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Der Schuldspruch gegen Jordi Sànchez und Jordi Cuixart wegen Aufruhr verstößt gegen ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. Die beiden katalanischen Führungspersönlichkeiten müssen umgehend freigelassen werden, fordert Amnesty International.
Amnesty International hat die Strafverfahren gegen die zwölf katalanischen Führungspersönlichkeiten im Zusammenhang mit den Ereignissen in Katalonien um das Referendum vom 1. Oktober 2017 beobachtet und an allen Verhandlungstagen in Madrid teilgenommen. Amnesty veröffentlicht heute ihre menschenrechtliche Analyse des Urteils, das vergangenen Monat von Spaniens Oberstem Gerichtshof gefällt wurde.
Die Gefängnisstrafen gegen Jordi Sànchez und Jordi Cuixart sowie sieben weiteren hohen katalanischen Regierungsvertreter*innen stützen sich auf die vage Definition der Straftat „Aufruhr“ in Spaniens Strafgesetzbuch und die zu breite und damit gefährliche Interpretation dieser Definition durch den Obersten Gerichtshof, kritisiert Amnesty.
„Jordi Sànchez und Jordi Cuixart müssen unverzüglich freigelassen und ihr Schuldspruch wegen Aufruhr muss aufgehoben werden“, sagt Daniel Joloy, führender Politikberater bei Amnesty International, und sagt weiter: „Es gibt keine Anzeichen für ein unfaires Gerichtsverfahren. Doch die Auslegung der Straftat Aufruhr durch den Obersten Gerichtshof war eindeutig zu weit gefasst und hat zu einer Kriminalisierung legitimer Protestveranstaltungen geführt.“
Im Gegensatz zu anderen Tatbeständen schließt die Straftat „Aufruhr“ in ihrer Definition nicht ausdrücklich den Rückgriff auf Gewalt oder die Androhung von Gewalt ein – im Gegensatz von z. B. Angriffe gegen die öffentliche Ordnung, die darüber hinaus weniger schwere Strafen nach sich ziehen. Damit könnte jede Aktion zivilen Ungehorsams, wie zum Beispiel eine Straßenblockade, unter schwerste Haftdrohungen gestellt werden.
Als Privatbürger und Leiter zivilgesellschaftlicher Organisationen haben Jordi Sànchez und Jordi Cuixart das Recht, ihre Meinung zu äußern und friedliche Treffen zu organisieren, um das Referendum und die Unabhängigkeit Kataloniens zu unterstützen.
Selbst wenn der Zweck eines dieser Treffen oder ihrer Aktivitäten war, die Durchsetzung eines gerichtlichen Beschlusses zu verhindern, ist festzuhalten: Auch ziviler Ungehorsam wird durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt. Ein Akt zivilen Ungehorsams mit zu schweren Anklagen strafrechtlich zu verfolgen, schränkt das Recht auf friedliche Versammlung unzulässig ein und verstößt gegen das Völkerrecht.
Eine Verurteilung von Jordi Sànchez und Jordi Cuixart zu neun Jahren Haft wegen Aufruhr stellt damit eine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung dar. Dem Obersten Gerichtshof ist es außerdem nicht gelungen, nachzuweisen, dass die Auferlegung solch harter Strafen im Verhältnis zu den friedlichen Aktivitäten steht, derer die Angeklagten bezichtigt wurden, kritisiert Amnesty.
Die Verurteilung von Jordi Sànchez und Jordi Cuixart ist eine eindeutig übertriebene und unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung.
Esteban Beltrán, Direktor von Amnesty International Spanien
„Das spanische Parlament muss die Definition der Straftat Aufruhr dringend überarbeiten, um zu verhindern, dass friedlicher ziviler Ungehorsam kriminalisiert wird oder friedliche Versammlungen und Meinungsäußerungen unzulässig eingeschränkt werden“, sagt Esteban Beltrán, Direktor von Amnesty International Spanien.
Die vage Definition von Aufruhr und die zu breite Auslegung des Begriffs stellen auch die Schuldsprüche wegen Aufruhr gegen die katalanischen Politiker*innen in Frage.
„Die katalanischen Politiker*innen können zwar eine Straftat begangen haben, die in Anbetracht ihrer offiziellen Ämter eine Strafverfolgung nach sich ziehen kann. Doch ihre Verurteilung wegen Aufruhr – ein zu vage definierter Straftatbestand – verstößt gegen das Legalitätsprinzip. Die spanischen Behörden müssen dringend eine angemessene Lösung für diese Situation finden“, sagt Adriana Ribas, Amnesty-Koordinatorin in Katalonien, und sagt weiter:
„Jede*r hat das Recht zu wissen, ob das eigene Verhalten eine Straftat darstellen kann. Doch dieses Urteil zeigt, dass die vage Definition von Aufruhr dazu führen kann, dass dieser Straftatbestand unverhältnismäßig herangezogen wird. Die Auslegung der Straftat durch den Obersten Gerichtshof könnte zur Folge haben, dass sich Menschen nicht mehr ohne Angst an friedlichen Protesten beteiligen.“
Es besteht außerdem die Gefahr, dass das Gericht die Schwere der Tat mit der „massiven oder generellen“ Opposition zur Durchsetzung eines Gerichtsbeschlusses in Verbindung bringt. Damit hat das Gericht den Behörden die Möglichkeit eröffnet, eine rechtswidrige Höchstgrenze festzulegen, wie viele Menschen gleichzeitig friedlich ihr Recht auf Protest ausüben können.
Die unklare gesetzliche Definition der Straftat „Aufruhr“ und die Auslegung des Gerichts gestatten also die Auferlegung rechtswidriger Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung. In der Folge werden eine ganze Reihe von gewaltlosen direkten Aktionen fälschlicherweise kriminalisiert.
Die Urteile gegen die zwölf katalanischen Führungspersönlichkeiten im Zusammenhang mit den Ereignissen in Katalonien um das Referendum vom 1. Oktober 2017 wurden am 14. Oktober gefällt: Sieben katalanische Regierungsvertreter*innen und zwei Leiter zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden wegen Aufruhr zu Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren Gefängnis und einem Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter verurteilt. Drei weitere hohe Politiker*innen wurden wegen Ungehorsams zu einer Geldstrafe und dem Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter verurteilt.
Internationale Menschenrechtsnormen geben vor, dass Einschränkungen des Rechts auf friedliche Versammlung vom Gesetz abgedeckt und notwendig sein und im Verhältnis zu einem konkreten öffentlichen Interesse stehen müssen. Eine Demonstration verliert ihren friedlichen Charakter nicht dadurch, dass Rechtswidrigkeiten begangen werden oder weil einige Protestierende Gewalt einsetzen.
Da friedliches Verhalten bei der Durchführung einer Protestveranstaltung bestimmten Einschränkungen unterliegen kann, müssen diese im Gesetz genau dargelegt werden. Jeder Straftatbestand muss im Gesetz ausreichend klar definiert sein, um das eigene Verhalten dementsprechend regulieren zu können.
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