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Seit dem Putschversuch im Juli 2016 haben Zehntausende Ärzt*innen, Polizist*innen, Lehrer*innen und andere Angestellte des öffentlichen Dienstes willkürlich ihre Jobs verloren.
Die türkischen Behörden werfen ihnen allen vor, „Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen“ zu haben.
Ein neuer Amnesty-Bericht dokumentiert, welche Folgen diese massenhaften willkürlichen Entlassungen für die Betroffenen haben und wie die Türkei gegen internationale Abkommen verstößt.
Mehr als zwei Jahre nach ihrer willkürlichen Entlassung ist die Zukunft von rund 130.000 Menschen in der Türkei nach wie vor ungewiss. Ein neuer Bericht von Amnesty International dokumentiert, wie die türkische Regierung es verabsäumt, Zehntausenden ehemaligen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes wirksame Rechtsmittel bereitzustellen. Der Bericht deckt außerdem auf, dass die Kommission, die die Entlassungen überprüfen soll, ihrer Aufgabe nicht nachkommt.
„Zehntausende Menschen wurden als Terrorist*innen gebrandmarkt. Dadurch haben sie ihren Lebensunterhalt verloren, ihr Berufs- und Familienleben wurde zerstört. Sie warten immer noch auf Gerechtigkeit“, sagt Andrew Gardner, Amnesty-Experte für die Türkei.
Der gesamte Prozess ist ein beschämender Affront gegen die Gerechtigkeit.
Andrew Gardner, Türkei-Experte bei Amnesty International
„Es handelt sich eindeutig um willkürliche Entlassungen. Dennoch hält die Kommission, die zur Überprüfung der Entlassungen eingesetzt wurde, internationale Standards nicht ein und stuft die von Anfang an falschen Entscheidungen de facto ohne Prüfung als korrekt ein. Der gesamte Prozess ist ein beschämender Affront gegen die Gerechtigkeit.“
Im Jänner 2017 setzte die türkische Regierung wegen zunehmenden politischen Drucks eine Kommission ein, um die Entlassungen überprüfen soll. Von den rund 125.000 Anträgen hatte die Kommission bis zum 5. Oktober nur 36.000 entschieden. In nur 7 Prozent dieser Fälle (2.300) wurde die Entlassung aufgehoben.
„Anstatt die Betroffenen rechtlich zu unterstützen, hat die Kommission einfach nur noch mehr Salz in die Wunden gestreut“, sagt Andrew Gardner, und weiter: „Wenn ein begründeter Verdacht auf ein Fehlverhalten, ein Vergehen oder eine Straftat vorliegt, dann sollte die Entlassung über ein reguläres Disziplinarverfahren erfolgen. Die Behörden sollten alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes wieder einstellen, die willkürlich entlassen wurden. Außerdem sollten die Betroffenen entschädigt werden: Sowohl für ihren Verdienstausfall als auch für die verheerenden psychologischen Auswirkungen.“
Amnesty International hat einige der Entscheidungen der Kommission geprüft. Antragsteller*innen mussten nach ihrer Entlassung zwischen sieben und 21 Monate auf die Entscheidung der Kommission warten. Die Mehrzahl der Antragsteller*innen wartet nach wie vor auf eine Entscheidung – viele seit über zwei Jahren.
Personen, die Anträge an die Kommission richten, setzen sich einer kafkaesken Prozedur aus. Als sie entlassen wurden, nannte man den Beschäftigten im öffentlichen Dienst keinen nachvollziehbaren Grund für diese Entscheidung. Es hieß nur, sie hätten „Verbindungen zu einer Terrororganisation“.
Ohne zu wissen, was ihnen genau vorgeworfen wurde, und ohne die gegen sie vorliegenden Beweise zu kennen, konnten die Betroffenen nur über deren Gründe spekulieren. Dadurch war es schwierig, Vorwürfe zu widerlegen und die Entlassungen wirksam anzufechten. Die Ehefrau eines Entlassenen sagte Amnesty International: „Die Gründe für die Entlassung wurden nicht mitgeteilt. So hatten wir nicht die geringste Möglichkeit, wirksam dagegen vorzugehen. Wir haben Rechtsmittel eingelegt, ohne dass wir genau wussten, gegen was.“
Wir haben Rechtsmittel eingelegt, ohne dass wir genau wussten, gegen was.
Ehefrau eines Entlassenen
Ein Betroffener gab Amnesty International gegenüber an: „Unser Recht, vor Gericht ein Entschädigungsverfahren anzustrengen, ist uns genommen worden. Wir haben viel durchgemacht als ich arbeitslos war. Meine Frau ist wegen des erlittenen Traumas noch immer in therapeutischer Behandlung.“
Wir haben viel durchgemacht als ich arbeitslos war. Meine Frau ist wegen des erlittenen Traumas noch immer in therapeutischer Behandlung.
Ein Betroffener
Einige der Beschäftigten hatten das Glück, wieder eingestellt zu werden. Doch haben sie heute häufig eine Stelle, die schlechter entlohnt ist als diejenige, die sie vor ihrer rechtswidrigen Entlassung innehatten.
Trotz der eindeutigen Verstöße gegen das Völkerrecht hält die Regierung weiter an ihrer Strategie fest. So hat sie zwar den Ausnahmezustand beendet, doch wurde im Juli ein neues Gesetz verabschiedet, das drei weitere Jahre Massenentlassungen im öffentlichen Dienst ermöglicht. Im Visier stehen Beschäftigte, denen Verbindungen zu „terroristischen Organisationen“ – oder anderen Gruppierungen, die die nationale Sicherheit gefährden sollen – nachgesagt wird.
Eine Wissenschaftlerin, die entlassen wurde, nachdem sie eine Petition unterzeichnet hatte, sagte im Gespräch mit Amnesty International: „In der Türkei ist das Justizsystem in der Hand der Politiker. Es richtet sich nach dem jeweiligen politischen Klima.“
Die Türkei ist Vertragsstaat des Übereinkommens Nr. 158 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Das Übereinkommen soll Menschen vor willkürlichen Entlassungen ohne verfahrensrechtliche Garantien schützen.
Die Türkei verstößt bei den willkürlichen Entlassungen gegen das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren vor einem Zivilgericht. Besonders gravierend: Es fehlt ein wirksames und faires Beschwerdeverfahren. Die Türkei verstößt auch dagegen, denjenigen wirksame Rechtsmittel bereitzustellen, deren Menschenrechte verletzt worden sind. Das stellt einen Verstoß gegen die Verpflichtung des Landes dar, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zu garantieren.
2016 wurde nach dem Putschversuch der Ausnahmezustand in der Türkei verhängt. Im Zuge dessen wurden nahezu 130.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes per Präsidialerlass entlassen. Dazu reichte bereits die Kontoführung bei einer bestimmten Bank, die Mitgliedschaft in einer bestimmten Gewerkschaft oder das Herunterladen einer bestimmten App auf ein Smartphone als Beweis für vermeintliche Verbindungen zu einer als Terrororganisation bezeichneten Gruppe. Weitere Belege für derartige Verbindungen oder andere Vergehen mussten nicht vorgelegt werden.