COVID-19: Alle gewaltlosen politischen Gefangenen müssen freigelassen werden
4. Mai 2020Zusammenfassung
- Gefängnisse weltweit könnten aufgrund von COVID-19 gefährliche Krisenherde werden
- Menschen, die allein wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind, müssen sofort und bedingungslos freigelassen werden, fordert Amnesty International
- Regierungen müssen Menschenrechte in den Mittelpunkt stellen und für alle Menschen, die in Haft sind, den größtmöglichen Schutz vor der Pandemie gewährleisten
Amnesty International fordert die sofortige und bedingungslose Freilassung aller gewaltlosen politischen Gefangenen, für die sich die Menschenrechtsorganisation weltweit einsetzt. Dazu gehört die prominente iranische Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh, die in zwei unfairen Gerichtsverfahren zu insgesamt 38 Jahren und sechs Monaten Gefängnis sowie 148 Peitschenhieben verurteilt wurde. Menschen wie sie sind angesichts der COVID-19-Pandemie einem stark erhöhten Risiko ausgesetzt.
„Angesichts der weltweiten Ausbreitung dieses verheerenden Virus drohen die Gefängnisse zu gefährlichen Krisenherden für COVID-19 zu werden. Es ist dringender denn je, dass die Staatengemeinschaft Maßnahmen zum Schutz derer ergreift, die hinter Gittern sind. Dazu gehört auch die Freilassung all jener, die allein wegen der friedlichen Ausübung ihrer Rechte inhaftiert sind“, sagt Sauro Scarpelli, stellvertretender Direktor für Kampagnen bei Amnesty International, und sagt weiter:
„Gewaltlose politische Gefangene sind zu Unrecht in Haft. Durch COVID-19 sind sie nun zusätzlich einem immer höheren Risiko ausgesetzt. Viele Gefängnisse auf der ganzen Welt sind überbelegt und verfügen über keine adäquaten sanitären Einrichtungen. Deswegen ist es für die Gefangenen unmöglich, sich vor der Krankheit zu schützen. Sie können keinen Abstand halten und sich nicht regelmäßig die Hände waschen.“
Eine ungerechtfertigte Inhaftierung inmitten einer globalen Pandemie ist grausam und völlig unverantwortlich.
Sauro Scarpelli, stellvertretender Direktor für Kampagnen bei Amnesty International
Menschenrechte für alle - das muss sowohl im Kampf gegen COVID-19 als auch bei allen weiteren Bemühungen um eine gerechte und menschliche Zukunft, in der alle frei und friedlich ihre Meinung sagen können, im Mittelpunkt stehen.“
Amnesty International setzt sich weltweit derzeit für die Freilassung von etwa 150 gewaltlosen politischen Gefangene ein: Menschen, die in verschiedenen Weltregionen allein wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind. Die tatsächliche Zahl der gewaltlosen politischen Gefangenen weltweit geht jedoch vermutlich in die Tausende.
Tausende in Österreich fordern Freiheit für Nasrin Sotoudeh
Eine der gewaltlosen politischen Gefangenen, für die sich Amnesty International einsetzt, ist die iranische Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh. Sie wurde am 13. Juni 2018 festgenommen und in zwei unfairen Gerichtsverfahren zu insgesamt 38 Jahren und sechs Monaten Gefängnis sowie 148 Peitschenhieben verurteilt. In Österreich haben sich bisher rund 14.000 Menschen gemeinsam mit Amnesty International für die Menschenrechtsanwältin eingesetzt und den Appell an Ebrahim Raisi, Oberste Justizautorität im Iran, unterschrieben.
Die gegen sie erhobenen Vorwürfe stehen vor allem mit ihrer Kritik am iranischen Verschleierungsgesetz in Verbindung. So soll sie „zu Verdorbenheit und Prostitution angestiftet“ und „durch Nicht-Tragen des Hidschab öffentlich eine sündige Handlung begangen“ haben. Auch wegen der Verteidigung von angeklagten Frauen, die friedlich gegen die obligatorische Verschleierung protestiert hatten, und wegen ihres Engagements gegen die Todesstrafe steht Nasrin Sotoudeh im Visier der iranischen Behörden.
Zu den rechtmäßigen Aktivitäten, die von den Behörden als „Beweise“ gegen Nasrin Sotoudeh angeführt werden, zählen zum Beispiel das Ablegen ihres Kopftuchs bei Gefängnisbesuchen, Medieninterviews zur gewaltsamen Festnahme und Inhaftierung von Frauen, die gegen den Schleierzwang protestiert haben, sowie ihre Mitarbeit bei Menschenrechtsgruppen wie der Kampagne zur Abschaffung der Todesstrafe.
Laufend neue Einzelfallaktionen auf unserer Website
Weitere gewaltlose politische Gefangene, deren bedingungslose Freilassung Amnesty International gemeinsam mit Tausenden Unterstützer*innen fordert, sind u. a. die iranische Frauenrechtsaktivistin Yasaman Aryani, Atena Daemi, die wegen ihres Einsatzes gegen die Todesstrafe und für Frauen- und Kinderrechte im Iran seit Jahren inhaftiert ist, sowie die Anwältin und ehemalige Vorsitzende der philippinischen Menschenrechtskommission Leila de Lima.
Amnesty International in Österreich veröffentlicht auf ihrer Website laufend Einzelfallaktionen für gewaltlose politische Gefangene.
Zahl von Insass*innen muss reduziert werden
Neben dem Appell, gewaltlose politische Gefangene freizulassen, fordert Amnesty International die Regierungen auf, Maßnahmen zur Eindämmung des Virus zu ergreifen – einschließlich der Reduzierung der Zahl von Gefängnisinsass*innen, um der Überbelegung von Hafteinrichtungen entgegenzuwirken. Außerdem sollten die Behörden die Fälle von Untersuchungsgefangenen und Kindern überprüfen sowie die frühzeitige, befristete oder bedingte Freilassung von besonders gefährdeten Personen, wie ältere oder gesundheitlich beeinträchtigten Menschen, in Erwägung ziehen.
Außerdem fordert die Organisation von Regierungen, den in den Gefängnissen Verbleibenden eine Gesundheitsversorgung bereitzustellen, die sowohl deren individuellen Bedürfnissen als auch den in der restlichen Gesellschaft verfügbaren Standards entsprechen. Es muss der größtmögliche Schutz vor der Verbreitung von COVID-19 gewährleistet sein.
Hintergrund
Amnesty International setzt sich aktuell weltweit für etwa 150 gewaltlose politische Gefangene ein. Die genaue Anzahl ändert sich immer wieder aufgrund von Freilassungen, Todesfällen oder deswegen, weil einige Einzelpersonen stellvertretend für eine ganze Gruppe stehen.
Amnesty International hat sich seit der Gründung der Organisation 1961 für Tausende gewaltlose politische Gefangene eingesetzt – Menschen, die wegen ihrer Überzeugungen oder ihrer Identität willkürlich inhaftiert sind.