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Das umstrittene nationale Sicherheitsgesetz könnte in den nächsten Stunden beschlossen werden: Amnesty International geht davon aus, dass die chinesischen Behörden das Gesetz auf der Sondersitzung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses annehmen werden. Die Debatte läuft vom 28.-30. Juni. Alle Einzelheiten des Gesetzestextes wurden noch nicht bekannt gemacht. Mit einer weltweiten Petition an die chinesische Regierung fordert Amnesty International den Stopp des nationalen Sicherheitsgesetzes – die Freiheit der Menschen in Hongkong steht auf dem Spiel.
Den Menschen in Hongkong steht eine höchst unsichere Zukunft bevor, in der ihre Freiheiten unter Beschuss genommen werden.
Joshua Rosenzweig, China-Experte bei Amnesty International
Die momentan geltenden Gesetze, mit denen die Menschen in Hongkong zu einem gewissen Grad vor der repressiven chinesischen Politik geschützt werden, könnten durch das neue nationale Sicherheitsgesetz ausgehebelt werden“, sagt Joshua Rosenzweig, China-Experte bei Amnesty International, und sagt weiter:
„Die chinesische Regierung muss von ihren Plänen zur Verabschiedung eines Sicherheitsgesetzes für Hongkong abrücken, sofern sie nicht absolut garantieren kann, dass der Gesetzestext vollumfänglich mit den Menschenrechten konform geht.“
„Nicht nur drücken die Behörden dieses Sicherheitsgesetz ohne angemessene öffentliche oder politische Prüfung durch. Sie versuchen auch, seine Notwendigkeit dadurch zu rechtfertigen, dass in Hongkong eine terroristische Bedrohung ausgemerzt werden müsse“, sagt Joshua Rosenzweig, und sagt weiter:
„Die menschenrechtlichen Zusicherungen Chinas bezüglich des Sicherheitsgesetzes sind bedeutungslos, wenn keine Rechtsvorschriften zu ihrer Gewährleistung und Durchsetzung erlassen werden. Wenn dieses Gesetz tatsächlich auf die Bekämpfung von Terrorismus und Bedrohungen der nationalen Sicherheit abzielt, wie aus Peking verlautet wird, dann muss es eindeutige Ausnahmen enthalten, mit denen die friedliche Wahrnehmung von Rechten wie z. B. der Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährleistet wird.“
Das Gesetz muss eindeutige Ausnahmen enthalten, mit denen die friedliche Wahrnehmung von Rechten wie z. B. der Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gewährleistet wird.
Joshua Rosenzweig, China-Experte bei Amnesty International
Das Sicherheitsgesetz würde es Einzelpersonen, Institutionen und Organisationen in Hongkong verbieten, „sich an Aktivitäten zu beteiligen, die die nationale Sicherheit gefährden“. Alles deutet darauf hin, dass der Nationale Volkskongress das Gesetz in der laufenden Sitzung verabschiedet, ohne die Öffentlichkeit zu konsultieren.
Amnesty International hat zahlreiche menschenrechtliche Bedenken, was das Sicherheitsgesetz angeht – z. B. die Befugnis der Pekinger Zentralregierung und der Regierung von Hongkong, in der Stadt ein Büro für nationale Sicherheit einzurichten.
Auf dem Festland werden Menschenrechtsverteidiger*innen und Kritiker*innen von solchen Stellen systematisch überwacht, drangsaliert, eingeschüchtert und unter Geheimhaltung inhaftiert. Vieles deutet auch auf Folter und andere Misshandlungen hin.
Ohne ausdrückliche rechtliche Zusicherungen, dass diese Behörden und ihre Angestellten die existierenden Verpflichtungen der Lokalregierung zur Achtung und zum Schutz der Menschenrechte einhalten werden, ist es möglicherweise schwierig bis unmöglich, sie für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen.
„Die Behörden in Hongkong setzen die bestehenden lokalen Gesetze ohnehin bereits viel zu häufig zur Bestrafung der Menschen ein. Eine Stelle für nationale Sicherheit, die im Geheimen operiert, wird nur dafür sorgen, dass noch schärfer gegen die Menschenrechte vorgegangen wird. Zudem besteht die Sorge, dass Hongkong sich in eine Art Polizeistaat verwandelt“, sagt Joshua Rosenzweig, und sagt weiter:
„Dem Strafjustizsystem in Hongkong mangelt es ohnehin bereits an einer angemessenen Umsetzung von Schutzmechanismen. Dies wird sich nur weiter verschlimmern, wenn Sicherheitsbehörden wie auf dem chinesischen Festland agieren, ohne sich nach den menschenrechtlichen Verpflichtungen Hongkongs richten zu müssen.“
Staatliche Medien in China haben vorige Woche Informationen über das Sicherheitsgesetz veröffentlicht, die eine Reihe von besorgniserregenden Bestimmungen offenlegten. Unter anderem sind einige beunruhigende Schlupflöcher vorgesehen, nach denen die Behörden des Festlands Verdächtige inhaftieren und vor Gericht stellen könnten.
