Österreich: Warum die Wiedereinführung der Beugehaft menschenrechtlich problematisch ist
9. November 2021Die Wiedereinführung der Beugehaft im Fremdenrecht ist menschenrechtlich problematisch, kritisiert Amnesty International Österreich in einer Stellungnahme zum Ministerialentwurf des Bundeskanzleramtes. Beugehaft wird angewendet, um Personen zur Kooperation mit einer Behörde zu zwingen. Etwa im Fremdenrecht, um ein für die Abschiebung erforderliches Ersatzreisedokument zu beschaffen. Der Entzug der persönlichen Freiheit greift in eine Vielzahl von Menschenrechten ein. Daher darf die Maßnahme nur verhängt werden, wenn es unbedingt erforderlich ist und dann auch nur so lange, wie unbedingt notwendig. Die bisherige Regelung der Beugehaft wurde vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Auch der nun vorliegende Vorschlag ist menschenrechtlich problematisch, einerseits aufgrund der zu langen höchstzulässigen Haftdauer und andererseits, weil er keinen wirksamen Rechtsschutz für Betroffene garantiert.
Bisherige Regelung aufgehoben, neuer Vorschlag ebenfalls bedenklich
Amnesty International Österreich hat am 8. November 2021 nach Konsultation mit der Asyl- und Fremdenrechtsexpertin Dr.in Lioba Kasper eine Stellungnahme zum Ministerialentwurf des Bundeskanzleramtes hinsichtlich der Wiedereinführung der Beugehaft im Verwaltungsvollstreckungsgesetz 1991 abgegeben.
Die bisherige Regelung der Beugehaft im Verwaltungsvollstreckungsgesetz wurde vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, da für die Beugehaft keine maximale Dauer normiert war und auch kein ausreichender Rechtsschutz bestand. Mit dem gegenständlichen Ministerialentwurf sollen die Beugehaft wiedereingeführt, eine höchstzulässige Gesamtdauer der Beugehaft festgelegt und ein neues, erweitertes Rechtsschutzinstrumentarium geschaffen werden. Aus Sicht von Amnesty International bestehen jedoch nach wie vor menschenrechtliche Bedenken hinsichtlich der Höchsthaftdauer und des bestehenden Rechtsschutzmechanismus.
Zu lange Höchsthaftdauer & Unklarheit bei Anrechnung von Schubhaft
Der Entzug der persönlichen Freiheit ist eine der schärfsten und eingriffsintensivsten Maßnahmen, die einem Staat im Rahmen seines Gewaltmonopols zukommt, und stellt einen erheblichen Eingriff in eine Vielzahl von Menschenrechten dar. Aus diesem Grund müssen Staaten nicht nur Vorkehrungen treffen, dass Haft als letztes zur Verfügung stehende Mittel nur dann verhängt werden darf, wenn dies unbedingt notwendig ist – es muss auch sichergestellt werden, dass die Haft nicht länger als unbedingt erforderlich andauert.
Die mit dem gegenständlichen Ministerialentwurf vorgeschlagene höchstzulässige Gesamtdauer der Beugehaft von 12 Monaten erscheint vor dem Hintergrund entsprechender EU-rechtlicher Vorgaben zu lange. Im Sinne einer möglichst kurzen Dauer der Beugehaft wird daher empfohlen, die ausdrückliche Anwendung der unionsrechtlichen Vorgaben zu garantieren und die grundsätzliche Höchstdauer der Beugehaft auf sechs Monate zu beschränken. Weiters ist in der vorgeschlagenen Regelung völlig unklar, ob auch Zeiten der Anhaltung in Beugehaft auf die Höchsthaftdauer einer Schubhaft anzurechnen sind.
Beim Instrument der Beugehaft handelt es sich um ein Instrument zur Erzwingung der Erfüllung einer bestimmten gesetzlichen Verpflichtung. Einer der Hauptanwendungsfälle der Beugehaft ist die Verpflichtung von Personen, die von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in Österreich betroffen sind, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren und an der Durchsetzung dieser Maßnahme mitzuwirken. Darunter fällt insbesondere die mangelnde Bereitschaft zur Beschaffung eines für die Abschiebung erforderlichen Ersatzreisedokumentes, zu welcher die betroffene Person im Rahmen der Beugehaft angehalten werden soll.
Von der Beugehaft unterschieden werden muss das Instrument der Schubhaft. Bei der Schubhaft handelt es sich um eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Sicherung einer bevorstehenden Abschiebung. Sie darf nur bei Fluchtgefahr verhängt werden.
Aktueller Vorschlag lässt offen, wer Rechtsberatung für Betroffene leisten soll
Mit dem gegenständlichen Ministerialentwurf soll auch ein neues, erweitertes Rechtsschutzinstrumentarium nach dem Vorbild der Schubhaftbeschwerde geschaffen werden. Hinsichtlich der Rechtsberatung bestehen jedoch erhebliche Unterschiede zwischen „Beugehaftbeschwerde“ und „Schubhaftbeschwerde“, die nicht nachvollziehbar erscheinen. Während es im Schubhaftbeschwerdeverfahren die Möglichkeit einer gesetzlich zur Verfügung gestellten Rechtsberatung bzw. -vertretung gibt, wird für die Beugehaftbeschwerde lediglich ein Verfahrenshilfesystem vorgeschlagen, das insbesondere im Bereich des Fremdenrechts der spezifischen Situation der betroffenen Personengruppen nicht gerecht werden kann.
So bleibt völlig offen, wer in der Praxis Betroffene beim Ausfüllen des Formulars zur Beantragung der Verfahrenshilfe unterstützen wird. Offen bleibt außerdem, wer die Rechtsmittelbelehrung und die Belehrung über das Recht, einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zu stellen, zu erteilen hat. Darüber hinaus bedarf es selbst bei der Stellung eines Verfahrenshilfeantrages einer entsprechenden Begründung, die im Einzelfall durchaus komplex sein kann. Aus diesem Grund benötigen Betroffene bereits eine umfassende Rechtsberatung, bevor sie einen Verfahrenshilfeantrag stellen können. Außerdem könnte die Dauer der Bestellung eine*r Rechtsvertreter*in im Rahmen der Verfahrenshilfe die gerichtliche Haftprüfung erheblich verzögern.
Das vorgeschlagene Verfahrenshilfesystem erweist sich damit als nicht ausreichend, um einen effektiven Zugang zu einer gerichtlichen Haftprüfung und einen wirksamen Rechtsschutz zu garantieren. Auch hinsichtlich des Rechtsschutzes empfiehlt Amnesty International Österreich daher eine ausdrückliche Anwendung unionsrechtlicher Vorgaben, die einen Zugang zu unentgeltlicher Rechtsberatung- und Vertretung vorsehen würden.