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In letzter Zeit habe ich mich immer wieder gefragt: Warum bleibt es in Österreich so still, wenn es um das Thema Schwangerschaftsabbruch geht? Während Schwangerschaftsabbruch im US-Wahlkampf Gegenstand heftiger Debatten ist, ist es in Österreich auffallend ruhig um dieses Thema. Hierzulande scheint der Konsens um die „Fristenlösung“ die Diskussion zu ersticken. Aber dieser vermeintliche Frieden ist trügerisch.
Wahlkampf ist die Zeit, in dem gesellschaftliche Grundsätze auf den Prüfstand gestellt werden. Es ist deshalb kein Zufall, dass auch das Thema Schwangerschaftsabbruch in der Debatte insbesondere vor Wahlen hohe Wellen schlägt. Ein Blick in die USA oder nach Polen zeigt: Der Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen ist mehr als eine Frage der Gesundheit – es ist ein Gradmesser für den Stand der Frauenrechte, für das Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Autonomie.
In Polen und den USA wurden diese Rechte in den letzten Jahren massiv angegriffen. Die Angriffe sind keine isolierten Fälle, sondern strategische Versuche, die Rechte von Frauen einzuschränken. Das beunruhigt mich, denn es zeigt, dass Frauenrechte nie garantiert sind, sondern stets aufs Neue verteidigt werden müssen.
Geschäftsführerin Amnesty International Österreich
Geschäftsführerin Amnesty International Österreich
Shoura Zehetner-Hashemi ist Menschenrechtsaktivistin und Iran-Expertin. Nach langjähriger Arbeit im diplomatischen Dienst des Außenministeriums übernahm sie 2023 die Leitung der österreichischen Sektion von Amnesty International.
Doch der Widerstand formiert sich. Ich finde es ermutigend zu sehen, wie viele Menschen in diesen Ländern auf die Straße gehen, um für ihr Recht zu kämpfen. In Polen hat das Thema den Wahlsieg von Donald Tusk mitbeeinflusst, und in den USA hat es spätestens seit Kamala Harris' Kandidatur einen festen Platz in der politischen Debatte.
Mit der seit 50 Jahren bestehenden „Fristenlösung“ ist der Schwangerschaftsabbruch in Österreich weiterhin im Strafgesetzbuch verankert. Schwangerschaftsabbruch gilt somit grundsätzlich als Straftat und wird nur unter gewissen Bedingungen toleriert. Diese Regelung stigmatisiert Frauen und alle Menschen, die schwanger werden können, und stellt ihre körperliche Selbstbestimmung infrage. Es ist bezeichnend, dass kein einziges Gesetz speziell den männlichen Körper in vergleichbarer Weise strafrechtlich reglementiert.
Es ist höchste Zeit, dass progressive Kräfte in Österreich den Mut aufbringen, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch lautstark zu verteidigen. Dieses Thema gehört in den Mittelpunkt ihrer politischen Agenda.
Shoura Zehetner-Hashemi Geschäftsführerin Amnesty International Österreich
Die Folgen der Kriminalisierung sind neben Stigmatisierung auch Versorgungslücken. Je nach Bundesland müssen Betroffene mitunter weite Strecken zurücklegen, um eine*n Ärzt*in zu finden, die*der einen Schwangerschaftsabbruch durchführt. Das braucht niemanden zu wundern. Ärzt*innen, die in Österreich Schwangerschaftsabbrüche durchführen, befinden sich schließlich in einem strafrechtlichen Graubereich und sie sind ständigen Angriffen ausgesetzt, wie Amnesty International kürzlich in einem Bericht aufgezeigt hat: Drohbriefe, Proteste und Anfeindungen gefährden die Sicherheit und erschweren den Zugang zu wichtigen reproduktiven Gesundheitsleistungen. Diese Entwicklungen zeigen, dass Rückschritte auch hierzulande nicht nur möglich, sondern bereits Realität sind.
Warum also ist das Thema Schwangerschaftsabbruch kein zentrales Thema bei den österreichischen Nationalratswahlen, obwohl es so viele grundlegende Rechte berührt? Der scheinbare gesellschaftliche Konsens über die Fristenlösung hat das Thema aus dem politischen Fokus verdrängt. Doch dieser Konsens ist trügerisch. Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ist fragil und kann durch politische Entscheidungen schnell eingeschränkt werden.
Es ist höchste Zeit, dass progressive Kräfte in Österreich den Mut aufbringen, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch lautstark zu verteidigen. Dieses Thema gehört in den Mittelpunkt ihrer politischen Agenda. Denn letztlich geht es um nichts Geringeres als ein fundamentales Menschenrecht, das der Staat zu schützen und zu gewährleisten verpflichtet ist.
Die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch geht weit über die unmittelbare Entscheidung hinaus, eine Schwangerschaft fortzusetzen oder zu beenden. Sie offenbart, wie weit wir wirklich auf dem Weg zur Gleichberechtigung sind. Eine vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist unerlässlich, um die Menschenrechte, die Selbstbestimmung und die Würde von Frauen zu schützen. Jede Person, die schwanger werden kann, muss das Recht haben, über den eigenen Körper zu bestimmen – ohne gesetzliche oder gesellschaftliche Hindernisse. Egal wie die Nationalratswahl kommenden Sonntag ausgeht: Wir werden weiter für dieses Recht kämpfen.