© Illustration: Colin Foo
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presse

Myanmar: Amnesty-Untersuchung enthüllt Verbindungen zwischen Lieferung von Flugkraftstoff und Kriegsverbrechen

3. November 2022

Zusammenfassung

  • Amnesty fordert Staaten und Unternehmen auf, den Export von Flugkraftstoffen nach Myanmar auszusetzen
  • Ölunternehmen Puma Energy, mehrheitlich im Besitz des globalen Rohstoffhandelsriesen Trafigura, ist über seine Lieferkette an Kriegsverbrechen des Militärs in Myanmar beteiligt
  • Auch Öl- und Gasunternehmen wie ExxonMobil, Thai Oil, PetroChina und Rosneft stehen damit in Verbindung
  • Der neue Bericht von Amnesty International, der sich auf geleakte Unternehmensdokumente, Branchenquellen und Interviews mit Überläufer*innen der myanmarischen Luftwaffe stützt, liefert das bisher umfassendste Bild der Lieferkette
  • Überlebende berichten von Luftangriffen des Militärs auf die Zivilbevölkerung

Die internationale Gemeinschaft muss dringend Flugkraftstofflieferungen an das Militär in Myanmar verhindern. Dies forderte Amnesty International heute anlässlich der Veröffentlichung von Untersuchungsergebnissen über die an der Lieferkette beteiligten Unternehmen sowie schockierender neuer Berichte über tödliche Luftangriffe auf Zivilpersonen.

Der englischsprachige Bericht Deadly Cargo: Exposing the Supply Chain that Fuels War Crimes in Myanmar liefert höchst detaillierte Einblicke in die Lieferkette für Flugkraftstoff seit dem Militärputsch 2021. Diese reichen von dem weit entfernten Hafen, an dem der Kraftstoff ursprünglich verladen wurde, bis zu rechtswidrigen Luftangriffen, bei denen Zivilpersonen getötet wurden – und alle Stationen dazwischen.

„Durch diese Luftangriffe wurden Familien zerstört, Zivilpersonen in Angst und Schrecken versetzt und Menschen getötet und verstümmelt. Doch wenn die Flugzeuge nicht nachtanken können, können sie auch nicht losfliegen und Schaden anrichten. Wir fordern heute Lieferanten, Schiffsagenten, Schiffseigner und Seeversicherer auf, sich aus einer Lieferkette zurückzuziehen, die der Luftwaffe von Myanmar zuarbeitet“, so Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International.

Es gibt keine Rechtfertigung für die Beteiligung an der Treibstoffversorgung eines Militärs, das die Menschenrechte in eklatanter Weise missachtet und wiederholt beschuldigt wurde, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und andere schwere Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben.

Agnès Callamard, Internationale Generalsekretärin von Amnesty International

Die Untersuchung von Amnesty International erfolgte in Zusammenarbeit mit der Aktivistengruppe Justice For Myanmar und der Unterstützung weiterer zivilgesellschaftlicher Organisationen wie Burma Campaign UK.

Der Bericht stützt sich auf eine Vielzahl von Quellen, darunter geleakte Unternehmens- und Geschäftsdokumente, Schiffsverfolgungsdaten, Satellitenbilder, öffentliche Dokumente sowie Exklusivinterviews mit Überläufer*innen aus der myanmarischen Luftwaffe und Quellen aus dem Umfeld von Puma Energy.

Die in dem Bericht gesammelten Aussagen von Überlebenden machen auf erschreckende Weise deutlich, wie viele Todesopfer diese unrechtmäßigen Angriffe gefordert haben. Seit dem Militärputsch im Februar 2021 wurden mindestens 2.300 Zivilist*innen getötet, darunter auch Opfer von Luftangriffen.

Lieferkette offengelegt

Unternehmen sind überall dort, wo sie tätig sind, zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Die heute von Amnesty International veröffentlichten Rechercheergebnisse zeigen jedoch, dass die Tätigkeiten einiger Unternehmen, die an der Lieferung von Flugkraftstoff nach Myanmar beteiligt sind, mit der Begehung von Kriegsverbrechen durch das Militär in Myanmar in Verbindung stehen.

Puma Energy, mehrheitlich im Besitz des globalen Rohstoffhandelsriesen Trafigura, ist seit 2015 das wichtigste ausländische Unternehmen, das sich in Myanmar mit der Abfertigung, Lagerung und dem Vertrieb von Flugkraftstoff befasst – vor allem durch seine Tochtergesellschaft Puma Energy Asia Sun (PEAS) und das Joint Venture National Energy Puma Aviation Services (NEPAS).

Nach Angaben von Puma Energy hat das Unternehmen seinen Betrieb ab Februar 2021 bis zum 5. Oktober 2022 auf die Bereitstellung von Flugtreibstoff für zivile Zwecke beschränkt. Der Bericht belegt jedoch andere Tatsachen.

