Ungarn: LGBTQIA+-feindliches Propaganda-Gesetz schafft „Klima der Angst“
27. Februar 2024Das 2021 in Ungarn verabschiedete LGBTQIA+-feindliche Propaganda-Gesetz hat weitreichende Auswirkungen auf die queere Community in Ungarn, zeigt Amnesty International in einem heute veröffentlichten Bericht. Das Gesetz verfestigt negative Stereotype und diskriminierende Haltungen und schränkt sowohl das Recht auf freie Meinungsäußerung als auch das Recht von Kindern auf Zugang zu Informationen ein.
Die negativen Auswirkungen des Propaganda-Gesetzes auf LGBTQIA+ in Ungarn sind verheerend, so Amnesty International in dem neuen Bericht "From freedom to censorship: Consequences of the Hungarian Propaganda Law". Der Bericht zeigt die stark abschreckende Wirkung, die das Gesetz in den drei Jahren seit seiner Einführung auf die Medien-, Werbe- und Verlagsbranche hatte.
Seit Inkrafttreten ist der Zugang zu wichtigen Informationen über Homosexualität oder geschlechtsangleichende Inhalte erschwert, insbesondere für Kinder und Jugendliche. So darf zum Beispiel in Schulen, Filmen oder in der Werbung ausschließlich über Heterosexualität gesprochen werden.
„Das Propaganda-Gesetz hat ein Klima der Angst geschaffen. Der Zugang zu Informationen ist stark eingeschränkt, insbesondere für junge Menschen. Die Angst vor Sanktionen hält Menschen davon ab, Informationen bezüglich sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität weiterzugeben, zu suchen oder zu erhalten. Das Propaganda-Gesetz hat auch zu negativen Stereotypen und diskriminierenden Haltungen gegenüber LGBTQIA+ beigetragen“, kommentierte Shoura Hashemi, Geschäftsführerin bei Amnesty International Österreich.
„Die ungarische Regierung und staatliche Medien haben in den letzten zehn Jahren eine Kampagne gegen Rechte von LGBTQIA+ Personen geführt. Dabei setzten sie eine stigmatisierende Rhetorik ein und nahmen diejenigen aus der Zivilgesellschaft ins Visier, die sich für Gleichberechtigung einsetzten. Amnesty International ruft die ungarische Regierung dringend dazu auf, das Propaganda-Gesetz aufzuheben und sicherzustellen, dass alle Personen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität, in Ungarn frei von Diskriminierung und Angst leben können.“
Selbstzensur aus Angst
Trotz massiver Kritik aus dem Aus- und Inland trat in Ungarn das umstrittene Gesetz zur Beschränkung der Information über Homo- und Transsexualität 2021 in Kraft. Das vage formulierte Verbot der „Darstellung und Förderung“ von „unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen“ in einigen Bereichen der öffentlichen Kommunikation – einschließlich der öffentlichen Bildung, der Medien, der Werbung und einiger kommerzieller Aktivitäten – schüchtert diejenigen ein, die in diesen Bereichen arbeiten.
Die Verfasser*innen des neuen Amnesty-Berichts kommen zu dem Schluss, dass einige Medienvertriebe und Buchhandlungen in Ungarn Selbstzensur betreiben, um gesetzliche Sanktionen zu vermeiden. Die Angst vor rechtlichen Konsequenzen und möglichen Verleumdungskampagnen in den regierungsnahen Medien hält viele davon ab, über LGBTI-Themen zu sprechen und darüber zu informieren. Das gilt für Einzelpersonen und Organisationen gleichermaßen.
Autor*innen, Kreativagenturen und zivilgesellschaftliche Organisationen haben Mühe, sich in den vagen Bestimmungen des Gesetzes zurechtzufinden. Zunächst wurde das Gesetz nicht in großem Umfang durchgesetzt, doch dies änderte sich Anfang 2023. Seitdem leiten die Behörden zunehmend Verfahren gegen Buchhandlungen ein, die Bücher verkaufen, in denen LGBTQIA+ eine Rolle spielen.
