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Amnesty-Kritik an Gesetzesentwurf für Ermittlungsstelle bei Polizeigewalt: Unabhängigkeit nicht sichergestellt

6. März 2023

Amnesty International begrüßt, dass das lang versprochene Vorhaben zur Errichtung einer Ermittlungsstelle zur Untersuchung von Polizeigewalt nun endlich umgesetzt wird. Gleichzeitig übt Amnesty Kritik: Unabhängige und damit wirksame Untersuchungen sind aufgrund der Eingliederung der Stelle im Innenministerium nicht garantiert.

Nach langen Jahren des Wartens hat die Regierung nun endlich ihren Plan für die Errichtung einer Ermittlungsstelle zur Untersuchung von Polizeigewalt präsentiert.

So erfreulich es ist, dass endlich ein Gesetz kommt, so sehr ist dieses offenbar mangelhaft und entspricht insbesondere im Hinblick auf die Unabhängigkeit nicht völkerrechtlichen Standards.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

Österreich war in den vergangenen Jahren mehrfach von UN-Seite und vom Europarat dafür gerügt worden, über keinen wirksamen Mechanismus zur Untersuchung von Polizeigewalt zu verfügen. Die Ermittlungsstelle war seit langem eine zentrale Forderung der Menschenrechtsorganisation, doch an dem jetzigen Regierungsvorhaben sieht Amnesty große Schwächen und übt daran Kritik:

1. Keine Sicherstellung der Unabhängigkeit: Ansiedelung im Innenministerium, fehlende Transparenz im Bestellprozess für die Leitung der Stelle

„Die Unabhängigkeit einer solchen Stelle ist zentral für die Frage, wie wirksam sie wirklich arbeiten und Gewaltvorwürfe untersuchen kann. Daher darf sie etwa in keinerlei hierarchischer oder institutioneller Verbindung zur Polizei selbst stehen, mit anderen Worten: Sie muss unbedingt außerhalb des Innenministeriums angesiedelt sein und nicht der Weisungsbefugnis des Innenministers unterliegen“, so Teresa Exenberger, Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich, die das Vorhaben im Detail analysiert. Der aktuelle Plan sieht genau das jedoch nicht vor und siedelt die Stelle im Bundesamt für Korruptionsbekämpfung und Korruptionsprävention (BAK) an, einer Einrichtung des Innenministeriums. „Damit ist klar, dass die Ermittlungsstelle keinesfalls unabhängig agieren kann“, kritisiert Annemarie Schlack. Und weiter: „Wenn keine unabhängigen und damit wirksamen Untersuchungen sichergestellt sind, läuft dieses Vorhaben Gefahr, dass das Vertrauen der Betroffenen fehlt und sie sich bei Misshandlungsvorwürfen nicht an die Stelle wenden.“

Bedenklich ist auch der vorgesehene Bestellprozess für die Leitung dieser Stelle, die durch den Innenminister besetzt werden soll. Dabei ist es gerade für die Unabhängigkeit essenziell, dass die*der Leiter*in keinerlei Naheverhältnis zu Politik oder Polizei hat, um Interessenskonflikte möglichst auszuschließen. Ein transparenter Prozess und Kriterien, die die Unabhängigkeit der Leitung sicherstellen, sollten unbedingt gesetzlich verankert werden, fordert Amnesty.

2. Nicht umfassend: Weder alle Polizeibeamt*innen noch Justizwachebeamt*innen umfasst

Kritik übt die Menschenrechtsorganisation auch daran, dass die Ermittlungsstelle nicht für Misshandlungsvorwürfe gegen Justizwachebeamt*innen zuständig ist, und selbst manche Polizeibeamt*innen nicht in die Kompetenz der Ermittlungsstelle fallen – nämlich die in vielen Gemeinden etablierten Gemeindesicherheitswachen bzw. Gemeindewachkörper. „Bei allen diesen geht es um staatliche Bedienstete mit der Befugnis, Zwangsgewalt auszuüben, und eine wirksame Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen sie wäre genauso völkerrechtlich geboten“, so Amnesty-Geschäftsführerin Schlack.

3. Zivilgesellschaftlicher Beirat: Keine Auswahl der Mitglieder durch Ministerien

Positiv beurteilt Amnesty International die vorgesehene Einrichtung eines so genannten Beirats, der sicherstellen soll, dass die Ermittlungsstelle ihre Aufgaben erfüllen kann. Allerdings müssten die Mitglieder unabhängig gewählt werden; eine Auswahl durch das Innenministerium sowie des Justizministeriums – wie derzeit vorgesehen – lehnt Amnesty strikt ab.

4. Reform bei Staatsanwaltschaft notwendig

Ungeklärt ist auch die Problematik der potenziellen Befangenheit von Staatsanwält*innen: Denn das Risiko von Interessenskonflikten ist vor allem dann groß, wenn unter ihrer Leitung Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamt*innen geführt werden, mit denen sie in anderen Ermittlungen zusammenarbeiten. Daher fordert Amnesty bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamt*innen eine Konzentration der staatsanwaltschaftlichen Zuständigkeit: So könnte man entweder für alle derartigen Verfahren österreichweit die WKStA zuständig machen; oder es könnten entsprechende Kompetenzzentren bei den vier Oberstaatsanwaltschaften eingerichtet werden. Damit würde auch eine Spezialisierung der zuständigen Staatsanwält*innen sichergestellt, die dann über spezifisches und für solche Verfahren notwendiges Know-how verfügen.

5. Zivilgesellschaft wurde in Gesetzesentwurf nicht eingebunden

„Auch wenn es positiv ist, dass die lang geforderte Ermittlungsstelle nun endlich kommt, wäre es wichtig gewesen, die Zivilgesellschaft und internationale Organisationen einzubinden“, äußert Schlack auch Kritik an dem Zustandekommen des Gesetzes. „Wir haben mehrfach davor gewarnt, die vorhandene Expertise nicht zu nutzen und ein Gesetz im Alleingang auszuarbeiten. Zu Recht. Aber noch ist es nicht zu spät und jetzt gilt es, die Zivilgesellschaft breit zu konsultieren und die Mängel zu beheben.“

Amnesty Kampagne „Protect the Protest“

Amnesty International fordert seit Jahren eine Beschwerde- und Ermittlungsstelle bei Polizeigewalt, bei der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit im Zentrum stehen. Fast 8.000 Menschen haben sich der der Forderung bisher angeschlossen und die Petition unterschrieben.

Die Forderung ist ein Teil der weltweiten Kampagne Protect the Protest, mit der Amnesty International den Schutz unseres Rechts auf Protest einfordert. Protest ist ein wirksames Mittel, um Menschenrechte zu schützen und Ungleichheiten abzubauen. Er gibt uns allen die Möglichkeit, unsere Stimmen zu erheben, uns Gehör zu verschaffen und zu fordern, dass wir gleichberechtigt behandelt werden. Allerdings war das Recht, zu protestieren, weltweit noch nie so sehr durch Regierungen bedroht wie heute. Dabei stellt der Umgang mit Polizeigewalt – insbesondere auch bei friedlichen Protesten – auch in Österreich ein massives Problem dar.