© Mitja Kobal/Amnesty International
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Was wir 2019 erreicht haben – und was es noch zu tun gibt

20. Dezember 2019

Vom Rückgang der Todesstrafe über Freisprüche für Menschenrechtsverteidiger*innen bis zu Fortschritten für Frauenrechte und LGBTIQ+: Gemeinsam haben wir 2019 viel erreicht! Anhand von 7 Beispielen möchten wir allen Unterstützer*innen danken, die dazu beigetragen haben, diese Erfolge zu ermöglichen. Gleichzeitig möchten wir bei dieser Gelegenheit aufzeigen, was noch zu tun ist.

1. Todesstrafe: Zahlen auf dem niedrigsten Stand seit einem Jahrzehnt

Für immer mehr Staaten ist die Todesstrafe ein Auslaufmodell: 142 Länder haben mittlerweile die Todesstrafe abgeschafft oder wenden sie nicht mehr an. Die Zahl der weltweit registrierten Hinrichtungen ist auf dem tiefsten Stand seit mindestens einem Jahrzehnt! Dass immer mehr US-amerikanische Bundesstaaten wie New Hampshire oder Kalifornien die Todesstrafe ablehnen, ist ein großer Erfolg der Menschenrechtsbewegung gegen diese grausamste und unmenschlichste Form der Bestrafung. Doch auch immer mehr afrikanische Staaten, darunter Gambia und Äquatorialguinea, ziehen mit.

Was noch zu tun ist

Weltweit sind immer noch über 19.000 Menschen in der Todeszelle. Einen Anstieg der Hinrichtungen verzeichnete Amnesty International zuletzt in Belarus, Japan, Singapur, Südsudan und den USA. US-Generalstaatsanwalt Barr plante die ersten Hinrichtungen des Bundes seit 16 Jahren. Die Philippinen und Sri Lanka drohen, die Hinrichtungen wieder aufzunehmen bzw. die Todesstrafe nach Jahrzehnten wieder einzuführen. Auch in Thailand wurden Hinrichtungen wieder aufgenommen.

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Die Arbeit für Menschenrechte erfordert viel Energie. Man kann es nicht allein schaffen – Teamarbeit und kleine Siege sind entscheidend. Dabei gilt es nicht nur, für Betroffene und ihre Familien zu kämpfen, sondern auch junge Menschen zu inspirieren und zu motivieren – für eine Welt, in der Menschenrechte für alle gelten.

Puri Kencana Putri, Campaignerin bei Amnesty International

Puri Kencana Putri ist ehemalige Anwältin und heute als Campaignerin bei Amnesty International in Indonesien tätig. Seit 2008 setzt sie sich für die Abschaffung der Todesstrafe ein. 

2. Für respektvolles Miteinander

Die „Troll Patrol“ von Amnesty International – eine Gruppe von mehr als 6.500 Freiwilligen aus der ganzen Welt – analysierte 2019 fast 300.000 Tweets und zeigten das schockierende Ausmaß von Hass, Belästigung und Online-Missbrauch gegen Frauen auf der Social-Media-Plattform auf. Daraufhin sank die Twitter-Aktie um 12 Prozent, was dem Unternehmen 2,7 Milliarden Dollar kostete. Twitter hat daraufhin unter anderem seine Richtlinien aktualisiert. In Österreich setzten wir uns gemeinsam mit über 5.000 Unterstützer*innen für ein respektvolles Miteinander im Netz ein – und forderten von der österreichischen Regierung, einen konkreten Plan vorzulegen, wie Menschen sich gegen Hass im Netz wehren können.

Was noch zu tun ist

Beschimpfungen, Hetze und diskriminierende Inhalte betreffen uns alle. Und oft sind es führende Politiker*innen, die online Gruppen gegeneinander aufhetzen. Nach wie vor können sich Betroffene nicht ausreichend gegen hetzerische oder diskriminierende Inhalte wehren. Daher werden wir auch weiter von Politiker*innen einfordern, ein respektvolles Miteinander vorzuleben und uns für den besseren Schutz von Betroffenen einsetzen.

