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Tausende Frauen und Mädchen, die die brutale Herrschaft der Boko Haram überlebt haben, sind von Sicherheitskräften in Militärlagern im Nordosten Nigerias weiter misshandelt und ausgebeutet worden. Unter Androhung von Gewalt und im Tausch gegen Nahrung wurden Hungernde zu Sex gezwungen.
Der neue Amnesty-Bericht „They betrayed us“ zeigt, wie das nigerianische Militär und die mit ihm verbündete Miliz Civilian Joint Task Force (Civilian JTF) Frauen von ihren Männern trennte und sie in entlegene Camps sperrte und vergewaltigte. Amnesty International hat zudem Beweise gesammelt, dass seit 2015 Tausende von Menschen in den Militärlagern im Bundesstaat Borno verhungert sind.
„Es ist absolut schockierend, dass Menschen, die bereits so viel unter Boko Haram gelitten haben, weitere grausame Misshandlungen durch das nigerianische Militär erdulden mussten“, sagt Osai Ojigho, Direktorin von Amnesty International Nigeria.
Anstatt von den Behörden geschützt zu werden, wurden die Frauen und Mädchen vergewaltigt und konnten sich nur so vor dem Verhungern retten.
Osai Ojigho, Direktorin von Amnesty International Nigeria
Als das nigerianische Militär im Jahr 2015 das Gebiet im Nordosten Nigerias von Boko Haram zurückeroberte, befahl es den dort lebenden Menschen unter Waffengewalt, sich in die Außenlager zu begeben. Hunderttausende von Menschen wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Die meisten Burschen und Männer zwischen 14 und 40 Jahren sowie Frauen, die ohne ihren Ehemann unterwegs waren, wurden festgenommen. Die übrigen Frauen und Mädchen mussten fortan alleine für den Unterhalt ihrer Familien sorgen.
Zahlreiche Frauen beschrieben, wie Soldaten und zivile JTF-Mitglieder ihren Hunger ausnutzten, um sie zu zwingen, ihre „Freundinnen“ zu werden, was bedeutete, dass sie ständig für Sex zur Verfügung stehen mussten. Andere wurden bedroht und vergewaltigt, weil ihnen vorgeworfen wurde, mit Boko Haram zu sympathisieren. Die meisten dieser Frauen hatten bereits Kinder oder andere Verwandte durch den Mangel an Nahrung, Wasser und Medizin im Lager verloren.
Fünf Frauen berichteten Amnesty International, dass sie Ende 2015 und Anfang 2016 im Lager des Bama-Spitals vergewaltigt wurden, als dort eine Hungersnot herrschte.
Ama (nicht ihr richtiger Name), 20, sagte: „Sie geben dir etwas zu Essen, aber am Abend kommen sie gegen fünf oder sechs Uhr zurück und sagen dir, dass du mit ihnen kommen sollst … Ein [ziviler JTF] Mann kam und brachte mir Essen. Am nächsten Tag sagte er, ich solle zu ihm kommen, um Wasser zu holen [und ich ging]. Dann schloss er hinter mir die Tür des Zelts und vergewaltigte mich. Er sagte: Ich habe dir diese Dinge gegeben, wenn du sie willst, müssen wir Mann und Frau sein.“
Die befragten Frauen sagten, dass die sexuelle Ausbeutung einem organisierten System folgt. Soldaten und JTF-Mitgliedern wählen demnach regelmäßig die „schönsten“ Frauen und Mädchen in den Lagern aus, um sie zu den Soldaten nach draußen zu bringen. Frauen berichteten, dass sie zu große Angst hatten, um Forderungen nach Sex abzulehnen.
Sex unter diesen extremen Zwangsverhältnissen ist immer Vergewaltigung, auch wenn keine physische Gewalt angewendet wird.
Osai Ojigho
"Die Täter und ihre Vorgesetzten, die dies zulassen, haben Verbrechen nach internationalem Recht begangen und müssen zur Verantwortung gezogen werden", sagt Osai Ojigho.
Die Menschen in den Lagern sahen sich von Anfang 2015 bis Mitte 2016 mit einer akuten Nahrungsmittelknappheit konfrontiert. Mindestens Hunderte wenn nicht Tausende starben in dieser Zeit allein im Lager des Bama-Spitals. Die Befragten berichteten übereinstimmend, dass in diesen Monaten dort täglich 15 bis 30 Menschen an Hunger und Krankheit starben. Satellitenbilder belegen, dass sich der Friedhof im Lager während dieser Zeit schnell ausdehnte – die Aussagen der Betroffenen konnten so bestätigt werden. Auch in anderen Außenlagern wie Banki und Dikwa gab es täglich Tote.
Ab Juni 2016 stockten die UNO und andere humanitäre Organisationen die Hilfe in den Lagern auf. Trotzdem berichteten viele Frauen von mangelnder Lebensmittelversorgung. Korruption in großem Stil führte dazu, dass die Hilfe viele Menschen nicht erreichte.
„Menschen in Lagern ohne ausreichende Nahrung einzusperren, obwohl die Verwalter der Lager wussten, dass die Bedingungen zu Todesfällen führen, verletzt die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht. Diejenigen, die dies zugelassen haben, können des Mordes schuldig sein“, sagte Osai Ojigho.
Die Untersuchungen von Amnesty International zeigen außerdem, dass seit 2015 Hunderte Frauen mit ihren Kindern in der berüchtigten Giwa-Kaserne festgehalten werden. Viele der Inhaftierten waren von Boko Haram entführt und zwangsverheiratet worden. Anstatt gerettet zu werden, wurden sie vom Militär als sogenannte „Boko-Haram-Frauen“ festgehalten.
Amnesty International erhielt fünf Berichte über sexuelle Gewalt in der Giwa-Kaserne, während sieben Frauen sagten, sie hätten in ihren schmutzigen, überfüllten Zellen ohne medizinische Hilfe Kinder zur Welt bringen müssen. Mindestens 32 Babys und Kinder und fünf Frauen sind seit 2016 dort in Haft gestorben.
Bereits seit 2015 berichten verschiedene NGOs und humanitäre Organisationen über sexuelle Gewalt und Todesfälle in Lagern für Binnenvertriebene im Nordosten Nigerias. Während die Behörden mehrfach versprochen haben, solche Berichte zu untersuchen, gab es keine konkreten Maßnahmen, um das Problem anzugehen, und niemand scheint vor Gericht gestellt worden zu sein.
„Jetzt ist es an der Zeit, dass Nigerias Präsident Muhammadu Buhari sein Engagement für den Schutz der Menschenrechte der Vertriebenen im Nordosten Nigerias unter Beweis stellt. Der einzige Weg, diese schrecklichen Verletzungen zu beenden, ist, das Klima der Straflosigkeit in der Region zu beenden und sicherzustellen, dass niemand mit Vergewaltigung oder Mord davonkommt“, sagte Osai Ojigho.
Der Bericht von Amnesty International ist das Ergebnis einer umfassenden Untersuchung mit mehr als 250 Interviews. Untersucht wurden die Außenlager, die vom Militär in sieben Städten im Bundesstaat Borno errichtet wurden, darunter Bama, Banki, Rann und Dikwa. Zudem wurden Videos, Fotos und Satellitenbilder ausgewertet.