Offener Brief an Außenminister Schallenberg und Innenminister Karner: Frauen in Afghanistan sterben einen langsamen Tod
26. Jänner 2023Frauen aus allen gesellschaftlichen Bereichen in Österreich fordern konkrete Aufnahmeprogramme für Frauen aus Afghanistan
Aus den Augen – aus dem Sinn? Während die Welt – darunter auch Österreich – wegschaut, rutscht Afghanistan immer tiefer in eine akute Menschenrechts- und humanitäre Krise.
Wir verhalten uns fast wie ein Kind: Wir machen die Augen zu und tun so, als ob das Leid nicht existiert, wenn wir es nicht sehen. Aber das Leid der Frauen ist real und das Ausmaß der Unterdrückung und die Entrechtung von Frauen in Afghanistan sind beispiellos.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Die Liste der Unterzeichnerinnen ist lang und prominent: Neben Vertreterinnen zahlreicher heimischer NGOs, wie etwa die Direktorin der Diakonie Österreich Maria Katharina Moser, die Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien Tanja Wehsely oder Edit Schlaffer von women without borders, stellen sich auch Frauen aus Kultur und Medien in den Dienst der Sache, so etwa Schauspielerin Adele Neuhauser, Malerin Xenia Hausner, Volksopern-Direktorin Lotte de Beer oder die Schriftstellerin Alex Beer, genauso wie Autorin Elfriede Hammerl oder die ehemalige ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner. Unterzeichnet hat auch die Journalistin und ehemalige Kriegsberichterstatterin Antonia Rados, die selbst viele Male in Afghanistan war und die Situation vor Ort genau kennt; außerdem Birgit Lauda, Elfriede Hanappi-Egger, Rektorin der Wirtschaftsuniversität Wien oder die Politikwissenschaftlerin Petra Ramsauer, genauso wie Migrationsforscherin Judith Kohlenberger und die Botschafterin Afghanistans in Wien, Manizha Baktari, um nur einige zu nennen.
Frauen in Österreich sind laut und fordern Aufnahme in Österreich
Mit ihrer Unterschrift erheben die Frauen hier in Österreich ihre Stimme für die Frauen und Mädchen in Afghanistan, die in ihrem Protest und Widerstand nicht laut sein können, und machen auf die dramatische Situation vor Ort aufmerksam. Gleichzeitig fordern sie die politischen Verantwortlichen hier auf, wieder hinzuschauen, in dieses Land, in dem sich eine Menschenrechtskatastrophe abspielt. Und zumindest einzelnen Menschen die sichere Flucht und Aufnahme in Österreich zu ermöglichen – sei es durch längst fällige Familienzusammenführungen, sei es durch die Ausgabe von Visa und Aufenthaltsbewilligungen an Frauen und Mädchen, die in Afghanistan ihr Studium bzw. ihre Schulausbildung nicht fortsetzen dürfen, oder sei es durch die Einrichtung eines humanitären Aufnahmeprogramms für besonders schutzbedürftige Personen, insbesondere für Frauen, Mädchen und Menschenrechtsverteidigerinnen.
„Es fühlt sich alles falsch an“ – „Ist das ein Leben?“
„Vor mehr als einem Jahr sprach Außenminister Schallenberg davon, die Taliban an ihren Taten zu messen. Nun ist es an der Zeit, Österreich an seinen Taten zu messen“, wendet sich Annemarie Schlack direkt an die politisch Verantwortlichen. Dabei stellt sie die Realität in drastischer Weise klar:
Nirgends auf der Welt werden Frauen so schlecht behandelt und ihrer Rechte beraubt wie in Afghanistan. Das System der Taliban ist eine einzige Hierarchie der Frauenunterdrückung.
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
Und weiter: „Trotz anfänglicher gegenteiliger Beteuerungen haben die Taliban seit ihrer Machtübernahme im August 2021 Maßnahmen zur systematischen Diskriminierung der weiblichen Bevölkerung eingeführt. Den meisten Frauen und Mädchen werden der Zugang zu Bildung und Arbeit sowie die Teilnahme am öffentlichen Leben verweigert. Mittlerweile wurde ihnen verboten, in Parks und Fitnessstudios zu gehen und vor rund einem Monat wurden sie auch von den Universitäten ausgeschlossen“, so Schlack weiter. Bereits im Sommer 2022 hat Amnesty International unter dem Titel "Tod in Zeitlupe" Berichte veröffentlicht, aus denen klar hervorgeht, dass Frauen und Mädchen in Afghanistan kaum mehr ein menschenwürdiges Leben führen können, weil ihre Rechte in allen Lebensbereichen unterdrückt werden. „Ich war eine arbeitende Frau. Jetzt sitze ich zu Hause und habe nichts zu tun. Es fühlt sich alles falsch an“, beschreibt es etwa eine Frau gegenüber Amnesty International. „Alles, was ich sehe, sind die Wände um mich herum. Ich kann nicht einmal aus dem Haus gehen. Ist das Leben?“, so eine andere.
Der Verlust der Arbeit bedeutet auch für viele Familien eine enorme wirtschaftliche Belastung – die jetzt, im zweiten Winter seit der Machtübernahme durch die Taliban, noch schwerwiegender zum Tragen kommt. Das Land steckt in einer veritablen Wirtschaftskrise und Menschen verhungern. „Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass wir einmal kein Essen auf dem Tisch haben würden“, erzählt eine Frau in dem Bericht von Amnesty International. Dramatisch ist auch die Situation für Opfer von häuslicher Gewalt und die Zahl der Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratungen ist wieder stark angestiegen.