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In Island wird die Einzelhaft unter isolierten Bedingungen während der Untersuchungshaft unverhältnismäßig oft eingesetzt. Das Land verstößt damit gegen das Verbot von Folter und anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen oder Strafen - mit gravierenden Folgen für die Beschuldigten und deren Recht auf ein faires Gerichtsverfahren. Das stellt Amnesty International in einem aktuellen Bericht dar. Die Menschenrechtsorganisation ruft Islands Regierung, die momentan den Vorsitz im Europarat innehat, dazu auf, umgehend entsprechende Reformen durchzuführen.
Im Jahr 2021 waren 61 Prozent der Untersuchungshäftlinge in Einzelhaft ohne Kontakt zur Außenwelt oder anderen Gefangenen untergebracht. Insgesamt wurden in den vergangenen zehn Jahren 99 Personen einer „verlängerten Einzelhaft“ von mehr als 15 Tagen unterzogen, einige Tatverdächtige wurden sogar für bis zu zwei Monate in Isolation festgehalten. Das stellt einen Verstoß gegen das internationale Verbot von Folter und anderen grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen oder Strafen dar („sonstige Misshandlungen“).
Die isländischen Behörden sind sich schon seit Jahren des Schadens, den Isolationshaft anrichten kann, bewusst und setzen sie trotzdem unverhältnismäßig oft ein.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Island verstoße damit gegen das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen – und führt dabei gerade den Vorsitz im Europarat, einem Gremium, das für die Verhütung und Abschaffung von Folter in Europa zuständig ist.
Einzelhaft kann zwar unter gewissen Umständen und in Ausnahmefällen nach dem Völkerrecht zulässig sein, sie darf jedoch nur so kurz wie unbedingt nötig andauern und muss angemessenen Schutzmechanismen unterliegen. In Island allerdings werden die Anträge der Polizei auf Einzelhaft während der Untersuchungshaft von den Richter*innen meist ohne weitere Nachfragen gestattet. Schwerwiegende Entscheidungen werden viel „zu leichtfertig“ getroffen und der Polizei zu viel Freiraum gegeben, so ein*e Richter*in gegenüber Amnesty. In ihrem Bericht dokumentiert die Menschenrechtsorganisation zahlreiche Fälle, in denen die Einzelhaft bei besonders gefährdeten Personen eingesetzt worden war, was gegen die internationalen Menschenrechtsstandards verstößt. Bislang überprüft die Polizei nicht den Gesundheitszustand von Personen, bevor sie für deren Unterbringung in Einzelhaft unter isolierten Bedingungen plädiert. Auch die Schutzmaßnahmen, die Kinder vor der Unterbringung in Einzelhaft bewahren sollen, sind völlig unzureichend.
Der Hauptgrund, den die isländischen Behörden für ihren Einsatz angeben, ist der „Schutz der Ermittlungen“. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft sagte Amnesty International, dass die Einzelhaft unter isolierten Bedingungen die einzige Möglichkeit sei, um sicherzustellen, dass Tatverdächtige vor ihrem Verfahren keinen Zugang zu einem Telefon hätten.
Diese Begründung ist inakzeptabel und kann den Einsatz der Isolation während der Untersuchungshaft weder rechtfertigen noch erklären. Um diesen Zweck zu erfüllen, gibt es zahlreiche andere Möglichkeiten, wie das Trennen der Inhaftierten von bestimmten Personen, die Einschränkung ihrer Telefonnutzung oder das Sperren relevanter Nummern.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Die ernstzunehmenden psychologischen und physiologischen Auswirkungen von Einzelhaft – auch nur einzelner Tage – unter isolierten Bedingungen sind gut dokumentiert. Sie kann zu Schlaflosigkeit, Verwirrung, Halluzinationen und Psychosen sowie zu anderen gesundheitlichen Problemen führen. Darüber hinaus ist die Suizid- und Selbstverletzungsrate bei Personen, die ihre Untersuchungshaft in Isolation verbringen müssen, in den ersten zwei Wochen höher. Die Risiken für die Gesundheit der Inhaftierten steigen mit jedem zusätzlichen Tag, den sie in Einzelhaft verbringen müssen. Die Rechtsbeistände von Personen in Einzelhaft erklärten gegenüber Amnesty International, dass die schädlichen Auswirkungen auf ihre Mandant*innen nicht zu übersehen seien: „Es ist offensichtlich, dass die Polizei noch immer die schädlichen Auswirkungen, die diese Form der Isolation auf Inhaftierte hat, ausnutzt, um die von ihnen gewünschten Ergebnisse zu erzielen.“
Der berüchtigte Fall von Guðmundur und Geirfinnur, bei dem 1974 zwei Männer im Abstand von mehreren Monaten verschwunden waren, führte zu jahrelangen Ermittlungen und Wiederaufnahmen, bevor schließlich sechs Personen ein Geständnis ablegten und des Mordes an den beiden für schuldig befunden wurden. Alle Verurteilten waren zuvor für eine längere Zeit in Isolation gehalten, unter Druck gesetzt und in einigen Fällen sogar misshandelt worden. Fünf der sechs Personen wurden schließlich 2018 freigesprochen. 2022 entschuldigte sich die Premierministerin persönlich bei der sechsten Person für die Behandlung, die sie erfahren hatte.
Aus dem aktuellen Amnesty-Bericht geht hervor, dass das große Unrecht, das diese sechs Personen erfahren hatten, zwar eine Wende Islands weg von übermäßig langen Einzelhaftzeiten eingeleitet hatte, dass sich aber noch nicht genug geändert hat und noch immer Rechte von Menschen verletzt werden.