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Die öffentliche Debatte zum Thema Armut in Österreich ist in den vergangenen Wochen wieder stark aufgeflammt – unter anderem ausgelöst durch den „Burger-Sager“ des Bundeskanzlers Karl Nehammer. Amnesty International bringt nun in den Diskurs einen Aspekt ein, der bislang wenig bis gar nicht beachtet wurde: „Es geht nicht um Burger, und es ist zynisch, das Thema Armut darauf zu beschränken, ob und welche warme Mahlzeit die Menschen sich leisten können“, so Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich. „Armut verletzt Menschenrechte und ist gleichzeitig die Folge von Menschenrechtsverletzungen.“
Armut ist nicht die individuelle Schuld des Einzelnen, sondern in den allermeisten Fällen eine Folge von strukturellen Versäumnissen des Staates.
Shoura Zehetner-Hashemi betont: „Armut ist nicht die individuelle Schuld des Einzelnen, sondern in den allermeisten Fällen eine Folge von strukturellen Versäumnissen des Staates.” Das werde aber leider von vielen nicht so gesehen – weder von der breiten Gesellschaft, die Menschen in Armut ausgrenzt und stigmatisiert, noch zum Teil von den Betroffenen selbst, denen ständig mit dem Narrativ „Leistung zählt“ das Gefühl gegeben wird, sie hätten nicht genügend geleistet. „Und sehr oft stellen besonders die Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen Armut als individuelles Problem dar – möglicherweise auch, um sich ihrer eigenen Verantwortung zu entziehen”, kritisiert Zehetner-Hashemi scharf. Das werde aber leider von vielen nicht so gesehen – weder von der breiten Gesellschaft, die Menschen in Armut ausgrenzt und stigmatisiert, noch zum Teil von den Betroffenen selbst, denen ständig mit dem Narrativ „Leistung zählt“ das Gefühl gegeben wird, sie hätten nicht genügend geleistet. „Und sehr oft stellen besonders die Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen Armut als individuelles Problem dar – möglicherweise auch, um sich ihrer eigenen Verantwortung zu entziehen”, kritisiert Zehetner-Hashemi scharf.
Die Analyse von Amnesty International am heutigen Internationalen Tag zur Bekämpfung von Armut ist jedoch eindeutig: Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz (SH-GG), in dem die Sozialhilfe geregelt ist, ist menschenrechtswidrig. „Österreich zählt zu den höchst entwickelten Sozialstaaten weltweit; die Sozialhilfe macht mit rund einer Milliarde Euro im Jahr 2022 nicht einmal ein Prozent des Gesamtbudgets für Sozialausgaben aus. Ich verstehe wirklich nicht, warum darüber im öffentlichen und politischen Diskurs immer wieder heftig diskutiert wird und Österreich hier bewusst und willentlich Menschenrechtsverletzungen begeht”, so die Geschäftsführerin von Amnesty International.
Mit der Verabschiedung des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes im Jahr 2019 inklusive der damit verbundenen Einführung von Höchstsätzen hat sich Österreich von einem menschenrechtsbasierten Ansatz in der Sozialhilfe entfernt. Der bis dahin geltende – und völkerrechtlich verbindliche – Ansatz, Sozialhilfe auch als Mittel zur Bekämpfung von Armut zu sehen und die einzelnen Regelungen im Hinblick auf dieses Ziel zu gestalten, ist mit dem SH-GG weggefallen. „Explizit ist es nicht mehr die Intention des Gesetzgebers, Armut in Österreich zu bekämpfen“, betont die Amnesty-Geschäftsführerin.
Das bestätigt auch Teresa Hatzl, Expertin für soziale Rechte bei Amnesty International Österreich. Sie kritisiert am SH-GG im Speziellen drei Aspekte:
„Es geht ja nicht nur ums reine Überleben. Es geht um ein Leben in Würde, das der Staat allen Menschen in Österreich ermöglichen muss“, betont Hatzl. Die Höchstsätze stehen dem aber diametral entgegen und orientieren sich nicht an den faktischen Lebensrealitäten der Menschen. „Die Sozialhilfe liegt deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle”, so Hatzl. “Das ist besonders perfide: Obwohl die Sozialhilfe eigentlich das letzte Auffangnetz für Menschen in Krisen sein sollte, ist es den Ländern durch das Grundsatzgesetz des Bundes ausdrücklich untersagt, günstigere Regelungen über die Höhe der Sozialleistungen zu erlassen."
