Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Kanzlerantministerin für Integration, Familie, Jugend und EU-Agenden Claudia Plakolm (ÖVP) nach einem Expertengespräch zu Familiennachzug und Integration im Innenministerium am 11. März 2025. © Martin Juen / photonews.at / picturedesk.com
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Kanzlerantministerin für Integration, Familie, Jugend und EU-Agenden Claudia Plakolm (ÖVP) nach einem Expertengespräch zu Familiennachzug und Integration im Innenministerium am 11. März 2025. © Martin Juen / photonews.at / picturedesk.com
presse

Amnesty International: Geplante Einschränkung bei Familienzusammenführung verstößt gegen Menschenrechte

10. April 2025

Stellungnahme zu Gesetzesvorschlag – Amnesty International warnt vor gefährlichem Präzedenzfall

In der vorliegenden Stellungnahme kritisiert Amnesty International die geplante Änderung des Asylgesetzes. Diese soll der Regierung die Möglichkeit eröffnen, mittels einer Notstandsverordnung eine drastische Einschränkung bei der Familienzusammenführung vorzunehmen. Diese Änderung wurde einen klaren Bruch mit internationalen Menschenrechtsverpflichtungen darstellen und gefährdet das Recht auf Achtung des Familienlebens anerkannter Geflüchteter in Österreich.

Hier wird nicht auf eine Notstandsituation reagiert – hier wird das Menschenrecht auf Familienleben massiv untergraben. Es handelt sich dabei nicht um eine kurzfristige Anpassung, sondern um eine regelwidrige Abkehr von europäischen Vorgaben.

Aimée Stuflesser, Expertin für Asyl und Migration bei Amnesty International Österreich

„Es besteht kein akuter Notstand, der solche schwerwiegenden Eingriffe rechtfertigt. Die von der Regierung vorgebrachten Argumente, der Eingriff sei notwendig, um eine Überbelastung des Bildungssystems zu bewältigen, entbehrt jeder sachlichen Grundlage“, so Stuflesser.

Amnesty International fordert die österreichische Bundesregierung auf, den Gesetzesvorschlag zurückzuziehen und stattdessen eine Asylpolitik zu verfolgen, die auf Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Integration beruht: „Statt die Menschenrechte zu beschneiden, muss Österreich eine faire Asylpolitik verfolgen – im Sinne einer gemeinsamen und solidarischen Lösung auf europäischer Ebene und unter Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien“, sagt Stuflesser.

Kein Notstand erkennbar

Die Regierung begründet die geplante Maßnahme mit der angeblichen Überbelastung des Bildungssystems. Es gibt jedoch wenig Anzeichen für eine rechtfertigende Notlage. Die Asylzahlen sind rückläufig: Im Februar 2025 wurden lediglich 1.500 positive Asylentscheidungen getroffen, ein Rückgang von 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch die Zahl der über Familiennachzug einreisenden Personen lag im Februar mit 60 Personen auf einem sehr niedrigen Niveau.

Statt Probleme im Bildungssystem zu adressieren, werden Geflüchtete als Sündenböcke herangezogen. Das ist politisch fahrlässig und rechtlich nicht haltbar.

Aimée Stuflesser, Expertin für Asyl und Migration bei Amnesty International Österreich

Mit der geplanten Änderung des Gesetzes könnte Österreich vom EU-Recht abweichen. Der Europäische Gerichtshof hat mehrfach betont, dass Ausnahmen von menschenrechtlichen Mindeststandards nur unter strengen Voraussetzungen zulässig sind. Eine solche liegt in Österreich nicht vor.

Der Europäische Gerichtshof hat wiederholt betont, dass Ausnahmen von menschenrechtlichen Mindeststandards lediglich unter strengen Voraussetzungen zulässig sind. Eine solche Ausnahme besteht in Österreich nicht. Die Familienzusammenführung stellt keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit dar, sondern ist ein Menschenrecht, das selbst in Notlagen uneingeschränkt gewahrt bleiben muss.

Rechtsstaatlichkeit und Schutz von Familien stehen auf dem Spiel

Die im Antrag vorgesehenen Änderungen würden tief in das Recht auf Familienleben eingreifen – ein Recht, das sowohl durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die EU-Grundrechtecharta als auch durch internationale Verträge wie den UN-Kinderrechtskonventionen geschützt ist.

Obwohl die vorgesehene Ausnahme für unbegleitete geflüchtete Kinder sowie die Berücksichtigung der Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung grundsätzlich positiv bewertet werden, ist die Begründung dieser Ausnahme fragwürdig, da sie in hohem Maße auf subjektiven Entscheidungen beruht. Besorgniserregend ist außerdem, dass die Vertretungsbehörde nicht klar begründen muss, warum ein Antrag nicht entschieden wird und auf welcher rechtlichen Grundlage das passiert.

Die Hemmung der behördlichen Entscheidungspflicht bis zum Ablauf einer Verordnung ist rechtlich höchst problematisch. Sie untergräbt das Recht auf wirksamen Rechtsschutz und schafft Rechtsunsicherheit für Geflüchtete und ihre Angehörigen

Aimée Stuflesser, Expertin für Asyl und Migration bei Amnesty International Österreich

Einzig sicherer Fluchtweg

Während die Regierung in ihrem Programm das Ziel formuliert, irreguläre Migration zu „stoppen“, sieht der Gesetzesentwurf vor, die derzeit einzige verbleibende reguläre und sichere Einreisemöglichkeit, nämlich die Familienzusammenführung, bis September 2026 zu unterbinden.

Die geplante Einschränkung gefährdet das psychische Wohlbefinden und die Integration von Schutzberechtigten. Zudem besteht die Gefahr, dass Menschen dadurch vermehrt auf gefährliche und oft tödliche Fluchtrouten ausweichen. 

„Wenn sichere Wege versperrt werden, treiben Menschen in die Irregularität und in lebensgefährliche Fluchtrouten“, warnt Stuflesser. „Wer so handelt, nimmt Menschenrechtsverletzungen billigend in Kauf.“

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