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Nach der Vorstellung des neuen Asyl- und Migrationspakts: Neuer Amnesty-Bericht dokumentiert die Folgen der menschenrechtswidrigen Zusammenarbeit der EU mit Libyen
Rechtswidrige Tötungen, Verschwindenlassen, Zwangsarbeit, Folter und sexuelle Gewalt: Amnesty fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, die Zusammenarbeit mit den libyschen Behörden davon abhängig zu machen, dass die Menschenrechtsverletzungen gegen Geflüchtete und Migrant*innen gestoppt werden
In Libyen sitzen Zehntausende Geflüchtete und Migrant*innen in einem Teufelskreis fest und haben wenig Aussicht auf ein sicheres und legales Weiterkommen. Sie werden im Mittelmeer abgefangen und nach Libyen zurückgeschickt, wo sie schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Das zeigt der neue Amnesty-Bericht „Between life and death: Refugees and migrants trapped in Libya’s cycle of abuse“.
Solange die libyschen Behörden die anhaltende Gewalt gegen Geflüchtete und Migrant*innen nicht stoppen, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Kooperationen mit den libyschen Behörden davon abhängig machen, dass die Menschenrechtsverletzungen gegen Geflüchtete und Migrant*innen gestoppt werden, fordert Amnesty International angesichts der geplanten Reform des EU-Asylsystems. Der neue „Pakt zu Migration und Asyl“, der von der Europäischen Kommission diese Woche vorgestellt wurde, sieht eine noch stärkere Zusammenarbeit mit Ländern außerhalb der EU vor.
„Das durch den jahrelangen Krieg auseinanderfallende Libyen ist für Geflüchtete und Migrant*innen ein gefährlicher Ort. Auf der Suche nach Schutz und einem besseren Leben sind sie mit schrecklichen Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. Trotzdem verfolgen die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten weiterhin eine Politik, die dafür sorgt, dass Zehntausende Männer, Frauen und Kinder in einem Teufelskreis gefangen sind. Dies ist eine völlige Missachtung des Rechts auf Leben und der Würde dieser Menschen“, sagt Diana Eltahawy, stellvertretende Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International, und sagt weiter:
„Die libyschen Behörden sehen den Menschenrechtsverletzungen gegen Geflüchtete und Migrant*innen bereits seit Langem tatenlos zu. Zu den Verantwortlichen gehören unter anderem auch Staatsbedienstete und der Regierung nahestehende Milizen."
Vor diesem Hintergrund müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Zusammenarbeit mit den libyschen Behörden komplett neu überdenken und jede weitere Unterstützung davon abhängig machen, dass die Menschenrechtsverletzungen gegen Geflüchtete und Migrant*innen gestoppt werden.
Diana Eltahawy, stellvertretende Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika bei Amnesty International
Amnesty International hat zahlreiche Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, die Geflüchtete und Migrant*innen in Libyen erlebt oder mitangesehen haben. Hierzu zählen rechtswidrige Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und andere Misshandlungen, Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt, willkürliche Inhaftierung sowie Zwangsarbeit und Ausbeutung durch staatliche und nichtstaatliche Akteur*innen. Die Verantwortlichen gehen dabei nahezu immer straffrei aus.
Der Bericht behandelt auch aktuelle Entwicklungen, wie beispielsweise die Inhaftierung von Menschen, die in Libyen an Land gegangen sind, in inoffizielle Hafteinrichtungen. Eine davon ist die berüchtigte Tabakfabrik in Tripolis.
Angesichts dieser furchtbaren Bedingungen und entsetzlichen Menschenrechtsverletzungen bieten die bestehenden Resettlement- und Evakuierungs-Programme nicht in ausreichendem Maße sichere und legale Wege aus Libyen. Seit 2017 konnten lediglich 5.709 schutzbedürftige Menschen diese Programme in Anspruch nehmen (Stand: 11. September 2020). Dies spiegelt wider, dass auch EU-Mitgliedstaaten nur wenige Resettlement-Plätze zur Verfügung stellen. Österreich beteiligt sich nicht am Resettlement-Programm.