Was du ganz persönlich für ein respektvolles Miteinander im Netz tun kannst, erfährst du hier.

3. Ein gutes Jahr für Frauenrechte

Überall auf der Welt setzten sich Menschen für die Rechte von Frauen ein, protestierten gegen sexualisierte Gewalt und für eine Welt, in der Gleichberechtigung nicht einfach auf dem Papier steht, sondern im echten Leben gelebt wird. Nach den großen Protestbewegungen in Argentinien, Irland und Polen gegen repressive Abtreibungsgesetze, konnten wir 2019 zwei große Erfolge in dieser Hinsicht feiern:  

In Nordirland sind künftig Schwangerschaftsabbrüche und gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt. Ein entsprechender Beschluss des britischen Unterhauses trat um Mitternacht in der Provinz in Kraft. Damit werden die bereits im England, Wales und Schottland geltenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch und zur gleichgeschlechtlichen Ehe auf Nordirland ausgeweitet, was zuvor von der ultrakonservativen Partei der Unionisten (DUP) bekämpft worden war.

Und auch in Südkorea hat das Verfassungsgericht in einem Urteil den Staat angewiesen, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren und die extrem restriktiven Gesetze zu reformieren. Das südkoreanische Abtreibungsgesetz soll bis Ende 2020 überprüft werden.

Was noch zu tun ist

Dass Schwangere über ihren Körper frei entscheiden können, ist keine Selbstverständlichkeit – auch in Ländern wie Österreich wurde 2019 dieses Recht von 2 Initiativen in Frage gestellt. Auch 2020 werden wir uns weiter gemeinsam für das Recht, dass Frauen auf der ganzen Welt über ihren eigenen Körper frei entscheiden können, einsetzen!

4. Mutiger Einsatz für Meinungsfreiheit

2019 konnten wir wieder viele Menschenrechtsverteidiger*innen auf der ganzen Welt unterstützen, die aufgrund ihrer Meinung oder Gesinnung unterdrückt oder verhaftet wurden. Ein Beispiel dafür sind 14 Frauen in Polen, die im Oktober freigesprochen wurden: Vor zwei Jahren hatten sie am polnischen Unabhängigkeitstag für Toleranz und gegen Hass demonstriert. Mit einem Banner hatten sie sich auf die Straße einer Demonstration gestellt, an welcher rassistische Parolen geschrien und ein „weißes Polen und Europa“ gefordert wurde. Die Frauen waren angegriffen und verletzt worden und wurden angezeigt. Gemeinsam setzten wir uns im Zuge unserer Kampagne „Es beginnt hier“ dafür ein, dass alle Anklagepunkte gegen die Frauen fallengelassen werden. Danke für eure Unterstützung!

© Grzegorz Żukowski
© Grzegorz Żukowski

Was noch zu tun ist

Ob Ägypten, Hongkong, Iran, Sudan oder Venezuela: 2019 gingen Bilder von Millionen Menschen, die für bessere Lebensbedingungen und ihre Rechte demonstrieren, um die Welt. Während viele Menschen ihr Recht auf Versammlungsfreiheit friedlich ausübten, zeigten Regierungen in diesem Jahr auch, wie gefährlich Protest sein kann.

Amnesty prangerte wiederholt die unverhältnismäßige Polzeigewalt bei den Protesten in Hongkong an und ruft die Behörden auf, das brutale Vorgehen gegen Protestierende sofort zu beenden. Im Iran belegten Recherchen von Amnesty International, dass die Zahl der Todesopfer unter den Protestierenden viel höher war, als die offizielle Statistik der Regierung zeigte.

