Trotz gesetzlicher Reformen, die Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit verhindern sollen, hat Amnesty International zahlreiche Beispiele dafür dokumentiert, wie alle Aspekte des täglichen Lebens in der nepalesischen Gesellschaft von den Strukturen des Kastensystems geprägt sind. Dalits leiden unter ständiger Diskriminierung und Gewalt. Aufgrund der institutionellen Diskriminierung durch Polizei und Justiz werden ihre Klagen oft nicht verfolgt oder aufgeklärt.
Kastensystem ermöglicht Straflosigkeit
Die herrschende Straflosigkeit ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Darunter sind eine unangemessene Verjährungsfrist in dem Gesetz, das Straftaten aufgrund der Kastenzugehörigkeit regelt, die unzureichende Vertretung von Dalits im Justizsystem, die institutionelle Diskriminierung im Polizei- und Justizwesen sowie der Mangel an wirksamen Kontroll- und Rechenschaftsmechanismen.
Dalits haben kein Vertrauen in die Polizei und das Justizsystem. Die nepalesischen Behörden bleiben untätig bzw. ergreifen nur unzureichende Maßnahmen, um dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Staatsbedienstete werden in der Regel nicht zur Verantwortung gezogen, was die Kultur der Straflosigkeit noch weiter zementiert und der Gesellschaft signalisiert, dass Diskriminierung und Gewalt aufgrund der Kasten- oder Geschlechtszugehörigkeit „akzeptabel“ und „natürlich“ sind.
Fälle von kastenbasierter Gewalt in Verbindung mit geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig nicht gemeldet, wodurch die Betroffenen unsichtbar bleiben und die Verantwortlichen straflos davonkommen. In vielen Fällen lastet auf den Betroffenen Scham und Stigmatisierung, während die Verantwortlichen keine Konsequenzen zu fürchten haben.
Der Amnesty-Bericht dokumentiert, dass sich die Polizei bei Anzeigen wegen kastenbasierter Gewalt oder Diskriminierung regelmäßig weigert, den Fall zur Strafverfolgung freizugeben. Dies gilt sowohl für Straftaten aufgrund der Kastenzugehörigkeit als auch für geschlechtsspezifische Gewalt, einschließlich Vergewaltigung, gegen Dalit-Frauen. Stattdessen drängt die Polizei oft auf eine informelle Schlichtung außerhalb des Justizsystems, anstatt strafrechtliche Ermittlungsverfahren einzuleiten. Dies leistet der Straflosigkeit weiter Vorschub.
Hindernisse beim Zugang zur Justiz
In einigen Fällen, in denen Dalits unter ungeklärten Umständen ums Leben kamen, soll die Polizei Berichten zufolge keine gründlichen, unparteiischen, fairen und fristgerechten Untersuchungen eingeleitet haben.
Vorwürfe gegen die Polizei wegen vorsätzlicher Pflichtverletzung haben dazu geführt, dass innerhalb der Polizei spezielle Dalit-Abteilungen eingerichtet wurden. Diese sollten sich mit der Meldung und Untersuchung von Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit befassen und eine Anlaufstelle für die Betroffenen bieten. Ihre Effektivität ist jedoch fraglich. Vertreter*innen von Amnesty International besuchten in der Provinz Madhesh drei Polizeistationen auf Bezirksebene und stellten fest, dass es abgesehen von einem Schild mit der Aufschrift „Dalit-Abteilung“ keine funktionierende Dalit-Abteilung gab.
Amnesty International fordert die nepalesischen Behörden auf, einen ganzheitlichen Plan zur Bekämpfung von Kastendiskriminierung zu entwickeln und sich ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.
Hintergrund
In Nepal und anderen südasiatischen Ländern manifestiert sich Diskriminierung aufgrund der Abstammung in der sozialen Hierarchie des Kastensystems, das im Hinduismus begründet ist. Die sogenannten niederen Kasten werden als Dalits bezeichnet. Dalits machen in Nepal etwa 13,8 % der Bevölkerung aus und werden durch das Kastensystem ausgegrenzt und unterdrückt. Sie werden in allen Lebensbereichen diskriminiert, was sich negativ auf ihren Zugang zu Land, Bildung, Lebensunterhalt, Heirat, Religionsausübung, Sicherheit und Gesundheit sowie ihr Recht auf Staatsbürgerschaft auswirkt.