Reisebeschränkungen, die aufgrund der COVID-19-Pandemie in Kraft sind, haben die Situation noch weiter verschlimmert, sodass bis zu den Grenzschließungen im März 2020 lediglich 297 Geflüchtete aus Libyen evakuiert wurden. Das hat zur Folge, dass verzweifelte Menschen keine andere Wahl haben, als Libyen auf dem Seeweg über das Mittelmeer zu verlassen – meist in nicht seetüchtigen Booten.
Geflüchtete und Migrant*innen sind in Libyen ständig der Gefahr ausgesetzt, festgenommen und inhaftiert zu werden. Zudem riskieren sie, von Milizen, bewaffneten Gruppen oder Menschenhändler*innen entführt zu werden. In einigen Fällen werden Menschen so lange gefoltert oder vergewaltigt, bis ihre Familien ein Lösegeld zahlen. Andere sterben im Gewahrsam infolge von Gewalt, Folter, Hunger oder schlechter medizinischer Versorgung.
Tausende Geflüchtete und Migrant*innen fielen 2020 dem Verschwindenlassen zum Opfer, nachdem sie in inoffizielle Hafteinrichtungen verlegt worden waren, wie eine ehemalige Tabakfabrik, die einer mit der Regierung der Nationalen Einheit verbündeten Miliz unter Führung von Emad al-Trabuls untersteht.
Stoppt Menschenrechtsverletzungen gegen Geflüchtete und Migrant*innen in Liyben
Hierzu gehört auch die Abschaffung der Praxis der willkürlichen Inhaftierung und die Schließung der Hafteinrichtungen für Asylsuchende. Bis dahin dürfen Personen, die im zentralen Mittelmeerraum gerettet oder aufgegriffen werden, nicht nach Libyen zurückgebracht werden und müssen die Möglichkeit haben, an einem sicheren Ort an Land zu gehen, fordert Amnesty International.
Zahlreiche Geflüchtete und Migrant*innen berichteten Amnesty International, wie sie während ihrer Haft in offiziellen DCIM-Zentren (Directorate for Combatting Illegal Migration) oder in von Menschenhändler*innen geführten Hafteinrichtungen den Tod von ihnen nahestehenden Personen mitansehen mussten. Amnesty International hat die Echtheit von Videomaterial verifiziert, auf dem zu sehen ist, wie Milizen und bewaffnete Gruppen Geflüchtete und Migrant*innen vorbeimarschieren lassen und sie misshandeln. Die Menschen werden außerdem gezwungen, an Militäreinsätzen teilzunehmen und so ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Frauen und Mädchen sind in erhöhter Gefahr, sexualisierter Gewalt ausgesetzt zu werden. Sie wenden sich häufig nicht an die Polizei oder die Staatsanwaltschaft, weil sie Inhaftierung bzw. Vergeltung der mutmaßlichen Täter fürchten.
Darüber hinaus sind Geflüchtete und Migrant*nnen mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit konfrontiert. Die Recherchen von Amnesty International haben ergeben, dass die De-facto-Behörden im Osten Libyens im Jahr 2020 mehr als 5.000 Geflüchtete und Migrant*innen abschoben, ohne verfahrensrechtliche Garantien einzuhalten oder den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, Rechtsmittel gegen ihre Abschiebung einzulegen. Als einer der Gründe für die Entscheidung zur Abschiebung wurde die „Übertragung ansteckender Krankheiten“ genannt.
Seit 2016 arbeiten die Mitgliedstaaten der EU unter der Führung von Italien mit den libyschen Behörden zusammen, um Menschen, die mit Booten aus Libyen fliehen, auf See abzufangen und zurückzuschieben. Sie stellen Schnellboote bereit, bieten Trainingsmöglichkeiten an und leisten Unterstützung bei der Koordinierung von Einsätzen auf dem Mittelmeer. Seither hat die von der EU unterstützte libysche Küstenwache geschätzt 60.000 Frauen, Männer und Kinder auf See abgefangen und nach Libyen zurückgebracht, 8.435 davon allein im Jahr 2020 (Stand: 14. September).
Um die Einreise von Menschen auf der Flucht und Migrant*innen mit allen Mitteln zu verhindern und völkerrechtliche Bestimmungen über das Verbot von Push-Backs zu umgehen, boten die EU-Staaten Libyen ihre Unterstützung an, ohne im Gegenzug die Einhaltung strikter Menschenrechtsgarantien zu fordern.