Nach Angaben der pakistanischen Regierung mussten seit dem 17. September mehr als 170.000 Afghan*innen, von denen viele seit Jahrzehnten in Pakistan leben, das Land verlassen, da die Regierung allen „nicht registrierten ausländischen Staatsangehörigen“ ein Ultimatum gestellt hatte, Pakistan zu verlassen. Seit dem Ablauf der Frist am 1. November ist die pakistanische Polizei dazu übergegangen, Fälle nicht mehr nach dem Ausländergesetz von 1946 zu registrieren, das unter anderem die illegale Einreise nach Pakistan unter Strafe stellt, sondern die als „illegal“ eingestuften Geflüchteten direkt in Abschiebezentren zu inhaftieren.
Amnesty International kritisiert das völlige Fehlen von Transparenz, von ordnungsgemäßen Verfahren und Rechenschaftspflicht bei den Inhaftierungen und Abschiebungen der vergangenen Woche. Dies wurde durch die zunehmenden Schikanen und Anfeindungen gegen afghanische Geflüchtete in Pakistan noch verschärft.
„Wir haben keine Informationen darüber erhalten, wohin sie [Familienmitglieder] gebracht wurden und wann sie abgeschoben werden sollen.“
Nach Angaben der Regierung wurden in ganz Pakistan 49 Abschiebezentren (auch als „Transit"-Zentren bezeichnet) eingerichtet, und es besteht die Möglichkeit, dass weitere hinzukommen. Diese Abschiebezentren entbehren jeder gesetzlichen Grundlage und laufen parallel zum Rechtssystem. Amnesty International hat festgestellt, dass in mindestens sieben Abschiebezentren den Inhaftierten keine ihnen zustehende Rechte gewährt werden, wie etwa das Recht auf einen Rechtsbeistand oder auf Kontakt mit Familienangehörigen. Solche Zentren verstoßen gegen das Recht auf Freiheit und ein faires Verfahren. Außerdem werden keine Informationen veröffentlicht, so dass es für die Familien schwierig ist, ihre Angehörigen ausfindig zu machen.
Maryam*, eine afghanische Aktivistin in Islamabad, berichtete Amnesty International, dass am 2. November mehrere afghanische Geflüchtete auf der Shalimar-Polizeistation inhaftiert wurden und „diejenigen, die keine Papiere hatten, zur Abschiebung geschickt wurden, während ihre Familienangehörigen keine Informationen darüber erhielten, wohin sie gebracht wurden oder wann sie abgeschoben werden sollten."
Bei einem anderen Vorfall wurde am 3. November ein 17-jähriger Junge bei einer Razzia in Sohrab Goth in Karatschi festgenommen. Obwohl er in Pakistan geboren wurde, eine vom UNHCR ausgestellte Registrierungskarte (POR - Proof of Registration) besaß und minderjährig war, wurde seiner Familie kein Zutritt zur Haftanstalt gewährt. Er wurde am nächsten Tag abgeschoben, und sein genauer Aufenthaltsort ist nach wie vor unbekannt.
„Ich bin sicher, dass ich getötet werde, wenn ich zurückkehre.“
Amnesty International wurden auch mehrere Fälle von Schikanen und Drangsalierungen gemeldet. Mindestens 12 Kleinunternehmer*innen, die im Besitz eines gültigen afghanischen Ausweises waren, wurden am 1. November auf den Polizeistationen Nishtar Colony und Garden Town in Lahore mehr als 24 Stunden lang festgehalten, ohne dass sie einem Gericht vorgeführt wurden oder Anklage gegen sie erhoben wurde. Am 24. Oktober wurden afghanische Händler*innen in Akbari Mandi in Lahore von Personen in Zivil, die sich als Polizeibeamt*innen ausgaben, nach Unterlagen durchsucht und 500.000 Rupien in bar beschlagnahmt.
Seit der Ankündigung der Frist wurden Warnungen in Form von Flugblättern, Lautsprechern in örtlichen Moscheen und Erklärungen verbreitet, dass jede*r, der afghanischen Geflüchteten ohne Papiere Unterkunft gewährt, mit einer Geldstrafe oder Festnahme rechnen muss. Farah*, eine in Peschawar lebende Journalistin, erklärte, dass die meisten Afghanen abgewiesen werden, aber „die Vermieter*innen, die Zugeständnisse machen, verlangen das Fünffache der Miete, die sie normalerweise verlangen würden".
Seit Anfang Oktober wurden mehrere katchi abadis (informelle Siedlungen), in denen afghanische Geflüchtete leben, von Behördenvertreter*innen der Capital Development Authority (CDA) in Islamabad abgerissen. Diese Abrisse wurden ohne ordnungsgemäßes Verfahren oder Vorwarnung durchgeführt, da informelle Siedlungen nur begrenzte Eigentumsrechte haben, was dazu führte, dass Häuser zerstört wurden, in denen sich noch Gegenstände befanden.
Der afghanische Journalist Asad* und seine Familie flohen 2021 aus Afghanistan, als seine Freund*innen und Kolleg*innen nach der Machtübernahme durch die Taliban ermordet wurden. „Ich stehe auf mehreren Listen, die von den Taliban geführt werden, und ich bin sicher, dass man mich töten wird, wenn ich zurückkehre", sagte er.
Pakistan muss seinen Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechtsabkommen nachkommen, um die Sicherheit der afghanischen Geflüchteten innerhalb seiner Grenzen zu gewährleisten, und die Abschiebungen sofort stoppen, um eine weitere Eskalation dieser Krise zu verhindern", sagte Livia Saccardi.
*Namen zum Schutz der Identität geändert