So sollen die chinesischen Behörden beispielsweise die Befugnis erhalten, „unter bestimmten Umständen“ die Gerichtsbarkeit über Fälle in Hongkong auszuüben, die die nationale Sicherheit betreffen. Die genaue Tragweite dieser Klausel ist unklar, doch öffentliche Aussagen hochrangiger Beamt*innen aus Hongkong weisen darauf hin, dass die Behörden des Festlands somit jeden beliebigen Fall nach Ermessen an sich nehmen könnten.
Unklar ist ebenfalls, ob unter dem Gesetz Personen, die wegen Verdachts auf Gefährdung der nationalen Sicherheit inhaftiert sind, anders behandelt würden als andere Straftatverdächtige.
Es besteht die Sorge, dass diese Personen in gesonderten Hafteinrichtungen festgehalten bzw. auf unbestimmte Zeit inhaftiert werden könnten. Möglicherweise könnten Menschen an das chinesische Festland ausgeliefert werden. Die Protestbewegung von 2019 machte dagegen mobil und erreichte, dass ein umstrittenes Auslieferungsgesetz im Oktober 2019 zurückgenommen wurde.
Unter dem neuen Sicherheitsgesetz könnte die Hongkonger Regierungschefin mitbestimmen, welche Richter*innen den Vorsitz über Fälle der nationalen Sicherheit führen sollen – was die Unabhängigkeit der Justiz einschränken könnte.
„Die Zusicherung der Behörden, dass das Sicherheitsgesetz nur sehr wenige Menschen betreffen wird, ist nicht besonders beruhigend angesichts der Tatsache, dass der Gesetzestext repressive Maßnahmen enthält, die praktisch auf jeden angewendet werden können, den die Regierung ins Visier nehmen möchte“, kritisiert Joshua Rosenzweig.
Die Behörden in Hongkong und China geben an, dass dringend Sicherheitsgesetze benötigt werden, um der Bedrohung durch „Terrorismus“ und Gewalt in der Stadt entgegenzuwirken. Gleichzeitig verliefen die Proteste gegen das Auslieferungsgesetz im Jahr 2019 – und jüngste kleinere Protestveranstaltungen – jedoch fast ausschließlich friedlich.
Sieben Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen haben sich besorgt gezeigt angesichts der übermäßig weitgefassten und ungenauen Definitionen, die in der Antiterrorgesetzgebung für Hongkong enthalten sind.
Nach dem Sicherheitsgesetz gelten sogenannte Separatismus-Verbrechen wie „Umsturz“, „Terrorismus“ und „geheime Absprachen mit ausländischen oder überseeischen Mächten“ als Straftaten, die die nationale Sicherheit gefährden.
Diese weit gefassten und vage definierten Straftaten ähneln den Bestimmungen des in China 2015 eingeführten Gesetzes über die Nationale Sicherheit.
Amnesty International hat dokumentiert, wie dieses Gesetz von den chinesischen Behörden systematisch und großflächig dazu missbraucht wird, Menschenrechtsverteidiger*innen ins Visier zu nehmen. In der Vergangenheit sind Anwält*innen, Akademiker*innen, Journalist*innen, Geistliche und Mitarbeiter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen wegen sicherheitsbezogener Straftaten verurteilt worden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen und die Menschenrechte verteidigt hatten.
Sobald das Sicherheitsgesetz durch die Unterschrift des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Kraft gesetzt und durch die Hongkonger Behörden erlassen wird, fällt es unter Anhang III des Grundgesetzes von Hongkong, der Verfassung der Sonderverwaltungszone. Das bedeutet, dass das Gesetz am Tag der Verabschiedung durch die Hongkonger Regierungschefin rechtskräftig wird, ohne dass der Legislativrat der Stadt die Gelegenheit erhält, es zu prüfen.
Das Grundgesetz garantiert den Bewohner*innen von Hongkong bestimmte Rechte; ebenso wie internationale Menschenrechtsverträge, darunter der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR).
Das geplante Sicherheitsgesetz enthält Berichten zufolge Garantien zur Achtung der Menschenrechte, einschließlich der im IPbpR und IPwskR festgeschriebenen Rechte. Allerdings hat es den Anschein, als könnten diese Garantien durch die Bestimmungen zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit aufgehoben werden.
Das in China geltende Gesetz über die Nationale Sicherheit enthält eine ähnliche Zusicherung für die Achtung der Menschenrechte, doch dies hat den unter dem Gesetz verfolgten Personen bisher wenig bis gar keinen Schutz geboten.