Während COVID-19 im Stich gelassen: Geflüchteten & Migrant*innen droht der Hungertod
15. Mai 2020Schützt Geflüchtete vor COVID-19
Die unmenschliche Behandlung von Menschen auf der Flucht und Migrant*innen könnte die Fortschritte bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zunichte machen: Überfüllte Flüchtlingslager und Haftanstalten drohen zu neuen Epizentren der Pandemie zu werden, warnt Amnesty International und ruft zu einer globalen gemeinschaftlichen Aktion auf, um das Leben und die Gesundheit von Geflüchteten und Migrant*innen zu schützen.
In vielen Flüchtlingslagern ist der Hungertod Berichten zufolge mittlerweile eine größere Bedrohung als das Virus selbst. Wir müssen jetzt gemeinsam unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass dies zu einer menschenrechtlichen Katastrophe wird.
Iain Byrne, Leiter des Teams für Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen von Amnesty International
„Es ist unmöglich, dieses Virus konsequent einzudämmen, wenn weltweit so viele Menschen in überfüllten, unhygienischen Lagern und Haftanstalten leben. In Zeiten wie diesen müssen wir mehr denn je zusammenhalten und Solidarität zeigen. Stattdessen wurden lebensnotwendige Lieferungen von Nahrungsmitteln und Wasser blockiert, Menschen willkürlich eingesperrt und sogar zurück in die Gefahr geschickt, wo ihnen Tod oder Verfolgung drohen“, sagt Iain Byrne, Leiter des Teams für Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen von Amnesty International, und sagt weiter:
„In vielen Flüchtlingslagern ist der Hungertod Berichten zufolge mittlerweile eine größere Bedrohung als das Virus selbst. Geflüchtete und Migrant*innen werden im Stich gelassen, anstatt sie zu schützen – dabei haben sich Staaten auf der ganzen Welt dazu verpflichtet. Wir müssen jetzt gemeinsam unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass dies zu einer menschenrechtlichen Katastrophe wird."
Amnesty International fordert, dass
-
Menschen in Lagern, Haftanstalten und Quarantäne ausreichend mit Lebensmitteln, Wasser, Hygiene-Produkte sowie Medizin versorgt werden;
-
Regierungen eine vorübergehende Legalisierung des Aufenthaltsstatus aller Menschen unabhängigen von ihrem rechtlichen Status erwägen;
-
Asylsuchende und Geflüchtete uneingeschränkten Zugang zu Sozialleistungen haben;
-
Resettlement-Programme ausgebaut werden;
-
Menschen in Lagern, Haftanstalten und informellen Siedlungen in Sicherheit gebracht werden, sollten diese überfüllt sein oder hygienische Bedingungen nicht erfüllen;
-
Unterkünfte mit Zugang zu Gesundheitsversorgung, Lebensmitteln und Wasser zur Verfügung gestellt werden;
-
Menschen in Haft freigelassen werden, wenn ihre Gesundheit und ihr Leben in der Haft nicht geschützt werden können;
-
das Recht auf Asyl und der Grundsatz der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement-Verbot) respektiert und aufrecht erhalten werden.
Lage Spitzt sich weltweit zu
Die Ausgangsbeschränkungen haben die Situation von Menschen verschlimmert, die bereits vor der Krise unter katastrophalen und unmenschlichen Bedingungen leben mussten. Millionen von Menschen sind nun einem erhöhten Risiko von Hunger und Krankheit ausgesetzt. Hinzu kommt, dass viele Regierungen diskriminierende und fremdenfeindliche Maßnahmen ergriffen haben, die die Gesundheit und das Leben von Tausenden Geflüchteten und Migrant*innen bedrohen.
So wurde zum Beispiel die Wasserversorgung im bosnischen Lager Vucjak von den örtlichen Behörden absichtlich unterbrochen, um die Umsiedlung der Bewohner*innen im Lager zu erzwingen.
Im jordanischen Lager Zaatari hindern die Ausgangssperren die Menschen daran, überhaupt zu arbeiten, d. h. es gibt keine Nahrung und keinen Zugang zu Einkommen, um auch nur das Nötigste zu bezahlen.
Im April hatten die Bewohner*innen der temporären Lager in den französischen Siedlungen von Calais aufgrund der Abriegelungen keinen Zugang zu Lebensmitteln und Wasser. Aufgrund der Ausgangssperren konnten sie nicht selbst einzukaufen, selbst wenn sie Geld dafür hatten.
Auch die Lagern auf den griechischen Inseln sind nach wie vor überfüllt – auch wenn die Regierung in Griechenland angekündigt hat, ein paar Hundert Menschen aus den Lagern aufs Festland zu bringen.
Griechenland: Schützt Geflüchtete vor COVID-19
Regierungen auf der ganzen Welt haben im Zuge der Ausbreitung von COVID-19 weiterhin Menschen, die Asyl suchen, unnötig inhaftiert. Dadurch sind diese Menschen dem erhöhten Risiko ausgesetzt, sich mit dem Virus zu infizieren. Es gibt nicht genügend Tests und Schutzausrüstungen für Personal und für die Inhaftierten. Dadurch könnten die Situation in Lagern und Haftanstalten eskalieren, die Krankheit könnte sich weiter ausbreiten.
Menschen, die in Australien in Haftanstalten für Migrant*innen gehalten werden, betteln um ihre Freilassung, weil sie Angst haben, dass Personal, dem keine Persönliche Schutzausrüstung (PSA) ausgestellt wurde, unwissentlich das Virus einschleppen könnte.
Andere Regierungen verstoßen gegen das Völkerrecht, indem sie Menschen unter dem Vorwand, COVID-19 einzudämmen, in die Gefahr zurückgedrängt haben: Die USA haben beispielsweise zwischen dem 20. März und dem 8. April innerhalb von zwei Stunden nach ihrer Ankunft auf US-Boden 10.000 Menschen zurückgeschickt.
Malaysia verwehrte einem Boot mit geflüchteten Rohingya die Einreise. Die Behörden in Bangladesch ließen es schließlich landen, Berichten zufolge sind jedoch mindestens 30 Menschen gestorben, während das Boot zwei Monate lang auf hoher See herumtrieb.
Hintergrund
Menschen in Länder zurückzuschicken, in denen ihnen Verfolgung, Folter oder eine andere grausame oder erniedrigende Behandlung drohen, verstößt nach dem Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-Refoulement-Verbot). Dieser Grundsatz gilt ausnahmslos. Staaten auf der ganzen Welt haben sich zu diesem Grundsatz verpflichtet.