist daher auch zur Prävention dringend notwendig.
Eigentlich hätte die aktuelle Bundesregierung den Bedarf erkannt. In ihrem Regierungsprogramm von Jänner 2020 bekannte sie sich zur „Sicherstellung einer konsequenten Aufklärung bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“. Aber was ist seit dieser Ankündigung im Jänner 2020 passiert? Unterm Strich: nichts.
Teresa Exenberger Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich
Eigentlich hätte die aktuelle Bundesregierung den Bedarf erkannt. In ihrem Regierungsprogramm von Jänner 2020 bekannte sie sich zur „Sicherstellung einer konsequenten Aufklärung bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte“. Aber was ist seit dieser Ankündigung im Jänner 2020 passiert? Unterm Strich: nichts. Die unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen lässt nach wie vor auf sich warten. Immer wieder gab es Versprechungen vom ehemaligen Innenminister und mittlerweile Bundeskanzler Karl Nehammer. Damals hieß es, bis zum Herbst 2020 sollte ein Konzept vorliegen. Amnesty oder auch die Volksanwaltschaft hätten an einer Reform beteiligt werden sollen. Doch bis dato sind weder konkrete Pläne für die Umsetzung bekannt, noch ist die Zivilgesellschaft in die Konzeption dieser Stelle eingebunden worden.
Bestenfalls hat diese Regierung noch zwei Jahre Zeit, zu arbeiten. Es wird dringend Zeit für die Bundesregierung zu handeln, denn die Zeit für eine Umsetzung wird knapp. Sollte diese Regierung dieses wichtige Projekt nicht in Angriff nehmen, versäumt sie nicht nur die Umsetzung ihres größten menschenrechtlich wirksamen Vorhabens. Sie muss auch dafür Verantwortung übernehmen, dass Polizeigewalt in Österreich auch weiterhin in vielen Fällen straflos bleibt.