Gewaltausbruch auf den Straßen von Latakia im Nordwesten Syriens © Anadolu Via Getty Images
Gewaltausbruch auf den Straßen von Latakia im Nordwesten Syriens © Anadolu Via Getty Images
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Syrien: Grausame Tötungen von Zivilpersonen in den nordwestlichen Küstengebieten müssen untersucht werden

11. März 2025

Berichten zufolge wurden in den Küstengebieten im Nordwesten Syriens mehr als Tausend Zivilist*innen getötet, darunter zahlreiche Angehörige der alawitischen Minderheit. Amnesty fordert eine unabhängige, transparente Untersuchung der Gewaltakte und den Schutz der Zivilbevölkerung. Zusätzlich zu den von der Regierung geleiteten Ermittlungen sollten die Behörden unabhängigen nationalen und internationalen Ermittlungsteams Zugang zu Syrien gewähren.

Die schrecklichen Bilder der Leichen auf den Straßen und der Angehörigen, die um ihre Liebsten trauern, die uns von der syrischen Küste erreichen, sind eine düstere Erinnerung an die Grausamkeiten, die Syrer*innen in der Vergangenheit erlitten haben. Sie bergen die Gefahr, religiöse Spannungen zu schüren und weitere tödliche Gewalt zu entfachen. Die Menschen in Syrien verdienen eine Zukunft, die auf Gerechtigkeit und Würde beruht – doch stattdessen müssen sie erneut unvorstellbare Verluste hinnehmen.

„Die Behörden müssen jetzt rasch handeln, um sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung in laufenden oder künftigen Kämpfen geschützt wird. Sie müssen weitere rechtswidrige Tötungen und andere Menschenrechtsverletzungen verhindern. Wenn jetzt nicht entschlossen gehandelt wird – das heißt unabhängige, unparteiische und wirksame Ermittlungen durchzuführen und sicherzustellen, dass die Täter vor Gericht gestellt werden – wird das diejenigen, die glauben, ungestraft töten zu können, weiter ermutigen,“ sagt Heba Morayef, Regionaldirektorin von Amnesty International für den Nahen Osten und Nordafrika, und sagt weiter:

„Zusätzlich zu ihren Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht ist die syrische Regierung auch verpflichtet, die Menschenrechte aller in Syrien lebenden Menschen zu wahren.“

Die Behörden müssen dringend Maßnahmen ergreifen, um die Gleichberechtigung aller Syrer*innen zu gewährleisten. Sie müssen unter anderem sicherstellen, dass keine Person oder Gruppe wegen ihrer vermeintlichen politischen Zugehörigkeit ins Visier genommen wird.

Heba Morayef, Regionaldirektorin von Amnesty International für den Nahen Osten und Nordafrika

Untersuchung

Die Regierung hat zwar einen unabhängigen Untersuchungsausschuss angekündigt und zugesagt, die für die Verbrechen verantwortlichen Personen der Justiz zu überstellen. Es ist es entscheidend, dass dieser Prozess transparent ist und im Einklang mit internationalen Standards durchgeführt wird. Der Untersuchungsausschuss hat den Auftrag, der Regierung innerhalb von 30 Tagen einen Bericht vorzulegen, doch diese Ergebnisse müssen auch veröffentlicht werden. Denn ohne Transparenz haben die Opfer und die breite Öffentlichkeit keinen Grund, darauf zu vertrauen, dass die Ermittlungen glaubwürdig und sorgfältig durchgeführt wurden.

Das Versprechen von Präsident Ahmad al-Sharaa, die Täter ‚mit aller Entschlossenheit und ohne Nachsicht‘ zur Rechenschaft zu ziehen, bleibt leer, wenn die Justiz die Opfer nicht einbindet, nicht auf die Menschenrechte achtet und parteiisch ist – unabhängig davon, wer verantwortlich ist.

Zusätzlich zu den von der Regierung geleiteten Ermittlungen sollten die Behörden unabhängigen nationalen und internationalen Ermittlungsteams Zugang zu Syrien gewähren, damit sie eigene Untersuchungen durchführen können. Auch in den Küstengebieten.

Die schrecklichen Ereignisse unterstreichen einmal mehr die Dringlichkeit umfassender Maßnahmen seitens der syrischen Behörden, um Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für alle Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen in Syrien zu gewährleisten. Letzten Endes kann so sowohl das den Betroffenen zugefügte Leid gelindert als auch sichergestellt werden, dass ‚nie wieder‘ wirklich ‚nie wieder‘ bedeutet.

Hintergrund

Die Familie Assad, die Syrien jahrzehntelang regierte, gehört der alawitischen Minderheit an. Im November 2024 begannen Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) und verbündete bewaffnete Oppositionsgruppen eine Militäroffensive, die zur Einnahme des Gouvernements Aleppo führte. Am 8. Dezember nahmen die bewaffneten Oppositionsgruppen Damaskus ein und der damalige Präsident Bashar al Assad floh aus dem Land.

Am 29. Januar 2025 ernannte das Syrische Militärische Operationskommando den ehemaligen HTS-Anführer Ahmad al-Sharaa zum Übergangspräsidenten. Am selben Tag kündigten die Übergangsbehörden an, dass alle militärischen Gruppierungen aufgelöst und in die staatlichen Institutionen integriert werden würden.

Am 6. März 2025 griffen bewaffnete Assad-treue Männer die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte in Latakia an. Regierungsnahe Einheiten und Milizen gingen zum Gegenangriff über, woraufhin es – lokalen Quellen zufolge – zu einer Reihe von Angriffen in mehreren Gouvernements kam. Am 10. März berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, dass mehr als 973 Zivilist*innen getötet wurden, die meisten von ihnen Alawit*innen.

Das humanitäre Völkerrecht gilt für alle am Konflikt in Syrien beteiligten Kriegsparteien. Auch die syrische Regierung, die jetzt von Ahmad al-Sharaa geführt wird, ist den internationalen Menschenrechtsnormen verpflichtet. Außerdem muss sie die Menschenrechte aller in Syrien lebenden Menschen wahren.

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