Den Erkenntnissen von Amnesty zufolge wird Flugturbinenkraftstoff bzw. Kerosin (Jet A-1) in erster Linie über ein von PEAS verwaltetes Terminal im Hafen von Thilawa nach Myanmar eingeführt. Amnesty International hat acht separate Kerosinlieferungen identifiziert, die zwischen Februar 2021 und Mitte September 2022 an diesem Terminal entladen wurden.

Der Treibstoff wurde dann im PEAS-Terminal zwischengelagert, bis er mit Tanklastwagen zu NEPAS-Lagereinrichtungen und Militärflugplätzen im ganzen Land transportiert wurde.

Aus der von Dezember 2021 bis August 2022 erhobenen Datengrundlage geht hervor, dass einige NEPAS-Lagereinrichtungen mit Militärflugplätzen verbunden sind. Daraus folgt, dass auch die zivile und die militärische Nutzung von Flugkraftstoff untrennbar miteinander verbunden sind. Dadurch, dass Puma Energy dem Militär in Myanmar den Zugang zu Flugkraftstoff erleichterte, hat das Unternehmen zur Verletzung der Menschenrechte durch das Militär in Myanmar beigetragen.

Wie Puma Energy gegenüber Amnesty International einräumte, habe das Unternehmen „von Berichten über die gewaltsame Einforderung von Treibstoff durch das Militär an bestimmten NEPAS-Flughafeneinrichtungen Kenntnis erlangt. Die Berichte von diesen Vorfällen haben unser Vertrauen in die Fähigkeit von NEPAS, die [von Puma Energy] eingerichteten Kontrollen zu wahren, erschüttert.“

Am 26. September konfrontierte Amnesty International Puma Energy mit den Erkenntnissen aus diesem Bericht. Zehn Tage darauf gab das Unternehmen bekannt, dass es das Land verlassen und seine Niederlassung in Myanmar verkaufen werde.

„Auch wenn wir die Entscheidung von Puma Energy begrüßen, sich aus Myanmar zurückzuziehen, wirft die Ankündigung vom Verkauf an ein nicht näher genanntes ‚privates Unternehmen in lokalem Besitz‘ ganz neue Bedenken auf. Schließlich geht es darum, sich auf verantwortungsvolle und transparente Weise zurückzuziehen und zu vermeiden, dass die Infrastruktur für Flugkraftstoff in den Händen des Militärs von Myanmar verbleibt“, sagt Montse Ferrer, Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International.

Puma Energy muss sich auf verantwortungsvolle Weise zurückziehen und zur Wiedergutmachung entstandener Schäden beitragen. Den Anfang sollten Konsultationen mit Vertreter*innen der von den rechtswidrigen Luftangriffen betroffenen Gemeinden in Myanmar machen, um angemessene Entschädigungsmaßnahmen auszuhandeln.

Montse Ferrer, Expertin für Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International

Auch weitere Unternehmen beteiligt

Puma Energy ist jedoch kein Einzelfall. Auch andere Unternehmen spielen eine wichtige Rolle in der Lieferkette von Flugkraftstoff in Myanmar und werden mit den gleichen Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang gebracht.

Von Februar 2021 bis zum 17. September 2022 entluden mindestens sieben Öltanker acht Ladungen Flugkraftstoff am Hafenterminal in Thilawa im Handelszentrum von Yangon, das von der Puma Energy-Tochter PEAS betrieben wird.

Amnesty International konnte die Lieferanten und das Datum von vier dieser Lieferungen bestätigen: PetroChinas hundertprozentige Tochtergesellschaft Singapore Petroleum Company (SPC) (Dezember 2021), das russische Unternehmen Rosneft (Dezember 2021), Chevron Singapore (Februar 2022) und Thai Oil (Juni 2022). Auch ExxonMobil wird mit einer Lieferung im Juni 2022 in Verbindung gebracht.

Aus Amnesty International vorliegenden Dokumenten geht hervor, dass die Lieferungen von Thai Oil und SPC (PetroChina) für die Luftwaffe von Myanmar bestimmt waren.

Vertreter*innen von Rosneft, Chevron und Thai Oil erklärten gegenüber Amnesty International, sie hätten die Zusicherung erhalten, dass die Lieferungen nur für zivile Zwecke bestimmt seien. SPC (PetroChina) hat auf keine Bitte um Stellungnahme reagiert. Thai Oil reagierte auf die Anschreiben von Amnesty International mit der Erklärung, es werde den Verkauf von Jet-A-1-Kerosin an Myanmar aussetzen, „bis keine derartigen Bedenken mehr bestehen“.

„Alle Unternehmen, die mit gebotener Sorgfalt eine Prüfung in Sachen Menschenrechte durchführen, sollten sich darüber im Klaren sein, dass der Verkauf von Flugkraftstoff an Kunden in einem Land, das von einem Militär mit einer grausamen Menschenrechtsbilanz regiert wird, hohe Risiken birgt“, sagte Ferrer.

