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Amnesty International bezieht zu Gesetzesentwürfen nur im Rahmen ihres Mandats, sohin nur insoweit Stellung, als menschenrechtliche Implikationen gegeben sind.
STELLUNGNAHME ZUM VORLIEGENDEN ENTWURF
GRUNDSÄTZLICHES
Amnesty International drückt ihre Besorgnis darüber aus, dass der vorliegende Entwurf das Ergebnis von Pauschalverdächtigungen von Asylwerbern (1) ist und der eigentliche Zweck des Gesetzes, nämlich der Schutz von schutzbedürftigen Personen einmal mehr in den Hintergrund gedrängt wird.
Amnesty International betont nochmals, dass es sich bei der im Entwurf vorgeschlagenen „Aufenthaltsverpflichtung“ von Asylwerbern im Zulassungsverfahren nach internationalem und nationalem Recht um Freiheitsentziehung und somit Haft handelt.
Gemäß der Rechtssprechung des EGMR ist für eine Freiheitsentziehung kennzeichnend, dass die körperliche Bewegungsfreiheit dadurch eingeschränkt wird, dass der Betroffene daran gehindert wird, einen bestimmten Raum oder Ort zu verlassen. Maßgeblich ist demnach, ob der Betroffene den Aufenthaltsort jederzeit verlassen kann, ohne mit einem physischen Zugriff rechnen zu müssen. Dies findet sich auch im PersSchFrG wieder: Gegenstand der dort gewährleisteten Freiheit ist der Schutz der körperlichen Bewegungsfreiheit natürlicher Personen. Staatliche Maßnahmen, die in dieses Grundrecht eingreifen, sind daher Maßnahmen, welche einem Menschen die Freiheit entziehen, dh seine freie Entscheidung (!) über seinen Aufenthaltsort beschränken und ihn zu einem unfreiwilligen Verbleiben an einem bestimmten begrenzten Ort verhalten oder ihm eine bestimmte Bewegungsrichtung aufzwingen.(2) Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung v. 12.12.1992, Slg 13300 eine Einweisung in ein bewachtes Flüchtlingslager demgemäß als Freiheitsentziehung angesehen.
§ 15 b Abs 1 des vorliegenden Entwurfs sieht eine „Aufenthaltsverpflichtung“ des Asylwerbers in der Erstaufnahmestelle vor, bei deren Nichtbeachtung gem. § 47 Abs 3 (neu) die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt sind, die betroffenen Personen am Verlassen der Erstaufnahmestelle zu hindern. Es liegt somit ganz klar eine Freiheitsentziehung vor.
Diese erste Phase der Internierung soll bis zu 120 Stunden dauern, die jedoch durch Wochen- bzw. Feiertage gehemmt wird. Diese Hemmung der Frist zeigt deutlich, dass der Entwurf nicht die effiziente Arbeit der Asylbeamten vor Augen hat, sondern um das die betroffenen Asylwerber, wie dies auch immer wieder in der politischen Diskussion betont wurde, weggesperrt bzw. verwahrt werden sollen.
§ 15b Abs 2 des vorliegenden Entwurfs sieht im Anschluss daran vor, dass, wenn
1. eine Mitteilung nach § 29 Abs 3 /4 bis 6 erfolgt, oder
2. dem Fremden gemäß § 12a Abs 1 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt und über den Fremden weder Schubhaft verhängt wurde noch ein gelinderes Mittel angewandt wird,
eine weitere Aufenthaltspflicht in der Betreuungseinrichtung besteht (2. Phase).
Diese „Aufenthaltsverpflichtung“ besteht gemäß Abs 7 für die gesamte Dauer des Zulassungsverfahrens vor dem Bundesasylamt (und nicht nur für die in öffentlichen Statements kursierenden, im Entwurf jedoch nicht genannten 6 Wochen). Dieses Zulassungsverfahren dauert in der Praxis oftmals monatelang, fallweise sogar mehr als ein Jahr.
Der Entwurf führt in § 76 Abs 2a die Z 6 ein, nach der im Fall, dass der Asylwerber die „Aufenthaltsverpflichtung“ gemäß § 15 b Abs 2 AsylG 2005 verletzt hat, Schubhaft zu verhängen ist.
Es handelt sich daher auch im Fall der sogenannten „2. Phase“ ganz klar um einen Entzug der Freiheit.
