
Libanon: Israelische Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen und medizinisches Personal
5. März 2025Während des bewaffneten Konflikts im Libanon 2024 griff das israelische Militär wiederholt Gesundheitseinrichtungen und medizinische Transporte an. Wie die neue Amnesty-Untersuchung „Lebanon: Israeli attacks on healthcare providers must be investigated as war crimes“ zeigt, hat das israelische Militär keine ausreichenden Begründungen oder konkreten Beweise dafür vorgelegt, dass sich an den angegriffenen Orten militärische Ziele befanden, um diese wiederholten Angriffe zu rechtfertigen. Die Angriffe schwächten das fragile Gesundheitssystem und gefährdeten Menschenleben. Sie müssen als Kriegsverbrechen untersucht werden.
Die rechtswidrigen Angriffe des israelischen Militärs auf medizinische Einrichtungen und Personal in Libanon sind schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und wahrscheinlich Kriegsverbrechen. Wir fordern die Regierung des Libanon auf, mit der Unterstützung der internationalen Gemeinschaft dafür zu sorgen, dass mutmaßliche Kriegsverbrecher*innen zur Rechenschaft gezogen werden.
Erika Guevara Rosas, Senior Director für Forschung, Politik, Advocacy und Kampagnen bei Amnesty International.
„Die neue libanesische Regierung sollte dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) die Zuständigkeit für die Untersuchung und strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen im Sinne des Römischen Statuts, die auf libanesischem Gebiet begangen wurden, übertragen und das Recht der Betroffenen auf Wiedergutmachung gewährleisten“, sagte Erika Guevara Rosas, Senior Director für Forschung, Politik, Advocacy und Kampagnen bei Amnesty International.
Amnesty International hat vier Luftangriffe des israelischen Militärs auf Gesundheitseinrichtungen, Krankenwagen und medizinisches Personal untersucht. Bei den Angriffen in Beirut und im Südlibanon zwischen dem 3. und 9. Oktober 2024 wurden innerhalb einer Woche 19 Angestellte des Gesundheitswesens getötet, elf weitere verwundet und mehrere Krankenwagen und zwei medizinische Einrichtungen beschädigt oder zerstört.
Israels Vorwürfe gegen das libanesische Gesundheitssystem nicht nachvollziehbar
Das israelische Militär hat diese Angriffe nicht ausreichend gerechtfertigt oder konkrete Beweise für militärische Ziele an den betroffenen Orten vorgelegt. Diese Angriffe schwächten ein ohnehin fragiles Gesundheitssystem und brachten zahlreiche Menschenleben in Gefahr.
Das israelische Militär behauptete wiederholt, die Hisbollah würde Rettungswagen zur Beförderung von Kämpfern und Waffen nutzen und medizinische Zentren der Islamic Health Association (IHA) für „terroristische Aktivitäten“ missbrauchen. Die Untersuchungen von Amnesty International zu vier Angriffen ergaben jedoch keine Hinweise darauf, dass diese Einrichtungen oder Fahrzeuge zum Zeitpunkt der Angriffe für militärische Zwecke genutzt wurden.
Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums hat das israelische Militär zwischen Oktober 2023 und November 2024 insgesamt 67 Krankenhäuser, 56 primäre Gesundheitszentren und 238 medizinische Notfallteams angegriffen. Mindestens 222 Mitarbeiter*innen von Gesundheits- und Rettungsdiensten wurden dabei getötet.
„Wenn ein Gesundheitssystem angegriffen wird, leidet die Zivilbevölkerung. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Krankenhäuser für militärische Zwecke genutzt werden und ihren Schutzstatus nach dem Völkerrecht verlieren, können sie nur angegriffen werden, wenn eine Warnung, die ausreichend Zeit für die Evakuierung von Patienten und Personal lässt, nicht beachtet wird. Eine angreifende Partei ist stets an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Sie muss den konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil, der von einem Angriff erwartet wird, gegen den zu erwartenden Schaden für die Zivilbevölkerung und zivile Objekte abwägen, einschließlich der nachwirkenden humanitären Folgen des Angriffs", so Erika Guevara Rosas.
Amnesty fordert umfassende Untersuchung
Ein Waffenstillstand wurde im Libanon Ende November 2024 verkündet. In den ersten Monaten des Jahres 2025 berichteten betroffene medizinische Fachkräfte, dass sie weiterhin unter den Folgen der Angriffe litten.
Es ist entscheidend, dass alle Angriffe auf medizinisches Personal und Gesundheitseinrichtungen untersucht werden, um sicherzustellen, dass die Täter*innen bestraft werden, die Betroffenen Entschädigungen erhalten und solche Verbrechen nie wieder geschehen. Ein Waffenstillstand ist nur der erste Schritt zur Beendigung von Gewalt. Um einen nachhaltigen Frieden zu schaffen, müssen die Betroffenen schwerer Verstöße gegen das Völkerrecht Gerechtigkeit erfahren und Wiedergutmachung erhalten.
Erika Guevara Rosas
Amnesty International fordert eine unabhängige und umfassende Untersuchung aller Angriffe auf das Gesundheitswesen im Libanon, um sicherzustellen, dass Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden und das humanitäre Völkerrecht gewahrt bleibt.
Hintergrund
Während des Krieges feuerte die Hisbollah wiederholt ungelenkte Raketensalven auf den Norden Israels ab und verübte dabei auch Angriffe, bei denen Zivilist*innen getötet und verletzt wurden. In einigen Fällen behauptete die Hisbollah, dass sie auf militärische Ziele abzielte, in anderen Fällen gab sie an, dass sie eine zivile Stadt oder einen Ort im Allgemeinen angriff.
Am 27. November einigten sich Israel und der Libanon auf eine 60-tägige Waffenstillstandsvereinbarung. Innerhalb weniger Tage wurden zahlreiche Verstöße gegen das Waffenstillstandsabkommen gemeldet. Am 27. Jänner wurde der Waffenstillstand um einige Wochen verlängert. Später kündigte Israel an, es beabsichtige, eine Reihe von Stellungen im libanesischen Hoheitsgebiet zu halten.
Amnesty International hat auch Beweise für unrechtmäßige Luftangriffe dokumentiert, bei denen Zivilpersonen getötet und verletzt wurden. In einem im Dezember 2024 veröffentlichten Briefing dokumentierte Amnesty International vier Luftangriffe der israelischen Streitkräfte im Libanon, bei denen mindestens 49 Zivilisten und ganze Familien getötet wurden und die als Kriegsverbrechen untersucht werden müssen.