Von Amnesty International befragte Fachleute äußerten sich besorgt über die Auslegung des Gesetzes durch die Behörden. Sie waren unsicher, ob und wie sie ihre Tätigkeiten an die Gegebenheiten anpassen könnten, um Geldbußen und andere Strafen zu vermeiden.
Man könnte auf alle Kinderbücher einen Warnhinweis schreiben, dass sie für die Eltern gedacht sind, und alles bliebe beim Alten. Doch diese Bücher müssen in Folie verpackt sein und dürfen in der Nähe von Schulen nicht verkauft werden. So etwas hat zur Folge, dass selbst gesetzestreue Buchhandlungen und Verlage in der Schwebe hängen und mit Strafen rechnen müssen.
Krisztián Nyáry, Autor und Kreativdirektor von Líra Ltd
Das Gesetz sieht außerdem vor, dass Fernsehsendungen und Filme, in denen LGBTQIA+ vorkommen, nur im Erwachsenenprogramm gezeigt werden dürfen. Infolgedessen mussten die Medien ihre Programme und Streaming-Inhalte anpassen, um mögliche Strafen zu vermeiden.
Péter Kolosi, Programmdirektor des privaten Fernsehsenders RTL, berichtete Amnesty International, dass der Sender bestimmte Sendungen auf spätere Sendezeiten verlegt hat. Manche Inhalte werden gar nicht mehr ausgestrahlt. Die Autor*innen und Programmgestalter*innen des Senders mussten ihre Werke ändern, um sie mit dem Gesetz in Einklang zu bringen.
Dieses Gesetz ist inakzeptabel und diskriminierend. Ich denke, dass es tatsächlich eine Zensur – eine neue Art von Zensur – in den Medien eingeführt hat.
Péter Kolosi, Programmdirektor des privaten Fernsehsenders RTL
Geldstrafen und Verleumdungskampagnen
Das Propaganda-Gesetz hat dazu geführt, dass gegen einige Anbieter*innen von Medieninhalten und Buchhändler*innen rechtliche Schritte eingeleitet wurden. Eine Buchhandelskette musste eine Geldstrafe zahlen, weil sie altersgerechte Bücher mit gleichgeschlechtlichen Paaren in der Kinderabteilung führte. Eine andere Buchhandlung wurde mit einer Geldstrafe belegt, weil sie ein Buch ausgestellt hatte, in dem eine trans Person vorkam, ohne darauf hinzuweisen, dass es sich um ein Buch für Erwachsene handelte.
Einige Autor*innen mussten ihre Jugendbücher als Bücher für Erwachsene kennzeichnen. Eine Autorin berichtete Amnesty International, dass sie in den Sozialen Medien zunehmend bedroht und drangsaliert werde, nur weil sie über LGBTQIA+ schreibt.
Die Autorin Dóra Papp beschrieb Amnesty International, wie sie in den Sozialen Medien in einer Weise bedroht wurde, wie sie es vor der Verabschiedung des Gesetzes nicht erlebt hatte: Eine Person drohte ihr, sie bei einer Buchsignierung anzuspucken.
Es geht mir psychisch immer schlechter. Nach so vielen Jahren des Signierens, in denen es ein Vergnügen war, Leser*innen zu treffen, bekam ich Angst, weil ich nicht wusste, wie ernst ich die Drohung nehmen sollte.“ Sie beschreibt auch, wie sich die Abschreckungspolitik auf neue Schriftsteller*innen auswirkt: „Sie haben mir von ihrer Angst erzählt. Entweder trauen sie sich nicht, das Buch, an dem sie arbeiten, zu beenden, oder sie trauen sich nicht, ihr Werk in Ungarn zu veröffentlichen.
Dóra Papp, Autorin
„Das Propaganda-Gesetz ist rechtswidrig. Durch weitreichende Beschränkungen – unter anderem für die Medien, die Werbung und das Verlagswesen – untergräbt es das Recht auf Meinungsfreiheit massiv“, sagte Shoura Hashemi.
„Dieses Gesetz hat in Ungarn keinen Platz. Es trägt zur zunehmenden Stigmatisierung und negativen Stereotypisierung von LGBTQIA+ bei. Es muss sofort aufgehoben werden! Außerdem müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den Schaden, den es bereits angerichtet hat, zu beheben.“