Die Sozialhilfe liegt deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle. Das ist besonders perfide: Obwohl die Sozialhilfe eigentlich das letzte Auffangnetz für Menschen in Krisen sein sollte, ist es den Ländern durch das Grundsatzgesetz des Bundes ausdrücklich untersagt, günstigere Regelungen über die Höhe der Sozialleistungen zu erlassen.
Teresa Hatzl, Expertin für soziale Rechte bei Amnesty International Österreich
Die Ablösung der Mindest- durch Höchstsätze stellt laut Amnesty in der Sozialhilfe auch eine „rückschrittliche Maßnahme dar, die nur in sehr eng definierten Situationen rechtlich zulässig ist.“ Dass dies nicht nur ein menschenrechtliches Problem ist, sondern dadurch tatsächlich mehr Menschen an den Rand gedrängt werden, bestätigt auch Martin Schenk, Sozialexperte und Sprecher der Armutskonferenz: „Die Abschaffung der Mindestsicherung und die Einführung der Sozialhilfe hat zu einer sozialen Verschlechterung bei allen geführt, die Hilfe benötigen. Keiner alten Frau, keinem Menschen mit Behinderungen, keinem Niedriglohnbezieher geht es jetzt besser. Im Gegenteil. Die Sozialhilfe ist wie eine kaputte Brücke, die über dem reißenden Fluss bricht.” Von der Sozialhilfe ist mittlerweile nur mehr eine eingestürzte Ruine über, erinnert Schenk an die wiederholte Aufhebung verfassungswidriger Bestimmungen im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz.
Verschärft wird das, so Teresa Hatzl, noch zusätzlich durch die enorme Zersplitterung der Regelungen und die Tatsache, dass das SH-GG noch nicht einmal in allen Bundesländern umgesetzt ist: in Tirol und im Burgenland gelten noch die Mindestsicherungsgesetze von davor, Wien hat nur Teilbereiche des SH-GG umgesetzt. „Ich wiederhole, was wir bereits im Zusammenhang mit dem von uns untersuchten System der Wohnungslosenhilfe feststellen mussten: Es gleicht einem Glücksspiel, wo ich wohne und wie hoch die mir zustehenden Leistungen der Sozialhilfe sind“, kritisiert die Expertin für soziale Rechte.
„Das SH-GG-sollte eigentlich eine Weiterentwicklung des österreichischen Sozialsystems sein – so nannten es die damaligen Verfasser. Die – durchaus sinnvolle – Idee war, die unterschiedlichen Modelle der Mindestsicherung der einzelnen Bundesländer zu harmonisieren. Passiert ist allerdings leider das Gegenteil“, erklärt sie. Die Ausgestaltung als sogenanntes „Grundsatzgesetz“ mit Spielräumen für die Bundesländer führte letztlich dazu, dass die Sozialhilfe in Österreich mittlerweile völlig uneinheitlich ist. Das zeigt sich unter anderem bei den verschiedenen Kinderrichtsätzen und Alleinerziehenden-Zuschlägen, wo jedes Bundesland die Leistungshöhe für Kinder frei bestimmen kann. „Anscheinend sind Kinder in der Sozialhilfe nicht überall gleich viel wert“, so Hatzl.
„Die Debatte rund um das Thema Armut wird derzeit sehr emotional und zum Teil auch polemisch geführt. Klar ist jedenfalls, dass es neue Ansätze braucht“, stellt Amnesty-Geschäftsführerin Shoura Zehetner-Hashemi abschließend fest und fordert von den Regierungsparteien eine Neugestaltung der Sozialhilfe, die allen Menschen in Österreich ein Leben in Würde und soziale Teilhabe ermöglicht, mit Mindestsätzen, die sich an den Lebensrealitäten der Menschen orientieren. Die neue Regelung müsse unter anderem wieder zum Ziel haben, Armut in Österreich zu bekämpfen und für alle Menschen in Österreich – unter anderem subsidiär Schutzberechtigte, die derzeit davon ausgenommen sind – gelten.
Außerdem brauche es das Bekenntnis der Bundesregierung zu sozialen Rechten und deren Verankerung in der österreichischen Verfassung, damit der österreichische Verfassungsgerichtshof Gesetze vor diesem Maßstab überprüfen kann und die im IPswkR verankerten Rechte, u.a. das Recht auf soziale Sicherheit, vor nationalen Gerichten eingeklagt werden können.