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Asylsuchende werden bei eisigen Temperaturen in unbeheizten Zelten untergebracht, tausende minderjährige Geflüchtete verschwinden, Journalist*innen werden an ihrer Arbeit gehindert und Menschen werden vom Zugang zu Sozialleistungen ausgeschlossen – der Jahresbericht von Amnesty International 2022/23 beklagt zahlreiche Menschenrechtsverletzungen in Österreich.
Ebenso stellt Amnesty International einen besorgniserregenden Trend fest, dass manche Politiker*innen in Österreich die Menschenrechte immer häufiger nicht anerkennen und in Frage stellen. So bedienten sich einige Politiker*innen immer wieder menschenrechtsfeindlicher Rhetorik, um diskriminierende Maßnahmen zu rechtfertigen, und trugen damit zu einer negativen Atmosphäre gegenüber Menschenrechten bei. Dies ist besonders besorgniserregend, da die Menschenrechte ein Grundpfeiler einer gerechten Gesellschaft sind und jederzeit geschützt und gefördert werden müssen. Amnesty International fordert politische Entscheidungsträger*innen auf, sich klar zu den Menschenrechten zu bekennen und Einschränkungen der menschenrechtlichen Verpflichtungen entschlossen entgegenzutreten und sie nicht als politischen Spielball zu benutzen.
„Österreich steht an einem Wendepunkt im Kampf um die Menschenrechte. Welche Richtung wir jetzt einschlagen, wird die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Wenn wir weiterhin Menschen ausgrenzen und ihnen ihre Menschenrechte verweigern, verletzt dies nicht nur ihre Rechte, sondern untergräbt auch den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Es ist zwingend notwendig, dass wir uns für einen Weg der Solidarität und des Mitgefühls entscheiden, auf dem die Rechte aller Menschen gleichermaßen geachtet und gewahrt werden,“ mahnt Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.
Wir fordern die österreichische Regierung auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen und sicherzustellen, dass alle Menschen in Österreich ein Leben in Würde und Sicherheit führen können.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Der Jahresbericht 2022/23 von Amnesty International, erschienen am 28. März, bietet eine umfassende Analyse der weltweiten Menschenrechtssituation und -trends des vergangenen Jahres. Der Bericht umfasst 156 Länder, darunter auch Österreich, wo Amnesty mehrere schwere Menschenrechtsverletzungen feststellt.
Besonderen Handlungsbedarf sieht Amnesty International in Österreich bei der angemessenen Versorgung von Geflüchteten, dem Schutz der Pressefreiheit und dem Zugang zu Sozialleistungen. Die Menschenrechtsorganisation kritisiert auch anhaltende Probleme bei der Verfolgung von Polizeigewalt, Korruptionsbekämpfung und dem Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen.
Der Bericht verdeutlicht das Versagen Österreichs beim Schutz von Geflüchteten und bei der Bereitstellung angemessener Unterstützung für geflüchtete Kinder. Amnesty International fordert die österreichische Regierung auf, den Rechten von Geflüchteten Priorität einzuräumen und sicherzustellen, dass sie eine faire und humane Behandlung erfahren.
Bis Ende des vergangenen Jahres erhielten ungefähr 90.000 ukrainische Geflüchtete in Österreich temporären Schutz gemäß den Bestimmungen der EU-Massenzustrom-Richtlinie. Zwar ist die Anwendung dieser Richtlinie zu begrüßen, doch stellen der fehlende Zugang zur Sozialhilfe, die Hürden beim Zugang zum Arbeitsmarkt und das Fehlen einer längerfristigen Aufenthaltsperspektive in Österreich weiterhin ein Problem dar. Zudem forderten Amnesty International und andere Organisationen eine bessere finanzielle und organisatorische Unterstützung für private Anbieter*innen von Unterkünften, die einen Großteil der ukrainischen Geflüchteten beherbergen.
Die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern führte dazu, dass Geflüchtete im Oktober 2022 in Zelten untergebracht wurden, da die meisten Bundesländer nicht genügend Unterkünfte zur Verfügung stellten. Diese Form der Unterbringung wurde von Amnesty International und zahlreichen anderen Organisationen als ungeeignet, unsicher und unmenschlich kritisiert.