5. Solidarität mit Menschen auf der Flucht

Überall auf der Welt gibt es Menschen, die sich für Menschen auf der Flucht und Migrant*innen einsetzen. Leider werden viele von ihnen wegen ihrer Hilfe kriminalisiert und angeklagt. Umso mehr freut uns, wenn unsere Unterstützung dazu führt, dass ihr Engagement nicht mehr bestraft wird. Einige Erfolgserlebnisse aus diesem Jahr:

USA: Am 20. November hat ein Gericht in Arizona Scott Warren von den gegen ihn erhobenen Anklagen freigesprochen. Der Geograf hatte zwei Migranten in der Wüste von Arizona mit Brot und Wasser versorgt. Im Falle einer Verurteilung drohten ihm bis zu 20 Jahre Haft.

Frankreich: Der junge Menschenrechtsverteidiger Tom Ciotkowski hatte die französische Bereitschaftspolizei dabei beobachtet, wie sie Freiwillige daran hinderten, Essen an Flüchtlinge und Migrant*innen zu verteilen – und dies publik gemacht. Ihm drohten fünf Jahre Gefängnis. Im Juni wurde er freigesprochen.

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Was noch zu tun ist

In Europa und in vielen anderen Teilen der Welt werden dennoch Menschen angeklagt oder verhaftet, weil sie Menschen in Not helfen. Ein Beispiel dafür sind Sarah Mardini und Seán Binder: Die ehrenamtlichen Rettungsschwimmer*innen retteten auf Lesbos Menschen das Leben. Die griechischen Behörden werfen ihnen u.a. Schlepperei und Spionage vor – dafür drohen ihnen bis zu 25 Jahre Haft. Gemeinsam mit Tausenden Unterstützer*innen des Briefmarathons 2019 setzen wir uns dafür ein, dass alle Anklagepunkte fallengelassen werden. Wir bleiben dran!

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Das wirklich Beängstigende ist, dass das jedem passieren kann, weil Staaten die bestehenden Gesetze zum Schutz von humanitärer Arbeit nicht einhalten.

Sarah Mardini und Séan Binder, ehrenamtliche Rettungsschwimmer*innen

Wir müssen außerdem weiter für Solidarität für geflüchtete Menschen kämpfen, auch in Österreich. Eine menschenwürdige Betreuung und rechtsstaatliche Verfahren für Geflüchtete werden durch die seit Mai 2019 bestehende Gesetzeslage in Österreich gefährdet. Deshalb fordern wir mit 25 anderen Organisationen in der gemeinsamen Initiative #fairlassen, dass das BBU-Gesetz aufgehoben und unabhängige Asylrechtsberatung gewährleistet werden muss.

6. Fortschritte für LGBTIQ+

In vielen Ländern werden LGBTIQ+ diskriminiert und verfolgt. Weiterhin gibt es Länder, in denen auf Homosexualität Haft oder sogar die Todesstrafe steht. Gleichzeitig haben wir im vergangenen Jahr gemeinsam mit Tausenden Unterstützer*innen große Erfolge in Bezug auf die Rechte von LGBTIQ+ erzielen können. Drei Beispiele:

Angola: Das Parlament hat im Jänner beschlossen, ein Gesetz zu streichen, auf dessen Grundlage homosexuelle Beziehungen kriminalisiert wurden. Das Parlament ging aber noch einen Schritt weiter: Künftig soll jegliche Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe gestellt werden.

Ukraine: Am 23. November sorgte ausreichend Polizeipräsenz dafür, dass auch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew der diesjährige Trans March stattfinden konnte. Geschützt durch die Beamt*innen gedachten etwa hundert Teilnehmende anlässlich des internationalen Transgender Day of Rememberance den Betroffenen von Transfeindlichkeit. Angekündigte Störungsversuche rechter Gruppierungen konnten verhindert werden.

Im Mai verabschiedete das Parlament in Taiwan ein historisches Gesetz: Als erstes Land in Asien soll gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt sein. Im Mai 2017 hatte das Verfassungsgericht erklärt, dass das geltende Ehegesetz gleichgeschlechtliche Paare diskriminiert. Der Gerichtshof gab dem Gesetzgeber zwei Jahre Zeit, um bestehende Gesetze zu ändern oder neue Gesetze zu erlassen, um gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu legalisieren.

