Ein Portrait des gestürzten syrischen Machthabers Bashar al-Assad hinter zerbrochenem Glas © OMAR HAJ KADOUR / AFP / picturedesk.com
Ein Portrait des gestürzten syrischen Machthabers Bashar al-Assad hinter zerbrochenem Glas © OMAR HAJ KADOUR / AFP / picturedesk.com
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Syrien: Ende der Assad-Herrschaft ist historische Chance für Menschenrechte

9. Dezember 2024

Das Ende der Assad-Herrschaft ist nach mehr als fünf Jahrzehnten der Brutalität und Unterdrückung eine historische Chance für den Schutz der Menschen und ihrer Rechte in Syrien. Alle Maßnahmen, um dieses tödliche Kapitel in der Geschichte Syriens zu überwinden, müssen nun auf den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Rechenschaftspflicht und der Nichtwiederholung beruhen, appelliert Amnesty InternationalDie internationale Gemeinschaft muss die Opfer der Gräueltaten des Assad-Regimes unterstützen, damit sie Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für völkerrechtliche Verbrechen erfahren.

Am Sonntag gaben die Oppositionskräfte in einer live im syrischen Fernsehen übertragenen Erklärung an, die Herrschaft des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad beendet und politische Gefangene befreit zu haben. Medienberichten zufolge verließ Assad das Land und flüchtete nach Moskau.

In Reaktion auf den Sturz von Bashar al-Assad nach der Machtübernahme durch oppositionelle Kräfte in der Hauptstadt Damaskus sagt Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International:

„Nach mehr als fünf Jahrzehnten Brutalität und Unterdrückung haben die Menschen in Syrien nun hoffentlich endlich die Möglichkeit, frei von Angst in einem Land zu leben, in dem ihre Rechte respektiert werden. Unter der Herrschaft von Bashar al-Assad und vor ihm seines Vaters Hafez al-Assad waren die Syrer*innen einem entsetzlichen Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, das unsägliches Leid verursacht hat. Dazu gehörten Angriffe mit chemischen Waffen und Fassbomben und andere Kriegsverbrechen sowie Mord, Folter, Verschwindenlassen und Vernichtung, und damit Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Jetzt gibt es die historische Chance, die jahrzehntelangen schweren Menschenrechtsverletzungen zu beenden.

Wir fordern alle Konfliktparteien nachdrücklich auf, das humanitäre Völkerrecht uneingeschränkt einzuhalten. Dazu gehört auch die Verpflichtung, keine Menschen anzugreifen, die eindeutig die Absicht bekunden, sich zu ergeben, einschließlich der Regierungstruppen, und jede Person, die in Gewahrsam genommen wird, menschlich zu behandeln.

Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International

Amnesty International ruft die oppositionellen Kräfte dazu auf, sich von der Gewalt der Vergangenheit zu lösen. Das Wichtigste ist nun Gerechtigkeit, nicht Vergeltung.

„Alle Maßnahmen, die vorgeschlagen werden, um dieses tödliche Kapitel in der Geschichte Syriens zu überwinden, müssen auf den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Rechenschaftspflicht und der Nichtwiederholung beruhen. Gegen alle Menschen, denen Verbrechen nach dem Völkerrecht und andere schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden, muss ermittelt werden, und sie müssen in fairen Gerichtsverfahren und ohne Rückgriff auf die Todesstrafe für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden,“ so Agnès Callamard.

Rechenschaft für die Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte

Für die Familien der Zehntausenden von Opfern des Verschwindenlassens in Syrien bedeutet die Freilassung von Gefangenen aus den zahlreichen Gefängnissen des Landes, einschließlich des Militärgefängnisses von Saydnaya, die Aussicht, dass sie endlich die Wahrheit über das Schicksal ihrer vermissten Angehörigen erfahren – in einigen Fällen nach Jahrzehnten.

„Soweit es unter den gegebenen Umständen möglich ist, muss versucht werden, Beweise für vergangene oder gegenwärtige Straftaten zu sammeln und zu sichern, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gefängnisunterlagen und andere Dokumente erhalten bleiben, da diese Informationen wichtiges Beweismaterial über das Schicksal der Verschwundenen enthalten und bei künftigen Strafverfolgungsverfahren und Prozessen wegen völkerrechtlicher Verbrechen verwendet werden könnten,“ sagt Agnès Callamard, und sagt weiter:

„Wir fordern die internationale Gemeinschaft dringend auf, die syrischen Stimmen in den Mittelpunkt dieser Phase des Übergangs zu stellen. Die internationale Gemeinschaft muss die Opfer der Gräueltaten des Assad-Regimes unterstützen, damit sie Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für völkerrechtliche Verbrechen erfahren. Dazu gehören die Einleitung von Verfahren nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit gegen mutmaßliche Täter*innen und die Unterstützung des Internationalen, unparteiischen und unabhängigen Mechanismus für Syrien (IIIM) sowie der UN-Institution über vermisste Personen, die 2023 eingerichtet wurde, um das Schicksal der Verschwundenen zu klären.“

Militärgefängnis Saydnaya: „Human Slaughterhouse“

Der Bericht von Amnesty International  “Human Slaughterhouse” (übersetzt in etwa: Menschliches Schlachthaus) aus dem Jahr 2017 deckte auf, wie die syrischen Sicherheitskräfte unter Präsident Bashar al-Assad Tötungen, Folter, Verschwindenlassen, Massenerhängungen im Militärgefängnis Saydnaya, dem berüchtigtsten Haftzentrum Syriens, begingen. Diese Taten waren Teil eines weitverbreiteten und systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung, der als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen ist.

Seit Beginn der Proteste in Syrien im Jahr 2011 hat Amnesty International dokumentiert, wie die syrischen Regierungstruppen mit Unterstützung von Russland wiederholt von bewaffneten Oppositionsgruppen kontrollierte Gebiete angegriffen haben. Dabei kam es zu wahllosen und direkten Angriffen auf zivile Wohnhäuser, Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen. Bei Artillerieeinsätzen und Luftangriffen wurden häufig ungelenkte Waffen wie Fassbomben, Brandbomben und international geächtete Streumunition eingesetzt.