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Mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen weist der Amnesty International Jahresbericht 2023/24 auf gravierende Menschenrechtsprobleme in Österreich hin. Entgegen den Versprechungen der Regierung verschärfen sich Probleme wie das Verschwinden von geflüchteten Kindern, Einschränkungen von Journalist*innen und der unzureichende Zugang zu Sozialleistungen.
„Es ist ein Schicksalsjahr für Menschenrechte in Österreich. Wir appellieren an alle Parteien, sich für den Schutz und die Verwirklichung der Menschenrechte einzusetzen, anstatt mit spaltender Rhetorik Angst zu schüren. Dies wird maßgeblich dafür sein, wie wir als Gesellschaft zusammenhalten“, sagt Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich.
Die bevorstehende Wahl bieten eine wichtige Gelegenheit, unsere Stimme für die Achtung der Menschenrechte und eine gerechte Gesellschaft abzugeben. Angesichts der drängenden Fragen unserer Zeit müssen wir uns daran erinnern, dass Verbesserungen möglich sind, wenn wir sie einfordern.
Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Der heute veröffentlichte Jahresbericht von Amnesty International liefert eine umfassende Analyse der globalen Menschenrechtssituation. In Österreich sieht Amnesty International dringenden Handlungsbedarf bei der mangelnden Obsorge von unbegleiteten geflüchteten Kindern sowie dem erschwerten und diskriminierenden Zugang zur Sozialhilfe. Auch sieht die Organisation einen unverzüglichen Handlungsbedarf zum Schutz der Pressefreiheit und zur Vorbeugung und Verhinderung von Gewalt an Frauen und Mädchen.
Die Anzahl an Femiziden blieb auch im Jahr 2023 auf einem hohen Niveau. Allein im vergangenen Jahr gab es mutmaßlich 26 Femizide. Es fehlt weiterhin ein umfassender und nachhaltiger Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, der einen Ausbau von Beratungs- und Unterstützungsangeboten und Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung beinhaltet.
Schwangerschaftsabbrüche sind nach wie vor kriminalisiert und der Zugang dazu ungleichmäßig in Österreich verteilt. In vielen Regionen gibt es keine ortsnahen Kliniken, die entsprechende Leistungen anbieten. Außerdem gelten Schwangerschaftsabbrüche als private Leistung, so dass die Kosten von denjenigen getragen werden, die diese Gesundheitsdienstleistung in Anspruch nehmen. Amnesty International fordert die vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, um die Entstigmatisierung der betroffenen Personen sowie des Gesundheitspersonals und Aktivist*innen voranzutreiben.
Schwangerschaftsabbruch muss endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Es ist eine reguläre Gesundheitsleistung, zu der alle Menschen gleichen Zugang haben sollten. Dabei muss auch die finanzielle Belastung der Betroffenen verringert und Versorgungslücken geschlossen werden.
Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
In Österreich ist der alarmierende Trend zu beobachten, dass ein großer Teil der unbegleiteten geflüchteten Kinder aus der offiziellen Betreuung verschwindet. Laut Innenministerium haben sich im vergangenen Jahr über 4.700 geflüchtete Minderjährige vom Asylverfahren entzogen, ohne dass der Verbleib der Mehrheit von ihnen bekannt ist. Dies entspricht knapp 95% der unbegleiteten geflüchteten Kinder, die im selben Zeitraum in Österreich Asyl beantragt haben. Dies gibt Anlass zu großer Sorge um die Sicherheit und das Wohlergehen dieser Kinder, die Gefahr laufen, Opfer von Menschenhandel zu werden.
Einer der Hauptgründe dafür ist das Fehlen einer Obsorge für unbegleitete geflüchtete Kinder ab dem Zeitpunkt ihrer Ankunft in Österreich. Dadurch sind die betroffenen Kinder oft Monate hinweg auf sich allein gestellt. Dieser Mangel an Obsorge geht einher mit schlechten Unterbringungsbedingungen und unzureichendem Zugang zu Bildung, was eine Menschenrechtsverletzung darstellt.
Amnesty International fordert dringend Maßnahmen zu ergreifen und umzusetzen, um den Schutz von geflüchteten Kindern, die innerhalb der österreichischen Grenzen Schutz suchen, zu gewährleisten.
Das Verschwinden tausender geflüchteter Kinder ist ein menschenrechtlicher Skandal und erfordert dringende Maßnahmen seitens der österreichischen Regierung. Alle Kinder haben ein Recht auf Schutz und Unterstützung, und es ist wichtig, dass Maßnahmen ergriffen werden, um ihre Sicherheit und Wohlergehen zu gewährleisten.
Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Journalist*innen in Österreich sehen sich mit zunehmenden Herausforderungen konfrontiert. Neben steigendem wirtschaftlichem Druck nimmt auch die Zahl an Einschüchterungsklagen, sogenannte „SLAPP“-Klagen, und anderer Schikanen zu, die sie an einer freien Berichterstattung hindern. Der jüngste Amnesty-Jahresbericht betont die Notwendigkeit, die Pressefreiheit zu schützen und ein sicheres Umfeld zu schaffen, in dem Journalist*innen ihr unerlässliche Arbeit als „public watchdog“ ohne Einschüchterungen oder Angst vor Verfolgung ausüben können, so Hashemi:
„Um die negativen Trends in Transparenz, Pressefreiheit, Demokratie und Korruption umzukehren, ist die Stärkung der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit unerlässlich. Dies erfordert unter anderem, dass Journalist*innen vor Einschüchterungsklagen wirksam geschützt werden sowie eine Medienförderung, die sich an klaren und objektiven Qualitätskriterien orientiert.“
Die Sozialhilfe, das so genannte “letzte soziale Auffangnetz" ist löchrig und verstößt gegen die menschenrechtlichen Verpflichtungen Österreichs. Anstatt Armut zu lindern, verfestigt sie diese. Darüber hinaus stoßen viele Personen und Familien, die von Armut betroffen sind, auf Hindernisse beim Zugang zur Sozialhilfe, insbesondere Alleinerzieherinnen und auch Frauen, die Gewalt überlebt haben. Diese Hindernisse verschärfen bestehende Ungleichheiten und stehen der Verpflichtung Österreichs, Armut zu bekämpfen und marginalisierte Gemeinschaften wirksam zu unterstützen, diametral entgegen.
Subsidiär Schutzberechtigte und ukrainische Geflüchtete sind vom Zugang zur Sozialhilfe ausgeschlossen und müssen mit der deutlich geringeren Grundversorgung auskommen. Dies führt zu prekären Situationen, in denen sie mit der Deckung von Grundbedürfnissen wie Nahrung, Wohnen oder Gesundheitsversorgung zu kämpfen haben.
Amnesty International hat in einem kürzlich veröffentlichten Bericht auf diese Missstände hingewiesen und die österreichische Regierung dringend dazu aufgefordert, die Sozialhilfe so umzugestalten, dass sie Menschen ein Leben in Würde und gesellschaftlicher Teilhabe ermöglicht, und die bestehenden Hürden beim Zugang zur Sozialhilfe abzubauen.
Besonders erschreckend ist die Zunahme von Hassverbrechen und rassistisch motivierten Taten in Österreich. Seit dem Hamas-Angriff auf Israel im Oktober 2023 ist ein deutlicher Anstieg antisemitischer Vorfälle zu verzeichnen. Gleichzeitig stieg auch die Häufigkeit von antimuslimischen Übergriffen.
Amnesty International fordert die österreichische Regierung auf, entschiedene und umfassende Schritte gegen Hassverbrechen zu unternehmen, insbesondere gegen diskriminierende Gewalt und zur Stärkung der Gleichstellung.
Die im Jänner 2024 eingerichtete Ermittlungs- und Beschwerdestelle zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibedienstete ist ein Schritt in die richtige Richtung. Jedoch bleibt die fehlende Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen ein Hindernis für eine wirksame Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen, da eine individuelle Verantwortlichkeit oftmals nicht festgestellt werden kann.
Amnesty International fordert daher die Einführung einer eindeutigen und individuellen Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen als Voraussetzung für die Durchführung effektiver Ermittlungsverfahren bei Vorwürfen von Misshandlungen oder unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch Beamt*innen.
Der Bericht des Anti-Folter-Komitees des Europarates vom Juni 2023 unterstreicht den dringenden Handlungsbedarf in österreichischen Haftanstalten. Besonders alarmierend sind die katastrophalen Zustände der Zellen und Sanitäranlagen sowie die unverhältnismäßige Isolation in der Schubhaft.
Zudem gibt es menschenrechtliche Bedenken über die Situation Menschen im Maßnahmenvollzug, insbesondere im Hinblick auf die Unterbringung in regulären Gefängnissen, sowie den mangelnden Zugang zu psychosozialer Betreuung und medizinischer Behandlung.