Im Februar 2022 befand das Landesverwaltungsgericht Steiermark, dass ein Asylsuchender aus Marokko von der Polizei widerrechtlich nach Slowenien zurückgeschoben worden war, und merkte an, dass solche rechtswidrigen Pushbacks „teilweise methodisch Anwendung“ finden. Diese Entscheidung wurde im Juni 2022 vom Verwaltungsgerichtshof bestätigt.
Laut dem Bundesministerium für Inneres beantragten im Jahr 2022 insgesamt 13.151 geflüchtete Kinder in Österreich Asyl. Im gleichen Zeitraum verschwanden insgesamt 11.629 geflüchtete Kinder. Amnesty International fordert die sofortige Zuweisung von Obsorgeberechtigten für alle unbegleiteten Minderjährigen unmittelbar nach ihrer Ankunft in Österreich und nicht erst nach der Zulassung zum Asylverfahren, was oft mehrere Monate erfordert. Tausende von unbegleiteten geflüchteten Kindern sind in Bundesbetreuungseinrichtungen wie Traiskirchen untergebracht, die für einen dauerhaften Aufenthalt von Kindern definitiv nicht geeignet sind.
Aufgrund der nicht kindgerechten Betreuung und der fehlenden Obsorge sind allein im Jahr 2022 in Österreich insgesamt 11.629 minderjährige Geflüchtete verschwunden. Niemand weiß mit Sicherheit, was mit all diesen Kindern geschehen ist. Es ist, als ob eine komplette Kleinstadt verschwunden wäre und die Politik schaut weg.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
„Es liegt in der Verantwortung der österreichischen Regierung, dafür zu sorgen, dass diese schutzbedürftigen Kinder und Jugendlichen nicht nur vor Schaden bewahrt werden, sondern auch angemessene Betreuung und Unterstützung erhalten. Wir fordern daher die österreichische Regierung auf, sicherzustellen, dass die Rechte von Geflüchteten in vollem Umfang respektiert und gewahrt werden.“
Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamt*innen, wie etwa bei der Demonstration zum 1. Mai 2021 in Wien, wurden auch 2022 nicht wirksam untersucht. Straflosigkeit und mangelnde Rechenschaftspflicht wurden zudem dadurch verschärft, dass Polizeibeamt*innen nach wie vor keine individuelle Kennung trugen.
Nach Jahren des Wartens präsentierte die Bundesregierung im März 2023 endlich einen Gesetzesentwurf zur Errichtung zu unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen. Jedoch ist der Entwurf mangelhaft. Unabhängige und damit wirksame Untersuchungen sind aufgrund der Ansiedelung der Stelle im Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK), einer Einrichtung des Innenministeriums, nicht garantiert.
So erfreulich es ist, dass endlich ein Entwurf vorliegt, so sehr ist dieser mangelhaft und entspricht insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit nicht völkerrechtlichen Standards.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Der Bericht hebt auch die unzureichenden Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Sicherheit in Österreich hervor, insbesondere für Menschen, die bereits benachteiligt oder armutsgefährdet sind. Die COVID-19-Pandemie hat die dringende Notwendigkeit eines krisenfesten sozialen Sicherheitsnetzes aufgezeigt, dennoch sind viele Menschen in Österreich weiterhin von Armut, Wohnungslosigkeit und Ausschluss von Sozialleistungen betroffen.
Mit den im Juni 2022 verabschiedeten Änderungen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes wurde u.a. eine Härtefallklausel für Nicht-Österreicher*innen eingeführt. Es wurde ermöglicht, dass Menschen, die in Frauenhäusern oder Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe leben, den vollen Bezug der Sozialhilfe erhalten. Doch ist das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz mit seinen Höchstsätzen, die unter der Armutsgefährdungsgrenze liegen, nach wie vor nicht angemessen und ermöglicht den Menschen kein Leben in Würde.
Im Jahr 2022 wurden einige Maßnahmen verlängert , um Delogierungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zu verhindern und Menschen zu unterstützen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren. Allerdings hat Österreich es nach wie vor verabsäumt, eine nationale Wohnstrategie zu entwickeln und umzusetzen und diversifizierte Angebote in der Wohnungslosenhilfe flächendeckend sicherzustellen.
