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Die thailändischen Behörden haben Kinder verhaftet, strafrechtlich verfolgt, überwacht und eingeschüchtert, weil sie an Massendemonstrationen teilgenommen haben. Amnesty International fordert, dass die Anklagen fallengelassen und alle Schikanen beenden werden, die Kinder von der Teilnahme an Protesten abhalten.
Der neue Bericht von Amnesty International mit dem Titel „We are Reclaiming Our Future“ (Wir fordern unsere Zukunft zurück) basiert auf Interviews mit 30 Kindern und Aktivist*innen aus dem ganzen Land, die zwischen 2020 und 2022 an Demonstrationen teilgenommen haben. An den Demonstrationen nahmen vor allem Schüler*innen unter 18 Jahren teil, die Reformen in den Bereichen Bildung, Politik, Wirtschaft und Soziales forderten.
Bis heute wurden fast 300 Jugendliche unter 18 Jahren wurden bisher wegen Aufruhrs oder Beleidigung der Monarchie angeklagt, einigen drohen langjährige Haftstrafen. Es ist das erste Mal, dass Fälle von Majestätsbeleidigung gegen Kinder in Thailand erhoben wurden. Die meisten wurden beschuldigt, gegen die Regeln für öffentliche Massenversammlungen verstoßen zu haben, die in einem pandemiebedingten Notstandsdekret festgelegt worden waren, das jedoch bereits aufgehoben wurde.
Kinder, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben, müssen mit schweren Konsequenzen rechnen, nur weil sie an friedlichen Protesten teilgenommen haben.
Annemarie Schalck, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich
„Thailand ist gesetzlich verpflichtet, das Recht der Kinder auf friedliche Versammlungsfreiheit zu garantieren. Stattdessen hat die Ausübung dieses Rechts einen hohen Preis für die Protestierenden, denen möglicherweise Jahrzehnte hinter Gittern drohen.“
Amnesty International dokumentierte eine Vielzahl von Taktiken, die zur Unterdrückung des Rechts auf Protest eingesetzt wurden. Die Behörden überwachten routinemäßig prodemokratische Kinderdemonstrant*innen, schüchterten Kinder aus ethnischen Minderheitengruppen ein, wenn sie an öffentlichen Versammlungen teilnahmen, und stellten bei Hintergrundüberprüfungen unnötige und invasive Fragen, beispielsweise ob die Person eine gleichgeschlechtliche Beziehung führe.
Chompoo*, eine 13-jährige Demonstrantin aus Bangkok, berichtete Amnesty International, dass sie von den Behörden verfolgt wurde, seit sie im März 2022 mit ihrem Aktivismus begann. Auch ein 16-jähriger LGBTI*-Aktivist wurde von den Behörden bis zu seinem Haus und seiner Schule verfolgt, was seine psychische Gesundheit beeinträchtigte, und Panikattacken und Schlaflosigkeit auslöste.
In einigen Fällen haben die Behörden ihre Befugnisse nach dem Kinderschutzgesetz missbraucht, um Kinder zu Unrecht an der Teilnahme an Protesten zu hindern. Anna, eine in Bangkok lebende studentische Aktivistin, und ihre Freunde wurden von der Polizei und von Beamten des Ministeriums für Soziale Entwicklung und Schutz der Bevölkerung – der wichtigsten für den Kinderschutz zuständigen Behörde – aus einem Restaurant gezerrt. Die Behörden befürchteten, dass sie am Democracy Monument protestieren wollten, da Mitglieder der königlichen Familie dort vorbeikommen würden.
Amnesty International dokumentierte auch, dass die Behörden Druck auf die Eltern ausübten, um den Kindern die Teilnahme an Protesten zu verbieten. Dies führte zu familiären Spannungen, die in zwei von Amnesty International dokumentierten Fällen zu häuslicher Gewalt gegen protestierende Kinder führten.