Der koreanische Schiffseigner Pan Ocean und die norwegische Reederei Wilhelmsen waren ebenfalls an einer Reihe von Flugkraftstofflieferungen beteiligt. Pan Ocean hat auf die Anfragen von Amnesty nicht reagiert. Wilhelmsen erklärte, das Unternehmen sei davon ausgegangen, dass die Lieferungen zivilen Zwecken dienten, man werde aber „ab sofort keinerlei Vermittlungsdienste mehr für Schiffs- oder Frachteigner erbringen, die in Häfen in Myanmar Jet-A-1-Kerosin entladen“.

Luftangriffe auf Zivilbevölkerung

Im Zuge dieser Recherche hat Amnesty International 16 rechtswidrige Luftangriffe dokumentiert, die zwischen März 2021 und August 2022 in den Bundesstaaten Kayah, Kayin und Chin sowie in der Region Sagaing erfolgten.

Der Einsatz von Streumunition durch das myanmarische Militär, den Amnesty International bei zweien dieser Angriffe dokumentiert hat, ist international verboten.

Bei den dokumentierten Luftangriffen wurden insgesamt mindestens 15 Zivilpersonen getötet, mindestens 36 weitere verletzt, sowie Häuser, religiöse Gebäude, Schulen, medizinische Einrichtungen und ein Lager für Vertriebene zerstört.

Die Zahl der Todesopfer durch Luftangriffe basiert auf den Angaben, die Amnesty International durch direkte Beweise überprüfen konnte. Dazu gehören übereinstimmende Zeugenaussagen und die Namen der Opfer, die häufig durch Foto- und Videomaterial der Angriffe untermauert wurden.

Laut Medienberichten und anderen Zeugnissen von Menschenrechtsverletzungen gab es noch weitaus mehr rechtswidrige Luftangriffe, bei denen Zivilpersonen in ganz Myanmar getötet und verletzt wurden. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer ist damit wesentlich höher.

In den allermeisten dieser dokumentierten Fälle scheinen sich zum Zeitpunkt des Angriffs nur Zivilpersonen am Ort des Geschehens aufgehalten zu haben.

Berichte von Überlebenden

Ka Naw, ein 73-jähriger Mann, der im Februar 2022 Zeuge eines Luftangriffs auf ein bewohntes Dorf im Bundesstaat Kayah (Karenni) im Osten Myanmars wurde, bei dem zwei Zivilpersonen ums Leben kamen, beschreibt den Angriff wie folgt:

Es war unglaublich laut. Ich sah, wie die Düsenflieger herunterkamen, ihre Bomben abfeuerten und dann wieder aufstiegen. Sie sind sehr tief geflogen ... Beim ersten Überflug haben sie [das Dorf] bombardiert, dann sind sie umgedreht und haben mit Maschinengewehren geschossen.

Ka Naw, Zeuge eines Luftangriffs

Die Schwestern Maria und Caroline, etwa 15 und 12 Jahre alt, wurden am 17. Januar 2022 bei einem nächtlichen Luftangriff auf das Lager Ree Khee Bu für Binnenvertriebene in dem an Thailand grenzenden Bundesstaat Kayah getötet. Nu Nu, ein Mann in den Fünfzigern, wurde ebenfalls getötet. Kaw Reh, der 50-jährige Vater der Mädchen, der sich in dieser Nacht in einem anderen Dorf aufgehalten hatte, fand die Leichen am nächsten Morgen in Tücher gehüllt vor.

„Sie haben die Leichen meiner Töchter und des Mannes in die Kirche gebracht. Ich wollte einfach nur die Leichen sehen und mich dort hinsetzen“, berichtete er und fügte hinzu, dass das Hab und Gut der Familie am Ort des Angriffs entweder durch Granatsplitter zerstört oder von anderen Bewohner*innen verbrannt wurde, weil es „voller Organe und Blut“ gewesen sei. Seine überlebende Tochter, die früher aktiv und aufgeschlossen war, möchte jetzt nicht mehr mit anderen Kindern spielen.

Im Juli 2022 besuchten zwei Expert*innen von Amnesty International den Ort des Angriffs und begutachteten die Bombenkrater und die noch sichtbaren Schäden. Da sich zum Zeitpunkt des Angriffs keine Kämpfer*innen oder andere militärische Ziele in der Nähe befanden, scheint es sich um einen unmittelbaren Angriff auf die Zivilbevölkerung und damit um ein Kriegsverbrechen zu handeln.

„Das von einer Reihe von Unternehmen gelieferte, importierte, gelagerte und vertriebene Kerosin war für das myanmarische Militär bei der Durchführung dieser Art von schrecklichen Luftangriffen unerlässlich. Es ist an der Zeit, die Lieferung von Flugkraftstoff an die myanmarische Luftwaffe ein für alle Mal zu unterbrechen“, so Ferrer.