27. Februar 2025, Khan Yunis, Gaza: Eine Gruppe freigelassener palästinensischer Gefangener trifft im Rahmen des Waffenstillstands- und Geiselaustauschabkommens im European Hospital ein. © Abed Rahim Khatib / dpa / picturedesk.com
27. Februar 2025, Khan Yunis, Gaza: Eine Gruppe freigelassener palästinensischer Gefangener trifft im Rahmen des Waffenstillstands- und Geiselaustauschabkommens im European Hospital ein. © Abed Rahim Khatib / dpa / picturedesk.com
presse

Die Freilassung der zivilen Geiseln im Gazastreifen und der willkürlich inhaftierten Palästinenser*innen darf nicht von Waffenstillstandsverhandlungen abhängen

28. Februar 2025

Die Freilassung von israelischen und ausländischen Zivilpersonen, die von der Hamas und anderen bewaffneten Gruppen im Gazastreifen als Geiseln festgehalten werden, sowie von Palästinenser*innen, die in Israel willkürlich inhaftiert sind, muss unverzüglich erfolgen und sollte nicht vom Ergebnis politischer Verhandlungen über die nächste Phase des Waffenstillstands abhängig gemacht werden. Dies forderte Amnesty International, während sich die erste Phase des Abkommens über den Austausch von Geiseln und Gefangenen ihrem Ende nähert.

In der Nacht vom 26. auf den 27. Februar gab die Hamas die Leichen von vier israelischen Geiseln im Austausch gegen die Freilassung von 640 palästinensischen Gefangenen und Häftlingen an Israel zurück. Dies war Teil des letzten Austauschs im Rahmen der ersten Phase des Waffenstillstandsabkommens. Die Freilassung palästinensischer Gefangener war in den vergangenen Tagen von Israel verzögert worden. In den Verhandlungen über die zweite Phase des Waffenstillstands sollen die Freilassung der verbleibenden israelischen Geiseln und weiterer palästinensischer Gefangener sowie ein vollständiger israelischer Rückzug aus dem Gazastreifen und ein dauerhaftes Ende der Feindseligkeiten vereinbart werden.

Israelische und ausländische Geiseln und palästinensische Gefangene dürfen nicht zu politischen Schachfiguren im Machtkampf um die nächste Phase des Waffenstillstandsabkommens werden. Nur ein dauerhafter Waffenstillstand, einschließlich ungehinderter humanitärer Hilfe für den Gazastreifen, wird das Leid für alle beenden.

Erika Guevara-Rosas, leitende Direktorin für Recherche, Advocacy, Politik und Kampagnen bei Amnesty International

„Die Freilassung von zivilen Geiseln und von willkürlich inhaftierten Palästinenser*innen – insbesondere von solchen, die ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten werden – sollte jedoch nicht Gegenstand von Verhandlungen sein, sondern ist eine Frage des Völkerrechts. Geiselnahme ist ein Kriegsverbrechen. Es gibt keine Rechtfertigung für die Entführung von Personen und ihren Einsatz als Geiseln, oder für die lange, willkürliche Inhaftierung von Personen als Druckmittel“, sagte Erika Guevara-Rosas, leitende Direktorin für Recherche, Advocacy, Politik und Kampagnen bei Amnesty International.

„Israel und die Hamas müssen alle unrechtmäßig festgehaltenen Personen freilassen – sofort – unabhängig vom Ergebnis der politischen Verhandlungen über die zweite Phase des Waffenstillstands.“

Große Besorgnis über Haftbedingungen

Mindestens 59 Geiseln die überwiegende Mehrheit von ihnen Israelis, werden immer noch im Gazastreifen gefangen gehalten. Mindestens 24 von ihnen sollen noch am Leben sein.

Mehr als 4.000 Palästinenser*innen werden ohne Anklage oder Gerichtsverfahren entweder in Verwaltungshaft oder auf der Grundlage des Gesetzes über ungesetzliche Kombattanten, das gegen das Völkerrecht verstößt, in Israel festgehalten.  

Die Freilassung palästinensischer Gefangener und israelischer Geiseln in den letzten Wochen hat große Besorgnis über die unmenschliche Behandlung in der Haft und die schlimmen Haftbedingungen sowohl der Geiseln in Gaza als auch der Gefangenen in Israel ausgelöst. 

Geiselnahmen der Hamas

Bei den von der Hamas geführten Angriffen am 7. Oktober 2023 wurden im Süden Israels mindestens 250 Menschen als Geiseln genommen, manche waren bereits tot. Eine israelische gerichtsmedizinische Untersuchung der Leichen von mindestens sechs verstorbenen Geiseln, die im August 2024 geborgen wurden, deutet darauf hin, dass sie kurz vor ihrer Bergung aus nächster Nähe erschossen wurden, was darauf schließen lässt, dass sie von ihren Entführern getötet wurden.

