Deine Spende wird heute verdoppelt
Jede Spende bis zum 31. Dezember wird verdoppelt. So entfaltet dein Beitrag doppelte Wirkung und schützt weltweit die Rechte von Menschen in Gefahr.
Die Online-Plattform Twitter versagt beim Schutz der Menschenrechte von Frauen, denn sie reagiert auf Gewalt und Belästigungen nicht angemessen. Das zeigt ein neuer Amnesty-Bericht, der auf quantitativen und qualitativen Untersuchungen basiert, die in den vergangenen 16 Monaten zusammengetragen wurden.
Grundlage sind Gespräche mit 86 Frauen und Personen, die sich außerhalb der binären Geschlechterverteilung einordnen, u. a. Politiker*innen, Journalist*innen und andere Nutzer*innen in Großbritannien und in den USA. Sie sprechen über ihre Erfahrungen damit, wie Twitter mit gemeldeten Belästigungen umgeht. Der Bericht enthält auch eine Reihe konkreter Empfehlungen enthält, um Twitter zu einem sichereren Ort für Frauen zu machen.
Frauen haben das Recht, ihr Leben frei von Diskriminierung und Gewalt zu führen, und zwar sowohl offline als auch online. Indem Twitter nichts gegen einschlägige Belästigungen unternimmt, untergräbt es diese Rechte. Obwohl das Unternehmen wiederholt zugesichert hat, auf der Plattform für Ordnung zu sorgen, finden viele Frauen in ihren Twitter-Feeds Morddrohungen, Vergewaltigungsandrohungen und rassistische oder homofeindliche Beleidigungen vor.
Azmina Dhrodia, Amnesty-Expertin für Neue Technologien und Menschenrechte
„Unsere Recherchen zeigen, dass Twitter keine geeigneten Abhilfemaßnahmen für Personen bereitstellt, die auf der Plattform Gewalt oder Belästigungen ausgesetzt sind. Das Unternehmen muss viel mehr tun, um die Menschenrechte von Frauen zu gewährleisten“, sagt Azmina Dhrodia.
Twitter-CEO Jack Dorsey hat in diesen Monat die Öffentlichkeit um Unterstützung gebeten und mehr Rechenschaftspflicht bei den Bemühungen zur Verbesserung eines „gesunden“ Dialogs auf seiner Plattform zugesichert. Trotz mehrerer Anfragen von Amnesty International weigerte sich Twitter jedoch, aussagekräftige Informationen über den Umgang mit angezeigten Vorfällen von Belästigung und Gewalt zu veröffentlichen.
Wir freuen uns, dass Jack Dorsey zu diesem Thema Unterstützung sucht und Feedback einholt; doch Twitter weigert sich, aussagekräftige Informationen über den Umgang mit Online-Gewalt gegen Frauen zu veröffentlichen, was die Erarbeitung einer angemessenen Lösung erschwert. Twitter sollte proaktiv konkrete Maßnahmen ergreifen und sich beispielsweise als absolutes Minimum dazu verpflichten, Nutzerinnen und Nutzern, die Belästigungen melden, zu antworten.
Azmina Dhrodia
Twitter sagte in einer Stellungnahme, es stimme den von Amnesty International gewonnen Erkenntnissen nicht zu. Das Unternehmen erklärte, „Hass und Vorurteile nicht aus der Gesellschaft tilgen zu können“, und verwies auf mehr als 30 Veränderungen, die in den vergangenen 16 Monaten an der Plattform vorgenommen worden seien, um die Sicherheit zu verbessern. Zudem gehe man nun schärfer gegen beleidigende bzw. bedrohliche Tweets vor. Twitter hielt an dem Standpunkt fest, Informationen zum Umgang mit angezeigten Belästigungen nicht zu veröffentlichen. Das Unternehmen führte an, solche Daten seien „nicht aussagekräftig“, weil „Reporting-Tools häufig unangemessen eingesetzt“ würden.
Amnesty International erkennt an, dass bei der Veröffentlichung von Rohdaten der Kontext immer eine wichtige Rolle spielt, doch Twitter ist sehr wohl in der Lage, diesen Kontext gemeinsam mit den relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen. Die menschenrechtlichen Verpflichtungen des Unternehmens bedeuten eine Pflicht zur Transparenz bezüglich des Umgangs mit angezeigten Vorfällen von Gewalt oder Belästigung.
„Twitter hat wiederholt versucht, die Aufmerksamkeit von seiner eigenen Verantwortung abzulenken und stattdessen über breitere Themen wie Hass und Vorurteile in der Gesellschaft zu sprechen. Wir verlangen nicht, dass Twitter alle Probleme dieser Welt löst. Was wir jedoch von dem Unternehmen verlangen, sind konkrete Maßnahmen, die eindeutig klarmachen, dass die Belästigung von Frauen auf Twitter nicht geduldet wird“, sagt Azmina Dhrodia.
