© Bodo Marks / Dpa / Picturedesk.com
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presse

Ein Jahr Ermittlungsstelle gegen Polizeigewalt: Guter Start, aber Unabhängigkeit muss sichergestellt sein – Kennzeichnungspflicht fehlt weiterhin

20. Jänner 2025

Vor einem Jahr hat die so genannte EBM, die Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe, ihre Arbeit aufgenommen. Anlässlich des ersten Jahrestags am 22.1. erinnert Amnesty International daran, dass die Unabhängigkeit der Stelle nach wie vor nicht gesichert ist; und fordert einmal mehr eine Kennzeichnungspflicht für die Polizei.

„Die Einrichtung einer Ermittlungsstelle zur Untersuchung von Polizeigewalt war eine langjährige Forderung von Amnesty International und auch völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs“, zeigt sich Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, grundsätzlich mit der Stelle zufrieden. Wie wichtig diese Stelle ist, zeigen auch die Zahlen: Laut BMI sind im ersten Jahr über 500 Beschwerden eingelangt – das sind mehr als eineinhalb mal so viele wie bei der Planung der Stelle ursprünglich erwartet wurden.“

Wir gehen nicht davon aus, dass es im vergangenen Jahr so dramatisch viel mehr Fälle von Polizeigewalt gegeben hat, sondern, dass bereits davor die Dunkelziffer entsprechend hoch war.

Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

Vor der Einführung der EBM seien viele Fälle einfach nicht gemeldet worden, weil es keine unabhängigen Untersuchungen gab und das Vertrauen der Betroffenen in wirksame Untersuchungen fehlte. Entsprechend erfreulich ist, so Amnesty, die Akzeptanz der EBM in der Bevölkerung.

Unabhängigkeit sicherstellen und Personal aufstocken

Dennoch gibt es gerade beim Thema Unabhängigkeit Verbesserungsbedarf: „Die Eingliederung der Stelle im Innenministerium ist nach wie vor ein Aspekt, an dem wir Kritik üben – denn damit sind unabhängige und wirksame Untersuchungen nicht garantiert.“ Problematisch sei, so Hashemi, dass dadurch die*der jeweils amtierende Bundesminister*in theoretisch eine Weisungsmöglichkeit hat. Die Unabhängigkeit der Stelle ist aber zentral für die Frage, wie wirksam sie wirklich arbeiten kann. „Daher darf sie in keinerlei hierarchischer oder institutioneller Verbindung zur Polizei selbst stehen“, so Hashemi. Sie fordert von der Politik die Sicherstellung der Unabhängigkeit sowie angesichts der hohen Beschwerdezahlen eine entsprechende Personalaufstockung, wie auch vom EBM-Beirat empfohlen, damit die Stelle effizient arbeiten kann.

Kennzeichnungspflicht: Individuelle Schuld oft nicht nachweisbar

Bei der Frage der wirksamen Untersuchungen ist auch die – noch immer nicht eingeführte – Kennzeichnungspflicht von Polizist*innen essenziell. Shoura Hashemi: „Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) hat Österreich bereits im Juni 2023 ausdrücklich aufgetragen, sicherzustellen, dass Polizist*innen identifiziert werden können. Und auch der EGMR verweist in einem Urteil auf die Wichtigkeit einer individuellen Kennzeichnung.“ Denn für eine Strafverfolgung Beschuldigter ist eine Identifikation unbedingt notwendig, da eine strafrechtliche Verurteilung die Feststellung der individuellen Schuld voraussetzt. Entsprechend fordert Amnesty International von der der kommenden Bundesregierung die Einführung einer anonymisierten, aber individuell zuordenbaren Kennzeichnungspflicht für Polizistinnen und Polizisten. Die fehlende Kennzeichnungspflicht führe auch dazu, dass oftmals die untersuchten Fälle von Polizeigewalt nicht belegbar sind, „und nicht, wie das BMI behauptet, dass sie nicht haltbar sind“, so Shoura Hashemi.

Derzeit müssen sich Polizist*innen in Österreich bei Amtshandlungen auf Nachfrage hin mit ihrer Dienstnummer ausweisen, aber eine auf der Uniform erkenntliche Kennzeichnung gibt es nicht. In der Praxis ist solch ein Nachfragen oft für Betroffene nicht möglich. International ist eine Kennzeichnungspflicht als menschenrechtlicher Standard anerkannt und in Europa in den meisten Ländern umgesetzt. Nur in einigen wenigen Staaten – neben Österreich sind es Italien, die Niederlande, Luxemburg und Zypern – gibt es gar keine Form der Kennzeichnungspflicht von Polizeibeamt*innen.  

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