Die Hamas hält seit 2014 auch die Leichen von zwei israelischen Soldat*innen zurück. Eine dieser Leichen wurde von den israelischen Streitkräften während einer Militäroperation im Januar 2025 gefunden.

Israelischen Medienberichten zufolge beschrieben einige freigelassene Geiseln, dass sie in Ketten in Tunneln festgehalten wurden, keine Nahrung erhielten und nur sehr wenig Tageslicht zu sehen bekamen. Sie berichteten auch, dass sie Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt waren.

Die Hamas hat Geiseln öffentlich vorgeführt und sie gezwungen, vor den Augen einer Menschenmenge an demütigenden öffentlichen Übergabezeremonien teilzunehmen. Bei einem Vorfall wurden die Särge verstorbener israelischer Geiseln, darunter zwei Kinder, in der Öffentlichkeit vor einem Plakat ausgestellt, auf dem Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als Vampir abgebildet war.  

Die Verletzung der persönlichen Würde, insbesondere die erniedrigende und entwürdigende Behandlung, ist nach dem humanitären Völkerrecht verboten. Dennoch haben wir miterlebt, wie Geiseln in der Öffentlichkeit als Kriegstrophäen zur Schau gestellt oder gezwungen wurden, in Propaganda-Videos mitzuwirken. Die Hamas und andere bewaffnete Gruppen müssen diesen entwürdigenden Schauspielen sofort ein Ende setzen und sicherstellen, dass alle Geiseln und menschlichen Überreste mit Respekt und Würde behandelt werden.

Erika Guevara-Rosas, leitende Direktorin für Recherche, Advocacy, Politik und Kampagnen bei Amnesty International

„Alle Gefangenen müssen menschlich behandelt und vor Folter und anderen Misshandlungen geschützt werden, und sie müssen Zugang zum Internationalen Roten Kreuz und zu medizinischer Versorgung erhalten.“

Willkürliche Inhaftierung von Palästinenser*innen

Auch palästinensische Gefangene, die während des Waffenstillstandsabkommens freigelassen wurden, sahen abgemagert aus und zeigten Anzeichen von Folter und anderen Misshandlungen. Amnesty International hat in der Vergangenheit dokumentiert, wie Häftlinge dem Verschwindenlassen, der Isolationshaft und der weit verbreiteten Folter im Gewahrsam ausgesetzt waren, unter anderem durch Schläge, Hunger und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Seit dem 7. Oktober 2023 sind mindestens 60 palästinensische Gefangene in israelischem Gewahrsam gestorben.

„Die willkürliche Haft von Tausenden von Palästinenser*innen ohne jegliche rechtliche Grundlage ist grausam, ungerechtfertigt und offenkundig rechtswidrig. Die israelischen Behörden müssen aufhören, willkürliche Inhaftierungen vorzunehmen, und dürfen die Leichen verstorbener Palästinenser*innen nicht als Druckmittel einsetzen. Bis zur Freilassung der Gefangenen muss Israel internationalen Beobachter*innen Zugang zu den Hafteinrichtungen gewähren. Alle in Gewahrsam befindlichen Personen müssen vor Folter geschützt werden und angemessene Nahrung, Wasser und medizinische Versorgung sowie Zugang zu ihren Familien und Anwält*innen erhalten", sagte Erika Guevara Rosas.

Die israelischen Behörden zwangen die Palästinenser*innen ebenfalls, sich während ihrer Freilassung einer erniedrigenden und demütigenden Behandlung zu unterziehen. So wurden sie gezwungen, Hemden mit einem Davidstern-Logo und dem Slogan „Wir werden nicht vergessen oder vergeben“ zu tragen.

Im September 2024 schickten die israelischen Streitkräfte Container mit den sterblichen Überresten von mindestens 88 nicht identifizierten Palästinenser*innen nach Gaza, die dann in einem Massengrab beigesetzt wurden. Die Leichen von mindestens 600 Palästinenser*innen werden von den israelischen Streitkräften im Rahmen einer seit langem bestehenden illegalen israelischen Praxis, die bis zum Oktober 2023 andauert, weiterhin als Verhandlungsmasse festgehalten. 

Die Körper von Verstorbenen sollten niemals als Schlachtfeld behandelt werden. Alle Konfliktparteien sind verpflichtet, die Würde der Lebenden und der Toten zu respektieren und zu wahren. Dazu gehört auch, dass die Leichen und sterblichen Überreste ordnungsgemäß identifiziert und in Würde übergeben werden.

Erika Guevara-Rosas, leitende Direktorin für Recherche, Advocacy, Politik und Kampagnen bei Amnesty International

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