Die mögliche Länge und der Zweck der Anhaltung widerspricht dabei deutlich den Vorgaben des EGMR. (3) Gemäß der Rechtssprechung des EGMR ist stets eine Abwägung zwischen den Interessen des Einzelnen und jenen des Staates an der Einhaltung seiner internationalen Verpflichtungen vorzunehmen. Ein bloßes „Wegsperren“ von Asylwerbern ohne die in der EGMR-Entscheidung definierte anhaltend hohe, durchgehende Bearbeitungsdichte kann daher keinesfalls gerechtfertigt sein.
Amnesty International verweist weiters hinsichtlich der Ausnahmetatbestände in § 15 b Abs 4 des Entwurfs darauf hin, dass diese äußerst eng gefasst sind. Es ist keinerlei Möglichkeit vorgesehen, zum Zwecke des Aufsuchens eines Rechtsvertreters bzw. einer rechtlichen Beratungsstelle oder der Ausübung der Religionsfreiheit die Betreuungseinrichtung zu verlassen. Auch der Familienbegriff ist extrem eng gefasst – nach diesem wäre es z.B. nicht einmal möglich, dass ein volljähriger Asylwerber seine im Sterben liegende Mutter besuchen würde.
Der VfGH hat in der Entscheidung B 362/06 vom 24.6.2006 klar dargelegt, dass er die Auffassung vertritt, dass die in § 76 Abs 2 festgelegte Ermächtigung im Lichte des aus dem PersFrSchG erfließenden unmittelbar anwendbaren Gebots der Verhältnismäßigkeit den Einzelfall berücksichtigend auszulegen ist. Dieser Grundsatz muss somit auch auf § 15b Abs 1 und 2 angewandt werden. Im Lichte der Rechtsprechung zu § 76 Abs 2 erscheint daher die generelle Freiheitsentziehung im Entwurf jedenfalls verfassungsrechtlich unzulässig.
Darüber hinaus drückt Amnesty International ihre Besorgnis darüber aus, dass im Entwurf keinerlei Möglichkeit vorgesehen ist, eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung zu beantragen.
Gemäß Abs 4 Art 5 MRK hat jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist.
Lt. Rechtssprechung des EGMR muss wegen der Auswirkungen eines Freiheitsentzuges auf die Grundrechte der betroffenen Personen eine gerichtliche Prüfung den Anforderungen entsprechen, die Art. 6 EMRK aufstellt (EGMR, Garcia Alva/Deutschland, Urt. V. 13.2.2001).
Amnesty International ist weiters darüber besorgt, dass es nach der mit der Novelle 2009 erfolgten Ausweitung der Schubhafttatbestände zu einer weiteren Freiheitsbeschränkung von AW kommt, ohne dass den betroffenen Asylwerbern in einem immer komplexer werdenden Asylverfahren die Möglichkeit gegeben wird, Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung zu erhalten. Der EGMR hat in diesem Zusammenhang immer wieder betont, dass es sich bei den betroffenen Personen um Fremde handle, die um ihr Leben fürchteten und aus ihrem Land flohen und nicht Personen, die ein Verbrechen begangen haben und folglich deren Zugang zum Asylverfahren gewährleistet bleiben müsse. Weiters wird darauf verwiesen, dass der Verfassungsgerichtshof wiederholt festgehalten hat, dass Rechtschutzeinrichtungen nicht nur die Erlangung einer rechtsrichtigen Entscheidung ermöglichen müssen, sondern auch ein „Mindestmaß an faktischer Effizienz“ für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen, wobei zu einem fairen Verfahren auch die Effektivität des Rechtsschutzes gehört. Rechtsschutz darf nicht nur formal, sondern muss im Einzelfall effektiv gestaltet sein, andernfalls eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzip des Art. 18 B-VG vorliegt.
In Zusammenhang mit der Verkürzung der Rechtsmittelfrist für zurückweisende Entscheidungen und dem mangelnden Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung, ist ein Rechtschutz für Asylwerber kaum mehr gegeben und muss dies als Verletzung des Gebots eines wirksamen Rechtsmittels (Art. 3 und 5 EMRK iVm 13 EMRK), sowie des Rechtsstaatsprinzip nach Art. 18 B-VG qualifiziert werden.
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(1) Freiheitsentziehung für alle, weil einige nach der Antragstellung untertauchen und/oder unberechtigte Anträge stellen.
(2) Vgl. Walter Berka, Die Grundrechte – Grundfreiheiten und Menschenrechte in Österreich, Rz 397
(3) EGMR, Saadi v. United Kingdom, Nr. 13229/03, 29.1.2008