Was noch zu tun ist

Während Homosexualität in einigen Teilen Asiens entkriminalisiert wird, sind die LGBTIQ+-Rechte in Malaysia, Indonesien, Brunei und Singapur nicht geschützt. Amnesty beobachtete einen Anstieg von homosexuellenfeindlicher Rhetorik durch Politiker*innen im Vorfeld von Wahlen in der gesamten Region im vergangenen Jahr. 

7. Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen

Wenn Unternehmen durch ihre Tätigkeiten im Ausland Menschenrechte verletzen oder die Umwelt zerstören, müssen sie zur Rechenschaft gezogen werden können und die Opfer entschädigt werden. Hierfür setzen sich viele Menschen und Organisationen ein – in der Schweiz beispielsweise gibt es über 100 zivilgesellschaftliche Organisation, die die „Konzernverantwortungsinitiative“ gestartet haben.

Klimaschädigende Unternehmen verantwortlich

Philippinen – Überlebenden des Taifuns Yolanda von 2013 und anderer extremer Wetterereignisse auf den Philippinen haben zusammen mit einem Dutzend Organisationen gegen 47 Öl-, Gas- und Kohleunternehmen Anklage bei der philippinischen Menschenrechtskommission eingereicht, da diese Firmen für Menschenrechtsverletzungen infolge des Klimawandels verantwortlich seien. Die Menschenrechtskommission verkündete nun im Dezember, dass die 47 Unternehmen für die Verletzung der Rechte der Menschen des Landes wegen der durch den Klimawandel verursachten Schäden zur Verantwortung gezogen werden könnten. Dies könnte einen weltweiten Präzedenzfall für rechtliche Schritte gegen Großunternehmen schaffen.

Erster Erfolg gegen Shell

Esther Kobel und drei weitere Witwen aus Nigeria zogen gegen Shell vor Gericht: Der Konzern hatte ihrer Ansicht nach eine Rolle bei der Inhaftierung und Hinrichtung ihrer Ehemänner durch das nigerianische Militär gespielt, nachdem Proteste der Ogoni gegen Shells verheerende Umweltverschmutzung in der Region brutal niedergeschlagen worden waren. Anfang Mai entschied das Bezirksgericht in Den Haag zugunsten der Klägerinnen, dass es für den Fall juristisch zuständig ist und keine Verjährung zur Anwendung kommen soll. Außerdem entschied das Gericht, dass Shell den Rechtsbeiständen der Klägerinnen mehrere vertrauliche interne Dokumente zur Verfügung stellen muss und diese die Gelegenheit zur Zeugenvernehmung erhalten.

Was noch zu tun ist

In Brasilien zerstören illegale Rinderfarmen den Amazonas-Regenwald. Amnesty-Recherchen vor Ort haben gezeigt: Die Behörden unterstützen die illegale Rinderhaltung, statt die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Gleichzeitig beschneidet die Regierung Bolsonaro auf Bundesebene den Umweltschutz.

© Amnesty International
© Amnesty International

2019 war das Jahr der Bewegung für Klimagerechtigkeit, die mit Fridays for Future international Fahrt aufnahm. Fridays for Future wurde der diesjährige Ambassador of Conscience Award von Amnesty International verliehen, der ihren mutigen Einsatz für unser aller Zukunft auszeichnet. 2020 muss das Jahr werden, in dem auch die politischen Entscheidungsträger*innen den Ernst der Lage erkennen und endlich handeln. Wir dürfen nicht müde werden, sie lautstark daran zu erinnern.

Ein Amnesty-Bericht zeigte, dass das auf Überwachung basierende Geschäftsmodell von Facebook und Google mit Menschenrechten unvereinbar ist. Amnesty fordert den radikalen Umbau der Geschäftsmodelle der Tech-Giganten. Allen Menschen muss ermöglicht werden, auf den derzeit großen digitalen Pattformen teilnehmen zu können – ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Menschenrechte verletzt werden.

Die letzten 7 Beispiele zeigen: Wir haben viel erreicht – aber wir haben auch noch viel zu tun.

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