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„Anti-Terror-Paket": Ein problematischer Schnellschuss

26. Jänner 2021

Zusammenfassung

  • Geplante Gesetzesänderungen sind menschenrechtlich problematisch und zum Teil unbestimmt formuliert, sodass Gefahr für Missbrauch besteht 
  • Ergebnisse der Untersuchungskommission wurden nicht berücksichtigt   
  • Amnesty fordert ersatzlose Streichung des Straftatbestandes Religiös motivierte extremistische Verbindung”Symbole dürfen nicht willkürlich verboten werden

Das geplante „Anti-Terror-Paket" in Österreich ist nach wie vor menschenrechtlich problematisch – auch wenn einige im Vorfeld angekündigte Maßnahmen gestrichen oder entschärft wurden, kritisiert Amnesty International in ihrer Stellungnahme zum Gesetzespaket, dessen Begutachtungsfrist diesen Freitag endet.

„Anstatt als ersten Schritt sorgfältig zu evaluieren, warum bereits existierende Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus nicht wirksam genutzt worden sind, ließ sich die Regierung zu einem menschenrechtlich problematischen Schnellschuss hinreißen”, sagt Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, und sagt weiter:

„Die Bekämpfung von Terrorismus ist wichtig, denn Terrorismus ist auch immer ein Angriff auf Menschenrechte und auf das, was sie für die Menschen bedeuten: Freiheit, gegenseitiger Respekt und ein friedliches Miteinander. Der Schutz und die Stärkung von Menschenrechten müssen daher auch im Mittelpunkt effektiver Maßnahmen gegen Terrorismus stehen – nicht ihre Einschränkung."

Doch das derzeit geplante neue Anti-Terror-Paket greift unverhältnismäßig in die Rechte der Menschen in Österreich ein und öffnen Tür und Tor für Missbrauch. Gesetze müssen stets sorgfältig gemacht werden, dazu zählt, wissenschaftliche Erkenntnisse und die Ergebnisse von Untersuchungen zu berücksichtigen.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

Mit dem Straftatbestand zur Kriminalisierung von „Religiös motivierten extremistischen Verbindungen” plant die Regierung unnötige und unverhältnismäßige Eingriffe in die Rechte der Menschen in Österreich. Der Gesetzesentwurf ist außerdem unbestimmt formuliert, dadurch besteht die Gefahr des Missbrauchs. Amnesty fordert daher, dass der Straftatbestand ersatzlos gestrichen wird.

Hinsichtlich der geplanten Änderung des Symbole-Gesetzes fordert Amnesty, dass einem Symbole-Verbot eine konkrete Gefährdungseinschätzung zugrunde liegen muss. Verbote von Symbolen dürfen niemals willkürlich erfolgen. Einschränkungen des Rechts auf Meinungsfreiheit müssen stets geeignet und notwendig sein, um ein menschenrechtlich legitimes Ziel zu erreichen.

Untersuchungsergebnisse nicht berücksichtigt

Wenn neue Maßnahmen eingeführt werden, müssen diese auch wirksam sein. Umso unverständlicher ist, warum die Ergebnisse der Untersuchungskommission zum Anschlag in Wien nicht abgewartet wurden.

„Eilig vorangetriebene und unverhältnismäßige Verschärfungen und Verbote garantieren keine umfassende Bekämpfung von Terrorismus. Sie können im schlimmsten Fall das Gegenteil bewirken und zu mehr Angst, Ausgrenzung und Stigmatisierung führen, die wiederum Nährboden für Terrorismus  sind. Die Regierung muss daher mit diesem Gesetzespaket zurück an den Tisch und grundlegende Änderungen vornehmen. Wenn neue Maßnahmen erlassen werden, sollten diese auch nachweislich wirksam sein, erforderlich und verhältnismäßig, um Terrorismus zu bekämpfen”, sagt Annemarie Schlack.

Amnesty International fordert die ersatzlose Streichung des Straftatbestandes zur Kriminalisierung von religiös motivierte extremistische Verbindungen”. Der Gesetzesentwurf ist unklar formuliert, dadurch besteht die Gefahr des Missbrauchs. Außerdem könnte er sich diskriminierend auswirken: Zwar ist der Tatbestand grundsätzlich neutral formuliert, doch in den Erläuterungen des Gesetzestextes finden sich nur die Erwähnung des Islam, darunter auch der Begriff „politischer Islam”, der islamkritisch konnotiert ist.

Kritik gibt es auch an der Änderung des Symbole-Gesetzes durch die erneute Erweiterung verbotener Symbole: Verbote von Symbolen greifen in Menschenrechte ein und dürfen niemals willkürlich sein. Einschränkungen des Rechts auf Meinungsfreiheit müssen stets geeignet und notwendig sein, um ein menschenrechtlich legitimes Ziel zu erreichen. Amnesty fordert daher, dass einem Symbole-Verbot eine konkrete Gefährdungseinschätzung zugrunde liegen muss.

Der geplante Entzug der Staatsbürgerschaft für Doppelstaatsbürger*innen ist ein massiver Eingriff in die Menschenrechte. Amnesty fordert daher eine strenge Einzelfallprüfung und dass der Entzug nur in absoluten Ausnahmefällen möglich sein soll. Unverhältnismäßig ist jedenfalls die geplante Möglichkeit, die Staatsbürgerschaft bereits bei einer Verurteilung wegen Delikten, die einen Strafrahmen von bis zu zwei Jahren vorsehen, zu entziehen.

Amnesty hat ernste Bedenken, dass die elektronische Überwachung („elektronische Fußfessel”) nach bedingter Entlassung – angesichts des massiven Eingriffs in die Privatsphäre und Fortbewegungsfreiheit – menschenrechtlich geeignet und erforderlich ist.  

Auch die Änderungen des Islamgesetzes und die Möglichkeit der Aufhebung der Rechtspersönlichkeit von Kultusgemeinden, Moscheegemeinden und religiösen Fachvereinen sind menschenrechtlich bedenklich. Bei der geplanten Einführung eines „Imame-Verzeichnisses” bleibt unklar, womit die verbundenen Eingriffe in das Recht auf Religionsfreiheit gerechtfertigt sind. Auch könnten die Maßnahmen diskriminierende Auswirkungen auf die islamische Religionsgemeinschaft und eine abschreckende Wirkung („chilling effect”) auf die Ausübung der Religionsfreiheit haben.

Hintergrund

Staaten sind verpflichtet, Terrorismus effektiv zu bekämpfen und vorzubeugen. Es ist Aufgabe der Regierungen, ein sicheres Umfeld zu schaffen, in dem wir alle unsere Rechte wahrnehmen können. Gleichzeitig müssen die Maßnahmen gegen Terrorismus stets verhältnismäßig sein und dürfen unsere Menschenrechte nicht verletzten.

Ein Bericht von Amnesty International aus dem Jahr 2017 zeigte, dass weitreichende Anti-Terrorismus-Gesetze Europa in einen tiefen und gefährlichen Zustand permanenter Überwachung versetzen. 2016 untersuchte Amnesty den Ausnahmezustand in Frankreich und dokumentierte, wie Notfallmaßnahmen die Rechte Tausender verletzten, Menschen traumatisierte und stigmatisierte.