Mangelnde Informationen, hohe bürokratische Hürden, Sprachbarrieren und gesetzliche Regelungen, die zum Ausschluss der Anspruchsberechtigung sowohl von österreichischen als auch nicht-österreichischen Staatsangehörigen führten, bewirkten darüber hinaus, dass viele Menschen keinen Zugang zu den entsprechenden Unterstützungsleistungen der Wohnungslosenhilfe erhalten.
Amnesty International fordert die Regierung auf, dringend Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass soziale Menschenrechte in Österreich wirksam umgesetzt werden und Menschen ihre Rechte auch in Anspruch nehmen können.
Amnesty International kritisiert auch die Verschlechterung der Pressefreiheit in Österreich. Journalist*innen sind zunehmend Schikanen und Einschüchterungen ausgesetzt. Bei mehreren Protesten in Wien hinderte die Polizei Journalist*innen an der Beobachtung und Berichterstattung oder schützte sie nicht ausreichend vor Angriffen von Demonstrierenden.
Bei der Räumung eines Protestcamps im April 2022 richtete die Polizei eine separate Pressezone für Journalist*innen ein, die so weit vom Camp entfernt war, dass eine angemessene Beobachtung der Ereignisse nicht möglich war.
Parallel stieg die Zahl an Einschüchterungsklagen (SLAPP-Klagen) gegen Medienschaffende und Journalist*innen. Besonders besorgniserregend ist dabei, dass im Vergleich zu Fällen in der Vergangenheit nicht nur gegen die publizierenden Medien, sondern regelmäßig per Privatanklage gegen Journalist*innen selbst vorgegangen wird. So wurde Anfang des Jahres ein Journalist wegen einer satirischen Kolumne über Vorgeschichte des „Ibiza-Skandals“ vom Leiter des Bundeskriminalamts geklagt.
Der Rückgang der Pressefreiheit in Österreich ist alarmierend. Eine freie Presse ist für den Schutz der Menschenrechte unerlässlich, und Journalist*innen müssen ihre Arbeit ohne Angst vor Repressalien oder Schikanen ausüben können.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
"Jeder Versuch, Journalist*innen zum Schweigen zu bringen, stellt eine Gefahr für die Ausübung zahlreicher weiterer Menschenrechte dar. Es liegt in der Verantwortung der österreichischen Regierung, die Pressefreiheit zu schützen und zu wahren“, so Annemarie Schlack.
2022 wurden 28 Frauen aufgrund geschlechtsspezifischer Gewalt getötet. Gleichzeitig blieb die Kritik an zu wenig Plätzen in Frauenhäusern bestehen.
Die Faktoren Gender und Mehrfachdiskriminierung wurden bei der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen nicht ausreichend berücksichtigt.
So waren die meisten Angebote der Wohnungslosenhilfe nicht geschlechtsspezifisch, sondern basierten auf den Bedürfnissen und Erfahrungen von Männern. Die vorgeschlagenen Reformen des Pflegesystems gewährleisteten weder eine gerechte Entlohnung noch einen ausreichenden sozialen Schutz für Migrantinnen, die die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in der häuslichen Altenpflege, der so genannten 24-Stunden-Betreuung, ausmachen.
Im September kritisierten Frauenrechtsorganisationen die anhaltenden Hindernisse beim Zugang zu leistbaren und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen.
Die Umsetzung des im Februar 2021 vorgeschlagenen Informationsfreiheitsgesetzes, das die Transparenz und das Vertrauen in die Politik und die Institutionen erhöhen sollte, blieb weiter aus.
Ein neues Gesetz zum Schutz von Hinweisgeber*innen wurde im Jänner 2023 im Nationalrat verabschiedet. Doch leistet dieser Gesetzesvorschlag keinen ausreichenden Schutz für Hinweisgeber*innen und wird deswegen wenig zu einer effektiveren Aufdeckung und Untersuchung von Missständen innerhalb von Unternehmen und Behörden beitragen können. Der Gesetzesentwurf folgte erst nachdem die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet hatte.
Titelbild: Ukrainische Geflüchtete bei der Ankunft am Wiener Hauptbahnhof, März 2022.