Die Twitter-internen Richtlinien zu Hasskommentaren verbieten Gewalt und Belästigung an Frauen, und Twitter hat ein Berichtssystem, mit dem Nutzer_innen Twitter-Konten und Tweets melden können, die gegen diese Richtlinien verstoßen.
Aus dem Amnesty-Bericht geht jedoch hervor, dass Twitter die Nutzer*innen nicht darüber informiert, wie diese Richtlinien ausgelegt und durchgesetzt werden, und wie der Umgang mit gemeldeten Vorfällen von Gewalt und Belästigung genau gehandhabt wird. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass solche Vorfälle inkonsequent verfolgt und manchmal gar nicht bewältigt werden, was bedeutet, dass entsprechende Inhalte auf der Plattform sichtbar bleiben, obwohl sie gegen die Regeln verstoßen.
Miski Noor, gender-nonkonforme Kommunikationsspezialist*in für Black Lives Matter Global Network, sagte: „Twitter muss jetzt Stellung beziehen und klarmachen, ob es auf der Seite der Nutzer*innen steht oder nicht. Twitter hat es in der Hand, wie auf seiner Plattform mit der Belästigung von Frauen und denjenigen, die sich als weiblich identifizieren, umgegangen wird. Das Unternehmen ist für die Plattform verantwortlich und ist daher in der Lage, die Erfahrungen der Nutzer*innen zum Positiven zu verändern.“
Twitter hat genau wie andere Unternehmen die Verantwortung, die Menschenrechte zu respektieren, und dazu gehören u. a. die Rechte auf Freiheit von Diskriminierung und Gewalt sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die Recherchen von Amnesty International zeigen allerdings auf, dass die Unfähigkeit des Unternehmens, angemessen gegen Online-Gewalt und -Belästigung vorzugehen, dazu beiträgt, dass sich Frauen bei der Nutzung der Plattform zurücknehmen.
Im Jahr 2017 führte Amnesty International eine Umfrage unter 4.000 Frauen in acht Ländern durch. Daraus ging hervor, dass mehr als drei Viertel (76 %) aller Frauen, die in den Sozialen Medien Belästigung oder Schikane erfahren hatten, ihr Verhalten auf der jeweiligen Plattform änderten. Hierzu zählte z. B. Selbstzensur bei der Veröffentlichung von Beiträgen: 32 % der Frauen gaben an, dass sie keine Inhalte mehr posten, die ihre Meinung zu gewissen Themen deutlich machen.
Amnesty International hat dokumentiert, dass Frauen mit Rassismuserfahrung, Frauen aus ethnischen oder religiösen Minderheiten, LGBTI-Frauen, Frauen mit Behinderungen sowie Personen, die sich außerhalb der binären Geschlechterverteilung einordnen, besonders häufig und auf vielen verschiedenen Ebenen ins Visier genommen werden. Dies kann dazu führen, dass ohnehin bereits marginalisierte Stimmen noch weiter aus dem öffentlichen Diskurs herausgedrängt werden.
Die US-amerikanische Autorin und Bloggerin Imani Gandy sagte Amnesty International: „Ich werde belästigt, weil ich eine Frau bin, und werde dann nochmal extra schikaniert, weil ich eine schwarze Frau bin. Weiße Frauen werden als „F*tze“ beschimpft, ich als „N*ger-F*tze“. Jede Art von Identität wird aufgegriffen und gegen dich verwendet. Jede Art von Beleidigung, die man sich für eine marginalisierte Gruppe ausdenken kann, wird gegen dich eingesetzt.“
Amnesty hat konkrete Empfehlungen. wie Twitter eine sicherere und weniger toxische Umgebung für Frauen gewährleisten kann. Zum Beispiel:
Twitter sollte sich zudem darauf konzentrieren, seine Nutzer*innen in die Lage zu versetzen, selbst für eine sicherere und weniger toxische Umgebung zu sorgen, z. B. durch Sensibilisierungskampagnen zu den verschiedenen Features für die eigene Sicherheit und Privatsphäre.
„In den vergangenen Monaten gab es unter Frauen auf der ganzen Welt eine enorme Bewegung für Solidarität und Aktivismus, und Twitter spielt in Bewegungen wie #MeToo ganz ohne Zweifel eine wichtige Rolle“, sagt Azmina Dhrodia.
„Die jüngsten Initiativen der Plattform zeigen, dass Twitter diesen gesellschaftlichen Wandel aktiv mitgestalten möchte. Doch die Frauen, die auf der Plattform Belästigung erfahren, sehen das ganz anders. Twitter muss dringend weitere konkrete Maßnahmen ergreifen, um Online-Gewalt und -Belästigung an Frauen auf seiner Plattform wirksam zu identifizieren und bewältigen. Ansonsten kann das Unternehmen nicht glaubhaft behaupten, wirklich auf der Seite der Frauen zu stehen“, sagt Azmina Dhrodia.