„Als meine Familie von meiner Beteiligung an der Protestbewegung erfuhr, fingen wir an, uns heftig zu streiten“, sagte Satapat, der 2020 als 17-jähriger Gymnasiast in der südlichen Stadt Pattani an den Demokratieprotesten teilnahm. „Dann begannen meine Eltern, körperliche Gewalt anzuwenden und mich unter Druck zu setzen, indem sie mein Taschengeld und mein Mobiltelefon konfiszierten. Ich musste von zu Hause weglaufen und zog zu meinem Freund.“
Amnesty International hat die Sicherheitsbedingungen bei Protesten seit 2020 genau geprüft. Die Analyse zeigt, dass die Reaktion der Polizei auf Proteste seit 2021 zunehmend gewaltsamer wird.
Drei junge Demonstrant*innen im Alter von 14, 15 und 16 Jahren wurden am 16. August 2021 vor dem Polizeirevier Din Daeng in Bangkok mit Schusswaffen erschossen – angeblich von Zivilpersonen.
Einer von ihnen, der 15-jährige Warit Somnoi, wurde in den Hals geschossen, fiel in ein monatelanges Koma und starb dann an seinen Verletzungen. Nach seinem Tod verabsäumte es die Polizei, trotz mehrfacher Aufforderung durch die Staatsanwaltschaft, Beweise vorzulegen, wodurch sich die Ermittlungen lange verzögerten. Die Staatsanwaltschaft hat schließlich eine Zivilperson des Mordes angeklagt. Ein Prozess steht noch aus.
Amnesty International sprach mit einem Menschenrechtsanwalt, der mehrere Mandant*innen unter 18 Jahren vertreten hat. Der Anwalt beschrieb Misshandlungen durch Polizeikräfte, darunter den Einsatz von Zwangsmitteln und Schlägen bei Verhaftungen sowie von Gummigeschossen bei der Niederschlagung von Protesten.
Berichten zufolge setzten die Behörden Kabelbinder ein, um einen 12-jährigen Demonstrierenden während einer Polizeirazzia gegen einen regierungsfeindlichen Protest in Bangkok am 13. Juli 2021 zu fesseln. Der 17-jährige Sainam wurde bei einem Protest in Bangkok mit Gummigeschossen beschossen.
„Nachdem ich angeschossen worden war, versuchte ich wegzulaufen, aber die Bereitschaftspolizei packte mich, trat mich und schlug mich mit etwas Hartem − einem Schlagstock oder einer Pistole. Sie durchsuchten mich am ganzen Körper, fesselten mich mit Kabelbindern und traten mich weiter“, sagte er und fügte hinzu, dass er erst am nächsten Morgen nach seiner Freilassung einen Arzt aufsuchen konnte.
Amnesty International fordert die thailändische Regierung auf, alle Strafverfahren gegen friedliche Kinderdemonstrant*innen einzustellen und alle Formen der Einschüchterung und Überwachung zu beenden. Die Gesetze, die das Recht der Kinder auf Protest einschränken, müssen aufgeheben oder geändert werden, um sicherzustellen, dass sie im Einklang mit internationalen Menschenrechtsgesetzen und -standards stehen.
„Viele protestierende Kinder beginnen gerade den nächsten Abschnitt ihres Lebens, sei es beim Eintritt in die Universität oder bei der Bewerbung um einen Arbeitsplatz. Unsere Botschaft an die thailändischen Behörden ist einfach: Hört auf, die Kinder zurückzuhalten und erlaubt ihnen, ihre Rechte frei auszuüben“, sagte Tatiyakaroonwong.
*Die vollständigen Namen wurden aus Sicherheitsgründen zurückgehalten.
Unser aller Recht, zu protestieren, war weltweit noch nie so sehr durch Regierungen bedroht wie heute. Unverhältnismäßige Polizeigewalt bei Versammlungen kann eine abschreckende Wirkung haben, überhaupt an Protesten teilzunehmen. Mit ihrer weltweiten Kampagne Protect the Protest fordert Amnesty International den Schutz unseres Rechts auf Protest ein. Protest ist ein wirksames Mittel, um Menschenrechte zu schützen und Ungleichheiten abzubauen. Er gibt uns allen die Möglichkeit, unsere Stimmen zu erheben, uns Gehör zu verschaffen und zu fordern, dass wir gleichberechtigt behandelt werden. Verteidigen wir unser Recht auf Protest!